Breathe. Elena MacKenzie

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Название Breathe
Автор произведения Elena MacKenzie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754177631



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halbem Weg nach Riverside noch einmal am Trailerpark vorbeifahren muss. Nicht, weil der Park so trostlos ist, sondern weil ich befürchte, ich könnte den Mut verlieren und am Ende doch noch hierbleiben. Ich stoße seufzend die Luft aus und lasse die Schultern fallen. Ich will hier einfach nur so schnell wie möglich weg, bevor ich noch einknicke und am Ende wieder in Nicks Trailer lande. Ich will das nicht mehr. Nie wieder. Ich will lieber laufen, mich bewegen und wandern, meinen Körper beanspruchen, bis die Dunkelheit weg ist. Bis sie still ist.

      »Meinen Namen kennst du ja schon, Ice.« Ich betone seinen Namen, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht so heißt, aber er passt zu der Farbe seiner Augen. »Pack deine Maschine einfach auf die Ladefläche, da müssten auch ein paar Gurte sein, damit du sie festschnallen kannst«, sage ich, gehe um den Pick-up nach hinten und öffne die Klappe.

      »Danke, nett von dir.« Ice schiebt die schwere Maschine, unter deren breiten Rädern leise die Kiesel knirschen, mit denen der Parkplatz befestigt ist, nach hinten. Wie viel wiegt so ein Bike eigentlich? Ich bezweifle, dass er es allein auf die Ladefläche bekommt und überlege, ob ich mit anfassen soll, zögere aber, denn mein Vater hätte mir gedroht, meine Finger mit seinem Messer abzuschneiden.

      »Soll ich dir helfen?«, frage ich vorsichtshalber, bevor ich die Maschine berühre und es ihm dann vielleicht nicht gefällt.

      Er grinst. »Diese Maschine wiegt 460 Pfund«, sagt er und sieht sich auf dem Parkplatz um. Sein Blick fällt auf das Wohnhaus nebenan, das derzeit renoviert wird. »Ich bin gleich wieder zurück, nicht ohne mich fahren.«

      Frustriert lehne ich mich an die Seite meines Autos und warte, bis sich aus dem Dunkel kurze Zeit später ein Schatten schält. Ice trägt ein langes breites Brett über der Schulter. Es federt leicht bei jedem Schritt, den er sich nähert, aber ansonsten wirkt er nicht, als würde er Mühe damit haben, es zu tragen. Mit dem breiten Winkel an einem der Enden hängt er das Brett an die Ladefläche meines Trucks.

      »Damit sollte es funktionieren«, meint er, läuft prüfend seine selbst gebaute Rampe nach oben, bleibt in der Mitte stehen und wippt auf dem etwa einen halben Meter breiten Brett auf und ab.

      »Und wie willst du das Bike dann wieder runterbekommen?«, hake ich nach.

      »Wir nehmen das Brett mit.«

      »Es ist viel zu lang«, protestiere ich, weil es bestimmt einige Zentimeter über die Ladefläche hinausgehen würde.

      »Ist es nicht«, sagt Ice bestimmt. Mittlerweile denke ich, dass mir eigentlich alles egal ist, Hauptsache, wir können endlich los, bevor doch noch jemand kommt, der mich aufhalten könnte. Wer sollte das sein? Nicht einmal Nick war sonderlich erpicht darauf, mich in der Stadt zu behalten, als ich ihm gesagt habe, dass ich kündige. Es schien ihm egal zu sein. Aber es war ihm auch egal, dass ich gerade erst 18 geworden war, als unsere Affäre vor ein paar Monaten begonnen hat.

      Ice löst den Ständer seiner Maschine und packt mit beiden Händen die Griffe. Es kostet ihn einiges an Mühe, aber schlussendlich steht das Bike ohne meine Hilfe auf der Ladefläche. Er kriecht auf der Ladefläche umher, um das Bike sicher zu verschnüren, dabei rutscht ihm sein Shirt aus der Hose und ich kann die Pistole sehen, die er hinten im Bund stecken hat. Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich bekomme Zweifel, dass es eine gute Idee ist, ihn mitzunehmen. Mit ihm allein im Auto zu sitzen. Was weiß ich schon über den Kerl? Er wirkt noch nicht einmal besonders vertrauenserweckend mit all diesen Tattoos, seinen wilden glänzend schwarzen Haaren, die in alle Richtungen abstehen und dem dunklen Bartschatten im Gesicht. Aber jetzt steht dieses Bike auf meiner Ladefläche, was soll ich also tun? Ihm sagen, dass ich es mir anders überlegt habe? Das hier sind die USA, viele Menschen haben eine Waffe, versuche ich mich zu beruhigen. Ich habe auch eine im Truck. Nur weil er eine hat, heißt das nicht, dass er mich töten wird. Oder vergewaltigen. Offensichtlich ist er mit seinem Bike allein unterwegs, da sollte man eine Waffe haben, oder?

