Single Malt Weihnacht. Matthias Deigner

Читать онлайн.
Название Single Malt Weihnacht
Автор произведения Matthias Deigner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754925966



Скачать книгу

Eltern und dann sah sie mich dort sitzen. Wie ein Haufen Elend immer noch in Decken gehüllt und so nah am Kamin, wie möglich. Mit meinem Whisky in der Hand und schon halb im Schlaf muss ich aber trotzdem irgendwie selig und zufrieden ausgesehen haben. Kathy musste lachen und um mich war es geschehen. Zehn Monate später haben wir geheiratet.

      Sagte ich schon, dass Kathy und Mull untrennbar sind? Jedenfalls kann ich ja im Grunde überall schreiben. Was brauche ich schon außer einem Laptop, einer Inspiration, WLAN – und Kathy? Ich bin eigentlich gar nicht mehr richtig weggefahren von Mull und lebe nun ebenfalls glücklich dort inmitten der Natur und manchmal auch inmitten der Touristen. Aber das ist in Ordnung. Die meisten, die nach Mull kommen, verbindet mit uns eine Liebe zur Natur und damit ist das ganz etwas anderes, als anderswo. Ich habe das sogar noch zu meinem Nebenberuf gemacht und biete Bootstouren zum Whalewatching an. Nicht nur die Gäste aus dem Bed und Breakfast machen das sehr gerne. Das Meer und besonders das Segeln hat es mir schon immer angetan. Allerdings ist das hier in den Hebriden schon eine ganz andere Nummer, als bei Hamburg. Dabei habe ich damals als Nordseesegler bereits ein wenig mit milder Herablassung auf die Tidenverweigerer in der Ostsee herabgeblickt. Na ja. Sowas ist wohl immer eine Frage der Perspektive. Letztes Jahr habe ich meinen Yachtmaster Ocean gemacht. Wir sind um Irland herum zu den Azoren gesegelt. Aber hier zwischen den Hebriden ist die Strömung, die Tide, das Wetter und der Wind tückisch genug, dass es für zwei Seglerleben ausreichend viele Herausforderungen gibt.

      So, wie am Weihnachtsabend letztes Jahr.

      Kathys Großmutter, Fionas Mutter, Aleen Macrae, war mit dem Flieger aus den USA über London in Glasgow gelandet. Sie wollte uns besuchen und mich endlich kennen lernen. Eigentlich ist sie schon etwas gebrechlich und war deswegen schon lange keine größeren Strecken mehr gereist. Aber schließlich hatte sie sich doch die Tour fest vorgenommen. »Ein letztes Mal«, hatte sie gesagt. »Ein letztes Weihnachten.« Wir wollten eigentlich zu ihr nach Kalifornien fliegen, aber sie hatte abgelehnt. »Die Heimat, ich will doch die Heimat nochmal sehen.« Das war aber an diesem Weihnachten unmöglich geworden. Es hatte über Nacht heftig geschneit und der Sturm nahm immer mehr zu. Der Fährbetrieb wurde am Morgen eingestellt und so saß die alte Dame nun allein im Hotel in Glasgow und konnte nicht nach Mull und wir konnten nicht zu ihr. Kathy brach es das Herz und das brach mir das Herz.

      Ich schaute aus dem Fenster und konnte durch das dichte Weiß nicht einmal mehr den Ben More erkennen. Ich blickte Kathy an. Ich glaube, sie hatte geweint. Noch ein Blick nach draußen und wieder auf Kathy und der Entschluss war gefasst. Aus Liebe kann man manchmal etwas unglaublich Dummes tun. »Scheiß drauf«, sagte ich.

      »Was?« Kathy schaute auf. Ich sah ihr in die Augen »Wir nehmen das Boot.« »Mitten im Winter und bei dem Wetter? Du bist verrückt!« Sie sagte das, aber ihre Augen sagten etwas anderes. »Wir lassen deine Oma da nicht alleine sitzen. Was soll schon sein?«

      Was sollte schon sein? Wir hatten ein wirklich modernes Boot. Kartenplotter, AIS, Radar, natürlich Funk. Und einen starken Diesel für den Fall, dass man nicht Segeln konnte. So wie jetzt.

      »Ist nur eine kurze Fahrt.« Ich versuchte, zuversichtlicher zu klingen, als ich war. »Wir nehmen einfach für die ganze Strecke bis zum Hafen in Oban den Diesel und dann ein Taxi nach Glasgow. Kein Ding. Abendessen mit deiner Großmutter.«

