Schnitt. Carl Wolf

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Название Schnitt
Автор произведения Carl Wolf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754132708



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Unverschämtheit ist mir selten untergekommen. Ich habe heute aber schon genug Ärger hinter mir und verzichte darauf, ihn zur Sau zu machen. Voller Wut drücke ich den Bereitschaftstaster für die Alarmanlage und schalte sie scharf. Augenblicklich ertönt der durchdringende Ton der Warnsirene und die im Haus verbauten Stroboskoplichter verteilen ihr Blitzlichtgewitter.

      Der Techniker dreht sich grinsend zu mir um. Er hebt einen Daumen in die Höhe und ruft zu mir herüber: „Die Bodensensoren funktionieren astrein. Super Anlage. Sag ich doch.“

      Er läuft weiter zum Tor und wartet, bis ich ihm öffne.

      Ich schalte die Anlage ab und lasse ihn gehen.

      In meiner Hosentasche vibriert das Handy. Ich schaue auf das Display. Lutz Berner, mein Assistent.

      „Was wollen Sie?“, melde ich mich grußlos.

      „Herr Norden, Entschuldigen sie bitte, dass ich störe. Aber die Koreaner fragen nach, ob es bei dem Termin zur endgültigen Vertragsunterzeichnung heute Abend bleibt.“

      „Selbstverständlich. Was soll die blöde Frage? Haben Sie die Verträge vorbereitet?“, herrsche ich ihn an.

      „Die habe ich in ungefähr fünfzehn Minuten fertig, Herr Norden.“

      „Dann bis später!“

      Ich lege auf.

      Den Termin hatte ich bei der Aufregung tatsächlich fast vergessen. Hastig packe ich meine Sachen zusammen und verlasse das Grundstück. Mit durchdrehenden Rädern schießt mein Auto Richtung Stadt.

      Ich muss weg.

      Vorerst fühle ich mich hier nicht mehr sicher.

      11

      Meinen Hang zur fokussierten Selbstständigkeit habe ich in die Wiege gelegt bekommen, mit der Muttermilch aufgesogen und war Unterrichtsfach Nummer eins in den ersten Jahren meines Lebens. Meine Mutter war Partnerin einer alteingesessenen Anwaltskanzlei. Ab einem gewissen Jahresnettoeinkommen ändert sich die Rechtslage vor Gericht. Bei entsprechenden Entschädigungszahlungen oder so deklarierten freiwilligen Spenden, fällt ein Urteil bekanntlich anders aus als bei einem gewöhnlichen Menschen, wenn es zum Urteil kommt. Mit einem Vergleich kauft man sich sein eigenes Recht. Das war schon immer so und das wird immer so bleiben.

      Die Kanzlei meiner Mutter vertrat das Geld. Sie war findig in ihrer Argumentation vor Gericht und hatte immer eine Lösung parat. Im Interesse ihrer Mandanten, unter dem Deckmantel des allgemeinen Interesses. Sie war ein Arbeitstier, stand noch zwei Stunden vor meiner Entbindung im Gerichtssaal. Erfolgreich versteht sich. Das bekam ich früher bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu hören.

      Mein Vater besaß eine Immobilienfirma. Von ihm habe ich das erbarmungslose Verhandeln um Verkaufspreise gelernt.

      Beim Geschäft gibt es klare Regeln. Keine Freunde und keine Verwandten. Jede Ware hat ihren Preis. Wer Freundschaftsdienste leistet, ist kein Geschäftsmann, ist weich und ein Verlierer. Das war seine Devise und die ist zu meiner geworden.

      Ich wurde zum Siegen erzogen. Jede Chance muss genutzt werden, um zu gewinnen. Egal ob beim Sport, Spiel oder im Geschäft. Das trainierten wir täglich.

      Mein erster Trainingspartner war mein drei Jahre jüngerer Bruder Maximilian. Wir haben heute keinen Kontakt mehr.

      Meine Eltern verunglückten beim Höhlentauchen in Südfrankreich. Sie wurden für tot erklärt, ihre Leichen nie gefunden. Ich war damals gerade fünfundzwanzig Jahre alt geworden, hatte mein Studium abgeschlossen, ein paar Praktika absolviert und spielte mit dem Gedanken mich selbstständig zu machen. Nun musste ich die Firma meines Vaters übernehmen. Aber Immobilien waren nicht mein Ding.

      Nach einem Jahr verkaufte ich das Geschäft, zahlte meinen Bruder aus und gründete meine eigene Existenz.

