Kullmann und das Lehrersterben. Elke Schwab

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Название Kullmann und das Lehrersterben
Автор произведения Elke Schwab
Жанр Языкознание
Серия Kullmann-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750237292



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up-to-date sein.«

      »Du müsstest dich mal selbst sehen. Dann würde dir dein Up-to-date-Gefasel im Hals stecken bleiben.«

      »Meine Güte! Hast wohl noch nicht deine Dröhnung für heute bekommen!«

      Laug stutzte. Dieser Angriff traf in unerwartet. Er dachte, er wäre immer so vorsichtig. Ab sofort musste er sich mehr zurücknehmen und seine Pausen sichtbar für alle auf dem Schulhof verbringen. Aber nicht heute. Heute war so ein Tag, an dem man sich keine Selbstkasteiung antun sollte.

      »Was willst du loswerden?«, brummte er unwillig, in der Hoffnung, auf diese Weise das Gespräch schnell hinter sich zu bringen.

      »Das war die Hölle heute Morgen«, begann Dobler. »So was passiert, wenn der Hausmeister seine Arbeit nicht richtig macht. Der Dicke wird jetzt sein Fett wegbekommen. Das geschieht ihm gerade mal recht.«

      Günter Laug nickte geistesabwesend.

      Der Gedanke war ihm auch schon gekommen. Oder genauer gesagt die Befürchtung. Denn Ernst Plebe war wichtig für Laug. Er mochte und brauchte den Dicken. Plebe war der einzige, mit dem Laug regelmäßig in den hinteren Räumen der Turnhalle einen hob. Dort hatte der Hausmeister einen geheimen Kühlschrank, in dem immer genügend Bier bereitstand. Für einen Euro verkaufte er die Flasche. Dabei handelte es sich sogar um Halbliterflaschen. Da war noch was drin. Die waren nicht schneller leer, als man sie geöffnet hatte.

      »Da wird sich der Dicke mal umsehen, wenn er seinen Job verliert«, hörte er gerade Dobler sagen. »So einer findet nirgends mehr Arbeit.«

      »Nun mal langsam mit den jungen Pferden. So schnell fliegt hier keiner raus«, bremste Laug den Redefluss seines Gegenübers.

      »Das war aber eine Pflichtvernachlässigung im höchsten Ausmaß. Wenn das kein Entlassungsgrund ist«, sprach Dobler weiter. »Ich war dabei, als die Schüler den Toten entdeckt haben. Zum Glück. Ich konnte das Schlimmste gerade noch verhindern. Ein paar der älteren Schüler wollten die Leiche von Bertram Andernach abseilen. Und weiß Gott, was dann alles passiert wäre.«

      »Wie? Du willst mir sagen, dass du eine Horde wild gewordener Schüler bändigen konntest?«

      »Genau das! Es war nicht einfach, aber ich habe gekämpft wie ein Stier und mich am Ende durchgesetzt!« Dobler wuchs nach seinem letzten Satz bestimmt zwei Zentimeter.

      »Dann muss ich mich vor dir ehrfürchtig verbeugen«, gab Laug sarkastisch zurück. »So viel Heldentum muss gebührend geachtet werden.«

      »Was soll das heißen? Zweifelst du an meinen Worten?«

      »Genau das! Schau dich doch an! Wie willst du Schüler abwehren, die einen halben Meter größer sind als du?«

      »Idiot«, schimpfte Dobler. »Trink dein Bier, dann wirst du verträglicher.«

      Genau das hatte Laug jetzt vor. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und setzte den Weg zur hinteren Turnhalle fort.

      Der futuristische Neubau lachte ihn schon von weitem an – vielmehr das, was sich darin verbarg. Sein Durst siegte auch über seine Vorsicht, unbemerkt dort anzukommen. Zielstrebig trat er auf die Tür zu, sperrte auf und ging hinein. Die Ruhe, die ihm in Inneren entgegenschlug, war eine Wohltat. Schnell eilte er durch den langen, schmalen Gang, der zu seinem Leidwesen an der äußeren Glaswand zum Sportplatz entlang verlief, so dass die Schüler ihn beobachten konnten. Die Sonne verstärkte die Hitze unter dem Glas. Laug schwitzte. Lag es an dem Gefühl, beobachtet zu werden oder daran, dass die Sonne so unbarmherzig brannte?

      Er war froh, endlich in den dunklen Räumen untertauchen zu können, wo ihn niemand mehr sah. Dort steuerte er das Kämmerchen an, in dem er sich regelmäßig mit dem Hausmeister traf.

