RoadMovie. Hans-Joachim Mundschau

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Название RoadMovie
Автор произведения Hans-Joachim Mundschau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844253122



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      RoadMovie

      von

      Hans-Joachim Mundschau

      Imprint

      RoadMovie

      Hans-Joachim Mundschau

      published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      Copyright: © 2013 Hans-Joachim Mundschau

      ISBN 978-3-8442-5312-2

      2

      Es wird die Zeit kommen, da du glaubst, alles sei geschafft. Das ist der Anfang.

      Louis Dearborn LaMoore (gesehen bei KARSTADT Hamburg an der Wand)

      Boss, hast du schon mal etwas so schön zusammenkrachen sehen?

      Alexis Sorbas (Cacoyannis/Kazantzakis)

      All you need is love

      (Lennon/McCartney)

      PETER

      Es war das Blau ihrer Augen oder ihre Größe, ihre Schlankheit. Unsere Blicke sprangen hin und her. Sie begegnete mir, als ich mein Gepäck aufs Zimmer brachte.

      Ich beeilte mich, weil ich mich noch vor dem Seminar mit meinen Freunden Johannes und Bruno, die zufällig gemeinsam ein Seminar zum Thema Abschied leiteten, in dem Lokal, wo wir manchmal zu Mittag aßen, zu einem Kaffee treffen wollte. Sie saßen an einem winzigen Tisch in der Mitte des großen Gastzimmers. Es herrschte ein Höllenlärm. Sonntagsgäste, zumeist Menschen im Rentenalter, und Jüngere, wohl Seminarteilnehmer, schienen wie besessen aufeinander einzureden. Als ich mich zu den beiden an den Tisch setzte, sah ich am Nebentisch eine sehr zerbrechlich aussehende junge Frau, die ich ein paar Wochen zuvor hier in einem Seminar getroffen hatte, irgendetwas mit Musik muss es gewesen sein. Sie bemerkte meinen Blick, schien zuerst verwirrt, bis sie ein Lächeln des Erkennens zeigte.

      Meine Freunde und ich wandten uns wie üblich den wichtigen Themen des Lebens zu, wie wir denn die Welt erlösen könnten, so wie wir immer redeten. Unter dem Eindruck des Lärms dachten wir wieder einmal darüber nach, wie man die Anzahl der Wörter, die jedem Menschen pro Leben zustünden, limitieren könnte.

      Im Nachhinein kommt mir alles sehr unwirklich vor: rotbraune Steinfliesen, die typisch deutsche Betischung und Bestuhlung des Raumes, das Stimmengewirr, die Witze, die wir machten. Nach Kaffee und Apfelstrudel machte sich die Unruhe des Aufbruchs bemerkbar. Die Frau am Nebentisch hatte gezahlt, verabschiedete sich von ihren Begleitern – es waren nur Männer – mit Küsschen. Ihr Seminar schien beendet.

      Wir gingen dann auch, trennten uns vor dem Seminargebäude. Ich musste in meinem Zimmer noch das Bett überziehen. Als ich die Bettwäsche aus dem Schrank im Flur holte, begegnete mir die schlanke Frau mit den blauen Augen wieder. Sie trug eine sehr dunkle, eng geschnittene Hose und einen schwarzen Pullover. Sie wirkte noch größer als vorher. Ich sah wieder in diese abgrundtief blauen Augen. Wir nickten uns zu, ich spürte Befangenheit.

      Die nervtötende Tätigkeit des Bettüberziehens ließ sie mich erst einmal wieder vergessen. Ein paar Dinge, die getan werden müssen, hasse ich. Ein Bett überziehen gehört dazu. Theoretisch weiß ich, wie es geht. Praktisch stimmt immer irgendetwas nicht. Entweder ist der Überzug für die Decke falsch gefaltet, oder die Decke ist zu breit oder zu lang oder irgendeine andere Katastrophe passiert, was allerdings den Faktor der Ablenkung von den wirklichen Problemen des Lebens sehr in die Höhe treibt. Mein Bett beim Militär gehörte stets zu den am schlechtesten bewerteten. Aber der Kopf wird frei von anderen Verwirrungen.

      Trotzdem blieb nicht aus, dass ich mich an Gundel erinnerte, eine kleine kompakte Blonde mit für die damalige Zeit außergewöhnlich kurz geschorenen Haaren, die bei meinem allerersten Seminar in diesem Hause am ersten Abend über mich hergefallen war und mich die restlichen fünf Tage und Nächte nicht aus ihren Fängen ließ. Kaum waren die Gemeinschaftsveranstaltungen beendet, schleppte sie mich in eine nicht einsehbare Ecke, um sich an mir auszutoben. Es gefiel mir, aber es erschöpfte mich und vermittelte mir ein völlig falsches Bild von dem, was mich zukünftig in dieser Bildungsstätte erwarten würde.

