Heidesilber. Herbert Weyand

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Название Heidesilber
Автор произведения Herbert Weyand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659464



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noch nicht gesehen.« Heinz Bauer schaute desinteressiert hoch.

      »In den Regionalnachrichten. Eine Holländerin wurde bei einem Streit durch einen Messerstich verletzt und von einem Samariter in deinem Nachbardorf gerettet. Die Verletzung wurde durch das Krankenhaus gemeldet.«

      »Das ist das, was ich gerade hier habe.« Er hielt ein Blatt Papier hoch. »Dienstanweisung. Wir sollen uns die Sache ansehen.«

      »Wir?«, fragte Maria empört. »Wir sind die Mordkommission. Haben die noch alle Tassen im Schrank?«

      »Bleib ruhig. Ich fahre zwei Stunden früher nach Hause und hör mich um.« Oberkommissar Bauer blickte betrübt. Seine Kollegin hockte lieber vor dem PC, als dass sie nach draußen ging. »Ich mach dann dort Feierabend. Vielleicht hole ich eine halbe Stunde raus und nutze die Zeit mit den Enkeln etwas zu unternehmen.«

      »Wenn du willst. Hauptsache ich muss nicht aufs Land.«

      *

      »Hier ist es.« Griet wies mit der Hand auf eine kleine Erhebung im Boden. Sie lag etwa in der Mitte zwischen Katharynensee und Kiefernsee.

      »Wie kann ein Mensch hier ein Grab vermuten? Für mich ist das ein Haufen Steine und Dreck.«

      »Ja meistens haben wir auch Pech. Wenn ich das richtig im Kopf habe, wird auch nur alle Zehntausendmal etwas gefunden. Ich hatte Glück – oder es ist Können.« Sie grinste spitzbübisch.

      In den vergangenen beiden Tagen lernten sie sich ein wenig kennen. Griet stellte sich als angenehme lustige Unterhalterin heraus und hatte zu jeder Zeit, viel zu erzählen. Paul gelangte auch ab und zu in eine solche Phase, meist jedoch hielt er sich ruhig und in Gedanken gefangen. Sie drang nicht in ihn, sondern nahm ihn, wie er sich gab. Das fand er angenehm. Mittlerweile wusste er, dass sie kein asiatisches Elternteil besaß, wie er zunächst vermutete. Der Gesichtsschnitt, mit den etwas schrägen Augen kam aus dem Zweig ihrer Mutter. Sie schloss nicht aus, unter ihren Vorfahren, einen zur See fahrenden, Verwandten zu haben.

      Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Griet in Heerlen, also eine echte Limburgerin. Nach dem Abitur studierte sie in Amsterdam. Mehrere Jahre buddelte sie sich durch Europa, auf der Suche nach keltischen Überbleibseln, bis ihr die Dozentenstelle in Den Haag angeboten wurde.

      »Wie willst du jetzt weitermachen? Hast du einen Plan?«

      »Den Dreckhaufen, wie du ihn nennst, muss ich jetzt vorsichtig abtragen. Vermessen und fotografiert ist er schon. Das Erdreich siebe ich, damit nichts verloren geht.«

      »Machst du das selber? Oder hast du Leute dafür? Mit deiner Verletzung kannst du einen solchen Job bestimmt nicht erledigen.«

      »Normalerweise setzen wir Studenten meiner Uni ein oder Helfer, die wir anstellen. Aber hier muss ich alleine arbeiten. Sonst ist alles vergebens.«

      »Hast du eine Genehmigung? Das hier ist ein Naturschutzgebiet und der Förster ein ganz schön scharfer Hund, wie man so sagt.«

      »Leider nicht. Ich grabe heimlich.«

      »Das geht nicht. Wir sind hier zwar abseits der Wege«, er ließ den Blick schweifen, »aber hier sieht man von überall ein.«

      »Das habe ich bedacht und etwas vorbereitet. Geh bitte bis zum Weg dort hinten und schaue hier herüber.«

      Gottergeben kroch er durch das Unterholz und erreichte nach einigen Minuten den Waldpfad. Als er sich umschaute, sah er nichts. Die Vegetation verbarg von dieser Seite den Einblick. So sehr er es versuchte, auf dem Rückweg machte er die Bodenerhebung nicht mehr aus. Ungefähr zehn Meter davor stolperte er fast in das Tarnnetz. Er kroch darunter hindurch und stand vor der grinsenden Anthropologin.