      Angespannt beobachte ich, wie Ice das Brett vom Pick-up löst und es dann mit dem einen Ende gegen das Fahrerhaus lehnt, es dort mit einem Gurt befestigt und das andere Ende innen gegen die geschlossene Klappe lehnt, dann springt er darüber und landet sicher direkt vor meinen Füßen. Wenn er wirklich vorhat, mir etwas anzutun, dann könnte er es hier an Ort und Stelle tun, niemand würde ihn davon abhalten. Er hätte es in der Bar tun können, als wir allein waren. Er hätte jede Chance der Welt gehabt. Ich schiebe meine Bedenken weg.

      »Ich hab doch gesagt, es funktioniert.«

      »Dann können wir jetzt endlich los?«, möchte ich wissen und verberge nicht, wie genervt ich mittlerweile bin. Ich will endlich raus aus dieser Stadt. Mit jeder Sekunde steigen die Zweifel in mir mehr auf und drohen mich unter sich zu begraben. Wenn ich nicht bald hier wegkomme, dann vielleicht nie.

      »Können wir«, sagt er, geht um den Pick-up herum und steigt ein, ohne mich noch ein weiteres Mal anzusehen.

      »Vergiss einfach, dass er eine Waffe hat«, flüstere ich und versuche, meinen Puls etwas zu beruhigen, bevor ich mich hinter das Lenkrad setze. Trotzdem sind meine Hände verschwitzt, als ich das Leder umfasse, denn ich mag Waffen nicht besonders gern. Mein Vater hat versucht, mir beizubringen, wie man mit ihnen umgeht, als ich noch nicht einmal sieben war. Wir haben im Wald auf Blechbüchsen gezielt. Er hat die Büchsen getroffen, ich habe die meiste Zeit danebengeschossen. Bis auf das eine Mal, als meine Kugel meinen Hund Tiger traf. Er war in den Wald gelaufen, um mich zu suchen. Danach habe ich nie wieder eine Waffe in die Hand genommen, bis jetzt. Danach hatte ich auch nie wieder einen Hund. Verstohlen werfe ich einen flüchtigen Blick hinter den Beifahrersitz, unter dem ich meine Waffe versteckt habe.

      2

      Sie wirkt nervös, während sie das Auto vom Parkplatz auf die einzige Hauptstraße in diesem Kaff steuert. Da es in dieser Stadt weder tagsüber noch nachts wirklich Verkehr gibt, rührt ihre Nervosität wohl nicht daher. Entweder beunruhige also ich sie oder ihr Plan, die Stadt zu verlassen. Ich setze mich etwas schräg, um sie besser sehen zu können. Der Gedanke, ich könnte diese Unruhe in ihr auslösen, gefällt mir. Wie unruhig sie wohl werden wird, wenn ich ihr meine Waffe gegen die Stirn drücke und ein Loch in diesen hübschen Kopf schieße?

      »Du verlässt also die Stadt?«, sage ich möglichst desinteressiert zu ihr. Sie hat dieses kurze, fast schon zu kurze schwarze Haar, das ihr aber perfekt steht. Diese Frisur würde nicht vielen Frauen stehen, aber bei ihr sieht es einfach perfekt aus. So wie bei dieser Schauspielerin aus den 50ern. Audrey Hepburn. Es ist gerade so noch lang genug, um es beim Sex packen und die Finger darin vergraben zu können.

      Sie zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich flüchtig an. Ihr Gesicht wird von der Beleuchtung der Armaturen erhellt. Entschlossen nickt sie, bevor sie den Blick wieder auf die Straße richtet. Noch vier Häuser, dann sind wir schon wieder aus der Stadt raus und auf der schlechten Straße unterwegs, die Black Falls mit dem nächsten Nest verbindet. Zwischen hier und dort gibt es nur ein paar Farmen und einen kleinen Wald. Der Wald ist mein Ziel, weil wir dort abgeschirmt vor neugierigen Blicken sind. Auch wenn die Chance gering ist, dass jemand uns sehen könnte, ich muss ganz sicher sein, dass mein Gesicht demnächst nicht über die Nachrichtenkanäle tickert. Dass sie die Stadt verlassen will und jeder es weiß, spielt mir in die Hände. Nur ihr Vater soll hiervon wissen. Er soll den gleichen Schmerz fühlen wie ich, als er meine Mutter ausgeweidet hat.

      »Warum?«, frage ich sie, als sie nichts weiter sagt.

      Sie stößt genervt die Luft aus und verzieht dieses hübsche Gesicht. Sie ist eine von diesen Frauen, die nicht süß und unschuldig wirken. Sie wirkt stark, sportlich, ein wenig wild und geheimnisvoll. Und der Blick aus diesen sturmblauen Augen wirkt so viel älter und schmerzerfahrener als er eigentlich wirken sollte. Ich denke, das ist es, was mich an ihr so anzieht: Ich sehe sie an und erkenne den gleichen Schmerz, den auch ich fühle, den nur eine abgefuckte Kindheit auslösen kann. Ich frage mich, wie abgefuckt ihre war. Weiß sie überhaupt, wer ihr Vater ist? Meine Kindheit