Aus dem Schatten meines Borderliners. Betty Paessler

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Название Aus dem Schatten meines Borderliners
Автор произведения Betty Paessler
Жанр Сделай Сам
Серия Vom Leben & Glücklichsein trotz einer psychischen Erkrankung
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783750231696



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       Das bildest du dir nur ein

       Was du immer hast

       Mach dich nicht wichtiger, als du bist …

      Wie oft ich diese Sätze wohl schon gehört habe. Heute weiß ich: zu oft!

      Doch was können Angehörige tun?

      Nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Partner, Familie und Freunde ist das Leben mit einem Menschen mit Borderline-Persönlichkeitssyndrom eine große Herausforderung. So haben meine Stimmungsschwankungen häufig für Unverständnis und Belastung der zwischenmenschlichen Beziehung gesorgt. Schon der Gedanke daran, wie es meinen Kindern im Umgang und Zusammenleben mit mir gegangen sein muss, ist für mich sehr hart und ich schäme mich auch dafür, dass sie mir und meinen Verhaltensauffälligkeiten so lange ausgeliefert waren. Nicht, dass ich ihnen körperlich etwas angetan hätte, um Gottes willen. Ich liebe meine Kinder sehr und wollte ihnen auch niemals etwas Böses, aber ich konnte sie vor den psychischen Belastungen durch mich nicht schützen. Leider war auch niemand aus meinem Umfeld für sie da. Erst als Sophie in mein Leben trat, wurde es auch für meine Kinder erträglicher, denn ihr Vater war nicht in der Lage, mit meinem psychischen Problem umzugehen oder sich Hilfe zu holen. Von ihm stammen die zuvor aufgeführten Sätze und erst als ich meine Frührente bezog, war diese Erkrankung für ihn relevant. Aber auch dazu später mehr.

      Und gerade deshalb ist es wichtig, sich als Angehöriger und Partner zuallererst gut über die Erkrankung zu informieren. Dies ist eine wesentliche Grundlage, damit 'Gesunde' ein besseres Verständnis für Borderline-Patienten entwickeln können. Auch können Unsicherheiten im Umgang mit 'uns' aus dem Weg geräumt werden und sie werden lernen, das schwierige Verhalten der Erkrankten nicht persönlich zu nehmen, denn die Ursache ist die Erkrankung, nicht der Mensch. Den Borderliner bei seinem Weg durch die Therapie zu begleiten und ihn zu unterstützen, erfordert viel Kraft und daher sollten Angehörige oder Partner immer auch ihr eigenes Wohl im Blick behalten.

      Auch sie brauchen Hilfe und Unterstützung und es kann schon sehr hilfreich sein, sich mit anderen Angehörigen auszutauschen oder ein sogenanntes Angehörigen-Seminar zu besuchen.

      Hier ein Beispiel für eine Website:

       www.borderline-plattform.de/angehoerige

      Das Portal für Partner und Angehörige von Borderline-Betroffenen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

      Egal, was um dich herum passiert,

      nimm es nicht persönlich.

      Nichts, was andere Leute tun,

      passiert wegen dir,

      sondern wegen ihnen selbst.

      (Miguel Àngel Ruiz)

      2

      Hinter dem Vorhang des Schweigens

      „Warum bekommt denn die Mutti ihre Spangen nochmal? Wann kommt sie denn endlich nach Hause?“ So oder so ähnlich waren meine Fragen an meinen Vater, als ich auf der Kommode im Schlafzimmer die Sachen meiner Mutti entdeckte. Die hatte sie doch alle schon mit ins Krankenhaus genommen!

      Aber ich erhielt keine Antwort. Auch meine Fragen, warum die Mutti so lange im Krankenhaus war und warum ich sie nicht besuchen durfte, blieben unbeantwortet. An die genauen Ausreden kann ich mich nicht erinnern; wenn ich überhaupt jemals welche gehört habe.

      Doch ich, damals gerade einmal 8 Jahre alt, erinnere mich an diesen einen Tag, der den Boden unter meinen Füßen so derart ins Wanken brachte, dass ich mich nie mehr vollkommen davon erholen sollte:

      Ich saß im Wohnzimmer und spielte mit meinem Meerschweinchen, als mein Vater zu mir ins Wohnzimmer kam. Muckl, ein braun-weißes Rosettenmeerschweinchen, hatte ich von meinen Eltern zur Einschulung geschenkt bekommen. Es wurde von mir gekämmt, herumgetragen und musste in einem Puppen-Gitterbettchen mit rosa Rüschenhimmel schlafen. Meine Omi hatte mir extra eine wasserdichte Einlage in das Puppenbettchen gelegt, weil Muckl mit Vorliebe hinein zu pieseln schien.