      »Na. Was sagst du jetzt?«

      »Perfekte Tarnung. Warum machst du es so geheimnisvoll? Deine Arbeit wird nur anerkannt, wenn du sie dokumentierst, und Zeugen hast.«

      »Ja, das ist mir klar. Ich will es auch nicht allein machen. Die Sache mit Huub muss geregelt werden. Dann versuche ich, kompetente Hilfe zu bekommen. Ich weiß nicht weshalb, aber ich habe ihm die Fundstelle verheimlicht. Irgendein Gefühl verhinderte, sie ihm zu zeigen. Ich verstehe ihn nicht mehr. Er ist ein verträglicher und sehr hilfsbereiter Kollege. Es muss ihm jemand sehr viel Geld geboten haben. Im Moment kann ich sowieso nichts tun«, sie fasste an ihre verletzte Seite, die komplikationsfrei verheilte. Die Ärzte des Krankenhauses hatten gute Arbeit geleistet und die Wunde mit einigen Stichen verschlossen. Der Wundrand färbte sich nicht einmal rot. »Ich muss nach Den Haag, mit einem befreundeten Professor sprechen. Willst du mitzukommen? Du hast doch Zeit.«

      Erschrocken schaute er sie an. Er lebte nun ungefähr ein dreiviertel Jahr, mit sich beschäftigt, zurückgezogen. Sollte er das aufgeben? Die letzten Tage gefielen ihm. Die Reste des Selbstmitleids bröckelten. Die, ansonsten um die Krankheit kreisenden Gedanken, fielen in sich zusammen. Im Grunde ging es ihm gut und er fühlte sich gesund. Er konnte alles tun. Zwar langsam und mit Überlegung, weil er sonst meinte, sein Unterbauch zerplatze, aber er konnte, wenn er wollte. Warum eigentlich nicht?

      Sie beobachtete, wie er sein Gehirn zermarterte und las von seinem Gesicht, dass er eine positive Entscheidung traf.

      »Klasse. Ich freue mich, dass du mit mir kommst.«

      »Woher willst du das wissen?«

      »Ich lese Gedanken. Nein, dein Gesicht ist wie ein Buch.«

      »Na ja. Daran muss ich arbeiten. Wann geht es los?« Er grinste, wie ein übermütiger Junge.

      Pauls Haus lag am Rande eines kleinen Dorfs. Idyllisch versteckte sich der Ort in einer langgestreckten Mulde. Im Winter ragten die Dächer heraus, die, die anderen Jahreszeiten mit Vegetation verbargen. Er liebte diesen Flecken und die Menschen. Vom Typ kamen sie Rheinländern am nächsten, also herzlich und doch eigenwillig. Zugezogene blieben ihr Leben lang Fremde, wenn sie nicht die ungeschriebenen Gesetze beachteten.

      Paul arbeitete bis zum Beginn seiner Krankheit als Elektronikingenieur in Düsseldorf. Die Ehe ging nach acht Jahren zu Ende. Gott sei Dank hatte er keine Kinder aus der Verbindung. Vor fünf Jahren erbte er sein Elternhaus und hatte seitdem keine finanziellen Sorgen mehr. Den alten Bauernhof, in dem er die Kindheit und Jugend verbrachte, betrieb er als Hobby. Mit Liebe zum Detail ließ er ihn modernisieren und restaurieren. Seit drei Jahren lebte er, nach zehnjähriger Abwesenheit, wieder im Dorf.

      Es fiel ihm schwer, Fuß zu fassen. Die alten Kontakte waren abgerissen und er hatte keine Lust, sie zu erneuern. So lebte er zurückgezogen und genoss die morgendlichen Spaziergänge. Natürlich traf er hier und da, den ein oder anderen. Doch mehr als Belanglosigkeiten tauschte er nicht aus.

      Mit der agilen Holländerin kam Leben ins Haus. Am ersten Tag ihrer Bekanntschaft, also an dem Tag, wo sie verletzt wurde, bettete er sie am frühen Abend fürsorglich in einen Liegestuhl auf der Terrasse. Sie stießen mit Stubbis an und prosteten einander zu.

      »Ich möchte dir eine Geschichte erzählen«, begann sie mit dem bezaubernden Akzent und wandte ihm das interessante Gesicht zu.

      Paul nickte lediglich bestätigend.

      »Du wirst mich für verrückt halten, aber aufgrund dieses jungen Kelten, von dem du jetzt hören wirst, wurde ich Anthropologin.« Sie schloss die Augen für einen Moment und musterte ihn geheimnisvoll. »Also dann … aber zuvor noch ein Satz von Caesar.«

      *

       drei

      

       Griet erzählt:

       »Den Druiden obliegen die Angelegenheiten des Kultus, sie richten die öffentlichen und privaten Opfer aus und interpretieren die religiösen Vorschriften. Eine große Zahl von jungen Männern sammelt sich bei ihnen zum Unterricht, und sie stehen bei den Galliern in großen Ehren.«

       (Caesar: De bello gallico)«

      Kendric der sechzehnjährige junge Mann