      Ich zog noch schnell Jeans und Hemd an und stieg die enge Treppe zum Seminarraum hoch. Sie war schon da, dunkle Jeans, strahlend weiße Bluse, durch die ihr dunkler Teint und ihre Augen noch verstärkt wurden. Wir begrüßten uns wieder mit einem Lächeln. Sie schien sehr neugierig auf die anderen Teilnehmer zu sein. Da waren ein älterer Mann und viele Frauen. Eine, die offensichtlich an Fettsucht litt, unterhielt sich intensiv mit einer Mittdreißigerin mit kräftiger Figur. Bei beiden fielen mir die enorm großen Brüste auf. Dieses Mal gelang es mir nicht, die weiblichen Teilnehmer in Hinsicht auf potenzielle Sexualkontakte durchzugehen. Einige hatten den „hungrigen Blick“, wie es mein vergangener Freund Robert auszudrücken pflegte. Dieses Mal ließen sie mich kalt. Ich hatte etwas Neues in mir entdeckt, was sich von der Magengegend her in meinem ganzen Körper ausbreitete. Es gelang mir nicht, dieses Etwas zu identifizieren oder gar es zu benennen. Es war beunruhigend wie Lampenfieber oder eine sich ankündigende Erkältung.

      An die Vorstellungsrunde habe ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen. Die fettsüchtige Frau hieß Lore, und sie sagte, sie habe Adipositas und ihr Arzt habe ihr verordnet, sehr viel zu trinken, weswegen sie ständig ihre Mineralwasserflasche an den Mund setzte. Sie schwitzte stark und erzählte von Prozessen, die sie gegen alle möglichen Menschen und vor allem ihren letzten Arbeitgeber führen müsse. Außerdem mache sie Feldenkrais und werde sich demnächst darin selbstständig machen. Ich hatte damals keine Ahnung, was Feldenkrais war und habe es in der Zwischenzeit wieder vergessen. Jedenfalls schien es für eine Gewichtsreduzierung nicht hilfreich zu sein. Ich stellte sie mir nackt vor: große Hängebrüste mit großen dunklen Warzenhöfen, kaum hervorstehende Brustwarzen, überhängender Bauch, säulenartige Beine und eine extrem behaarte Scham. Es gibt keine hässlichen Menschen, und sie hätte mich in anderer Umgebung auch erregen können. Ich hätte mir vorstellen können, dass ich mich über ihren massigen Körper hermache und ihre Falten und Öffnungen erforsche und mich schließlich in sie ergieße.

      Die andere kräftige Frau war Zahnärztin, sympathisch aber auf seltsame Weise distanziert. Meine Fantasien nahmen zwei Gestalten an: Opfer sexuellen Missbrauchs oder steht auf Frauen, oder beides.

      Alle anderen habe ich vergessen. Dann hörte ich sie. Es war ihre Stimme, die mich traf. Ich nahm sie nicht über den Gehörapparat auf. Sie kam irgendwo im Unterbauch an. Vielleicht war sie schon immer da und wurde plötzlich aktiviert. Ich spürte eine Art von Bekanntheit, die mich verwirrte. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, ich sei endlich angekommen, wo auch immer. Ich hatte etwas endlich erreicht, dem ich immer hinterher gerannt war. Es hatte mich gepackt.

      Beim Abendessen saß ich ihr gegenüber zwischen all den Frauen, die sich um mich gruppiert hatten, wie wenn sie mich einkreisen wollten. Es gab das übliche Ankomm-Abend-Nichtssagend-Wurst- und Käsegemisch. Ich hatte sowieso keinen Hunger. Es war wie immer ein vorsichtiges Abtasten, jeder bei jedem, bis sie mich auf meinen Ring ansprach. Er sei wunderschön und wo ich ihn her hätte. Ich erzählte, dass mir bei einer Auswahl von blauen Saphiren und Silber-Ring-Rohlingen bei diesem Sri-Lanka-Saphir sofort das Haben-wollen-schon-immer-meiner-Gefühl erschienen sei.

      Und dann sagte sie: „Warum weichst du mir eigentlich immer mit den Augen aus?“ Am Tisch vor allen traf es mich in die Magengrube.

      „Ich sag’s dir draußen, wenn du mit mir eine Zigarette rauchst.“ Ich hatte sie vorher rauchen sehen.

      „Ja, gehen wir“, sagte sie.

      Die anderen am Tisch tauschten wissende Blicke aus. Es war mir egal. Wir gingen in das winzige Treppenhaus gleich hinter dem Windfang, wo Rauchen erlaubt war. Ich bot ihr eine Zigarette an, versuchte schon während des Anzündens zu reden.

      „… weil ich befürchte, mich sonst in dich zu verlieben, ach scheiße, es ist schon passiert!“

      Sie grinste. „Mir geht es ähnlich“, sagt sie.