      Schon bei seinem Eintreten spürte ich diese große Anspannung und augenblicklich bekam ich ein mulmiges Gefühl. Warum sich dieser Moment so sehr in mein Gehirn gebrannt hat, konnte mir nie jemand schlüssig erklären. Aber es ist, als kniete ich wieder vor diesem Bettchen und ich bin in der Lage, alle Gegenstände im Wohnzimmer so wiederzugeben, wie sie tatsächlich vorhanden waren. Die Musiktruhe an der Wand, die Blumen auf dem Wohnzimmertisch, die Anordnung der Bilder in der Schrankwand und sogar der Vorhang hinter der Tür zum Esszimmer, der das Bücherregal meiner Mutti verdeckte, in dem sie ihre Readers Digest Büchersammlung aufbewahrte, ist in meiner Erinnerung so deutlich, als würde ich gerade vor ihm stehen.

      Jetzt werden einige denken, dass die Einrichtung des Wohnzimmers mich ja viele Jahre begleitet hat und es nicht außergewöhnlich ist, dass ich mich daran erinnere. Dem stimme ich völlig zu. Jedoch habe ich Jahre später einmal mit meiner Omi und einer 'Tante' darüber gesprochen und zum Beispiel gerade im Hinblick auf den Blumenstrauß auf dem Tisch waren beide mehr als erstaunt. Denn bei diesem Strauß handelte es sich um einen 'Beileidsstrauß', den mein Vater an diesem Morgen geschenkt bekommen hatte und der gerade einmal eine Woche in unserem Wohnzimmer stand. Es gab nie Fotos von ihm, auf denen ich ihn hätte sehen können oder ihn mir deswegen gemerkt hätte.

      Doch ich erinnere mich an alle Gegenstände, als wäre es gestern gewesen. Die Erinnerung scheint unauslöschlich auf meine Festplatte gebrannt zu sein. Auch meine Gefühle habe ich nie wieder vergessen können, wobei mir das gesprochene Wort nur aus Erzählungen und nicht aus meiner eigenen Erinnerung heraus bekannt ist.

      Mein Vater betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich (was mehr als ungewöhnlich war), nahm in seinem Fernsehsessel Platz und wandte sich mit verschränkten Fingern zu mir.

      „Püppi, ich muss dir etwas sagen“, waren seine Worte, bevor er zu schluchzen begann. Ich bin zu ihm gegangen und habe ihn in den Arm genommen. „Nicht weinen, Vati. Alles wird wieder gut“, soll ich zu ihm gesagt haben. Er hat mir später immer wieder davon erzählt, wenn seine Trauer ihn übermannte.

      „Die Mutti ist jetzt bei den Engeln. Aber sie wird trotzdem immer bei dir sein, vergiss das nie!“ Noch heute lösen diese Worte in mir ein Gefühl des Verlassenwerdens aus. Warum hat sie mich verlassen und war bei den Engeln? War ich schuld daran, dass sie gegangen war?

      In mir ist eine Welt zusammengebrochen und ich fühlte mich unendlich schuldig. Ich schämte mich, weil sie mich zurückgelassen hatte. Sie liebte mich nicht, weil ich nicht gut genug war. Ich hatte sie enttäuscht. Sie war gegangen, ohne mich mitzunehmen. Was hatte ich denn getan?

      An diesem Tag bin ich innerlich zerrissen und habe mich nie mehr davon erholen können. Mir wurde bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen und bis zur Geburt meiner Kinder hat nichts diese blutende Wunde heilen können.

      Danach verschwimmt meine Erinnerung. Da waren nur noch dieser Schmerz und ein tiefes schwarzes Loch, das mich immer weiter in die Tiefe zog. Ich schrie ihn an: „Du lügst!“ und schlug auf ihn ein.

      Nach Jahren erzählte mir meine Schwester, dass ich aus dem Zimmer gerannt sei und danach für Monate kein einziges Wort mehr gesprochen hätte. Alle waren in großer Sorge um mich und auf meine Frage, ob sie denn mit mir bei einem Psychologen gewesen wären, antwortete sie mir zunächst gar nicht und später, auf immer wiederkehrende Nachfrage, dass die Familie beschlossen hätte, abzuwarten. So verhielte sich bestimmt jedes Kind nach dem Tod eines Elternteils. Das wäre normal und ich würde mich wieder beruhigen.

      Doch ich bekam Fieber und zudem entzündeten und verschorften sich meine Lippen derart, dass ich nur noch flüssige