      Zusammen mit Clemens Richter, den ich beim Studium kennengelernt hatte. Er hatte die Ideen, ich das Geld. Gemeinsam entwickelten wir eine Software, die Bedürfnisse von potenziellen Kunden erkennt und bestehende Produktionsprozesse darauf prüft, mit welchem Aufwand auf neue Ansprüche eingegangen werden kann. Farben und Designs sind immer dem Modetrend unterworfen. Momentaufnahmen des allgemeinen Geschmacks. Ein stetiger Wandel, der ein schnelles Reagieren erfordert, um Kunden einzufangen und zu halten. Manchmal ist es nur eine Farbnuance oder ein etwas mehr geschwungener Bogen, der einen anspricht und den Unterschied ausmacht. Die Software war damals einmalig und wir fanden in der Automobilbranche mehrere Interessenten dafür.

      Wir nannten sie „Chamäleon +“ und verkauften sie an die vier größten deutschen Autohersteller gleichzeitig, inklusive Wartungsvertrag.

      Mit dem Gewinn konnten wir Leute einstellen und eine größere Büroetage anmieten.

      12

      Auf dem Weg zu meiner Wohnung fahre ich in der Firma vorbei. Der Abschluss mit den Koreanern ist wichtig. Der asiatische Automobilmarkt boomt gewaltig. Neben den etablierten japanischen Herstellern haben die ehemals minderwertig produzierten Marken aus dem restlichen asiatischen Raum, erheblich aufgeholt. Mittlerweile entstehen dort passable Fahrzeuge, die dank ihres unschlagbaren Preises, kontinuierlich den amerikanischen und europäischen Markt erobern. Mit dem entsprechenden Know-how können sie ihren momentanen Status weiter festigen und verbessern. Meine Software gehört zu diesem Know-how. Und wenn die Koreaner sie kaufen, wird es nicht lange dauern, bis weitere Interessenten aus Asien folgen.

      Als ich die Firmenräume betrete, kommt mir Lutz Berner sofort diensteifrig entgegengelaufen. Wie immer akkurat gekleidet, im Maßanzug, mit Krawatte, Hemd und Scheitel. Berner ist der perfekte Assistent. Akribisch in der Arbeit, keine eigene Meinung an den Tag legend, befolgt er unbedingt meine Anweisungen. Er ist Tag und Nacht erreichbar und ohne zu murren, erledigt er alles, was ich ihm auftrage. Privatleben gibt es für ihn scheinbar nicht. Er wirft einen kurzen Blick auf meinen haarlosen Schädel, geht aber mit keinem Wort darauf ein.

      „Ich habe die Verträge fertig. Sie können sie prüfen, Herr Norden. Möchten sie einen Kaffee?“

      „Nein. Die Verträge bitte.“

      Rasch überfliege ich sie .

      „Da ist noch etwas.“

      Fragend hebe ich die Augenbrauen.

      „Die Koreaner waren heute Morgen bei JM-Prog zu Besuch.“

      JM-Prog ist unsere größte Konkurrenz auf dem heimischen Softwaremarkt. Der Firmenname ergibt sich aus Jan Mayerhofer Programme. Mayerhofer ist ein ehemaliger Angestellter meiner Firma, dem ich nach einem langen Rechtsstreit, der in einem Vergleich endete, gekündigt hatte. Er versucht mir in meiner Branche das Wasser abzugraben. Bisher erfolglos, aber man muss ihn im Auge behalten.

      „Woher wissen sie das?“, frage ich Berner.

      „Der Portier des Hotels, in dem die Koreaner wohnen, ist ein guter Bekannter von mir. Er hat denen ein Taxi bestellt, als Zieladresse JM-Prog. Er rief mich an, weil er glaubte es würde mich interessieren.“

      „Sie haben gute Bekannte?“, frage ich, während ich das Telefon zur Hand nehme und die Nummer von Jan Mayerhofer wähle. Eine Frauenstimme meldet sich.

      „Herr Mayerhofer ist in einer wichtigen Besprechung. Wenn sie ihre Nummer hinterlassen ruft er sie zurück“, flötet sie mir ins Ohr.

      Die Assistentin scheint neu bei Mayerhofer zu sein und kennt mich demzufolge noch nicht.

      „Wenn sie mir nicht augenblicklich den Mayerhofer ans Telefon holen, komme ich vorbei und dann haben wir beide eine Besprechung, die sie ihren Lebtag nicht vergessen werden!“, donnere ich zurück.

      Sie schnappt vor Schreck hörbar nach Luft.

      „Wie war ihr Name doch gleich?“, kommt es mit piepsiger Stimme.

      „Ist schon in Ordnung“, ertönt es im Hintergrund,