      Bereits nach dem Runden der Mole und dem Verlassen des Hafens in Tobermory traf uns der Sturm mit voller Kraft. Kathy hatte sich an der Sorgleine eingepickt und hielt tapfer das Steuerrad, während ich noch die Instrumente checkte. »Oh je«, schrie sie, um den Wind zu übertönen »ich habe so einen Druck auf dem Ruder, das glaubst du nicht.« Ich übernahm kurz und dafür, dass wir keine Segel oben hatten, war der Druck wirklich unglaublich. »Wir fahren die längere Route, nördlich um die Insel, dann haben wir den Wind nur kurz von der Seite und sind nachher die ganze Zeit im Windschatten der Insel.« Kathy nickte. »Ich berechne uns einen neuen Kurs«, sagte ich und gab ein paar Zwischenmarkierungen in den Kartenplotter ein. Es ging zügig vorbei am Loch Sunart, der eigentlich eher ein Fjord ist und rund um die unbewohnte Nordspitze von Mull. Dann nach Südwesten. Querab Calgary konnten wir im Schneetreiben die Küste schon nicht mehr erkennen. »Jetzt einfach den Kurs halten und wird sind heute Nacht noch in Nordirland«, scherzte ich. Kathy sah mich mit gerunzelter Stirn an. Nach Scherzen war ihr nicht zumute. Sie sieht übrigens sehr süß aus mit gerunzelter Stirn. Manchmal bin ich etwas unsensibel. Ich setzte noch einen drauf: »Natürlich reicht der Diesel nicht bis dahin. Also wird’s bei dem Wind eher Halifax in Kanada. So in 2 Wochen dann.« »Ha, ha, sehr lustig«, machte Kathy und konzentrierte sich wieder auf das Display mit Karte und Kurs. Ein paar Minuten schwiegen wir. Das Anschreien gegen den Sturm war einfach zu anstrengend. »Ich mach uns mal einen heißen Kaffee«, sagte ich und nahm den Niedergang. Kaum war ich unten, rief Kathy mir hinterher und ihre Stimme ließ mir die Nackenhaare aufstellen. »Du Idiot! Das ist jetzt kein bisschen lustig! Mach das wieder an!« Ich hatte keine Ahnung, was ich getan haben sollte, und enterte wieder auf. »Alles in Ordnung?«, fragte ich und sah schon an Kathys Gesicht, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Stumm zeigte sie aufs Display. Dunkel. Kein Kurs. Keine Karte. »Mist. Ich war das aber nicht.« Ich war beunruhigt aber nicht zu sehr. »Sicher nur ein Wackelkontakt. Moment.« Ich verschwand wieder im Niedergang, um unter Deck nach der Ursache zu suchen, und hätte mir fast den Hals gebrochen. Die Kajüte war absolut dunkel. Ich fluchte. »Dauert etwas.« Rief ich Kathy zu. »Bleib erstmal auf Kurs, das hält uns von der Küste ab.« Ich öffnete die kleine Klappe in der Treppe vom Niedergang und wühlte in dem Fach nach einer Taschenlampe. Man ist ja präpariert. Im Kopf überschlug ich die Entfernung zur Küste. Die war im Moment keineswegs das rettende Ufer für uns, sondern eine tödliche Bedrohung. Das schlimmste, was einem Boot bei Sturm passieren kann, ist nicht, aufs offene Meer getrieben, sondern unter Land gedrückt zu werden. Und Mull hat auch noch Klippen an der Westseite. Da, die Taschenlampe! Ich knipste sie an und sag auf den ersten Blick das Unheil. Der Boden der Kajüte stand fünf Zentimeter tief unter Wasser. Ich kletterte wieder an Deck. »Kathy, wir haben ein Problem. Das Boot nimmt Wasser. Die Elektrik ist ausgefallen.« Kathy erstarrte. Man muss fairerweise sagen, dass Kathy eigentlich nur mir zuliebe mit dem Boot fährt. Sie wird zwar nicht seekrank, aber sie hat ein wenig Angst vor dem Wasser. Trotzdem hat sie ihren Bootsschein gemacht und begleitet auch gerne die Ausflugstouren. Sie liebt die Delphine. Das hilft. Aber jetzt hatte sie echte Angst, das sah ich ihr an. Ich versuchte, umso sorgloser zu wirken, um sie nicht noch mehr zu belasten. »Wird schon«, sagte ich. »Ich lenze das und rufe die Küstenwache, sobald wieder Strom da ist.« Das hätte ich besser nicht gesagt. Bis dahin hatte Kathy noch gar nicht realisiert, dass auch das Funkgerät tot sein musste. Ebenso wie das Radar und unser Signalgeber, das AIS. Ich lächelte ihr beruhigend zu und machte mich wortlos an die Arbeit. Zuerst lenzen.

      Ich bediente die Hand-Lenzpumpe, deren Griff in der Backskiste im Cockpit noch problemlos zu erreichen war. Ich lenzte einige Minuten. Vor, zurück, vor, zurück. Der Rhythmus des Pumpens und das Gefühl, dass mit jedem Zug am Hebel einige Liter Wasser von Bord gingen, hatte zunächst etwas Beruhigendes. Im Schein der Taschenlampe konnte ich aber erkennen, dass das Wasser unter Deck nur unwesentlich oder gar nicht weniger wurde. »Ok, ich muss das Leck stopfen, wir nehmen zu schnell Wasser.« Ohne Kathys Reaktion abzuwarten, verschwand ich mit der Taschenlampe unter Deck. Hier mussten doch irgendwo die Leck Stopfen sein? Da. Ok, jetzt systematisch das Leck suchen. Ich stapfte durch das inzwischen wohl schon sieben Zentimeter hohe Wasser und hob die Bodenabdeckung in der Kajüte hoch. Erst in der Mitte, dann weiter vorn. Natürlich waren alle Schächte darunter ebenfalls voll Wasser und die Kabelverbindungen waren überspült. Da! Ein länglicher Riss im vorderen Bereich. Wir mussten unbemerkt irgendein Treibgut gerammt haben. Müßig, darüber nachzudenken, was da wohl bei jemandem über Bord gegangen war und wie viel Pech es war, in all diesem Wasser genau darauf aufgelaufen zu sein. Ich fluchte. Bei dieser Form des Lecks würden mir die Leckstopfen nichts helfen. Stattdessen watete ich ganz nach vorn bis zur Schlafkoje und raffte eine Decke an mich. Wieder zurück beim Leck drückte ich die Decke auf den Riss und warf zum Beschweren Schraubenschlüssel aus meinem Werkzeugkoffer darauf. Die Decke sog sich voll. Ich atmete auf. Besser als nichts.

      Ich fing wieder an zu lenzen. Diesmal gelang es mir, das Wasser ein paar Zentimeter nach unten zu bringen. Allerdings nur das. Offenbar benötigte die Decke einen gewissen Wasserdruck von oben, um das Leck soweit zu