      Außer heute.

      Was soll’s, dachte sich Günter Laug, nahm die erste Flasche aus dem Kühlschrank und trank sie in großen Schlucken leer. Sofort fühlte er sich besser. Der Schock über den grässlichen Anblick des Kollegen rückte endlich in weite Ferne.

      Kapitel 11

      Jürgen Schnur und Erik Tenes trafen vor den Kollegen im großen Sitzungssaal ein. Sie setzten sich ans Kopfende, nahmen die wenigen Papiere, die vom Sekretariat über den Mordfall zusammengestellt worden waren, und warteten.

      In die Stille fragte Schnur: »Hat Anke sich schon bei dir gemeldet?« Mit dieser Frage traf er voll ins Schwarze. Erik spürte, wie alle seine Emotionen, die er in letzter Zeit zu verdrängen versucht hatte, wieder hochkamen. Anke Deister, die Kollegin, die mit ihm im Team arbeitete, die für Erik mehr war als nur eine Arbeitskollegin. Sie war zu einer Weiterbildung nach Frankreich ausgebrochen, die nicht wirklich nötig gewesen wäre. Kullmann hatte sie begleitet. Ihn zu fragen war ihr nicht in den Sinn gekommen, was in Erik eine heftige Eifersucht auslöste, über die er nicht sprechen wollte. Zu viele alte Wunden könnten aufgerissen werden.

      »Nein«, gab Erik zu.

      »Das verstehe ich nicht«, wunderte sich Schnur. »Ich dachte immer, ihr beiden versteht euch.«

      »Dachte ich auch«, grummelte Erik und bemühte sich, seine wahren Gefühle vor seinem Vorgesetzten zu verbergen.

      Doch Schnur wusste es bereits. Er war ein Fuchs. Ihm konnte Erik so schnell nichts vormachen.

      »Das ist natürlich ungeschickt, denn ich habe darauf gebaut, dass Anke dich immer auf dem Laufenden hält, was in Frankreich passiert.«

      Erik schluckte schwer. Genügte es nicht, dass er selbst enttäuscht war? Musste Schnur noch zusätzlich seine Enttäuschung über ihn ausdrücken? Seit Ankes Fortgang nach Frankreich fühlte sich Erik innerlich zerrissen. Die Frage, was er falsch gemacht haben könnte, quälte ihn. Von ihr hatte er nicht die geringste Andeutung bekommen, warum sie diese Dienstreise überhaupt angetreten hatte.

      Ein Klopfen an der Tür unterbrach die unangenehme Situation. Erleichtert schaute Erik auf und sah eine fremde Frau den Raum betreten. Zu seinem Erstaunen reagierte Schnur auf sie, als würde er sie schon lange kennen. Damit schien für den Augenblick das leidvolle Gespräch vergessen.

      »Andrea Westrich«, rief Schnur aus, erhob sich und ging auf die Frau zu. Sie war groß und kräftig. Ihre dunklen Haare wurden von einigen grauen Strähnen durchzogen. Große, mandelförmige Augen strahlten Ruhe und Zuversicht aus.

      Erik beobachtete sie von seinem Platz aus und musste sich eingestehen, dass ihm diese Frau auf Anhieb sympathisch war.

      »Ja, inzwischen heiße ich tatsächlich wieder Westrich«, erklärte die Frau lachend.

      »Was soll das heißen?«

      »Ich war mal verheiratet und bin zu meinem Ehemann nach Berlin gezogen. Bestimmt zehn Jahre habe ich es mit ihm in der großen Stadt ausgehalten. Dann wurde meine Ehe glücklich geschieden, ich nahm meinen Mädchennamen wieder an und bin ins Saarland zurückgekehrt«, erklärte die Frau mit warmer, herzlicher Stimme.

      »Tja! Wir Saarländer können einfach nicht von unserem kleinen Bundesland lassen.«

      »Meine Tochter ist bei ihrem Vater in Berlin geblieben«, fügte Andrea an. Ihre Stimme bekam dabei einen wehmütigen Klang. »In Berlin geboren, fühlte sie sich wohl wie eine echte Berlinerin.«

      Schnur nickte nur, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte.

      »Was ist aus deinen großen Plänen geworden?«, fragte Andrea, um die peinliche Stille schnell wieder zu unterbrechen. »Wolltest du nicht mal zum FBI nach Quantico?«

      Erik schaute interessiert auf.

      Schnurs Gesicht rötete sich, als er antwortete: »Ja ja! Unsere Träume … Sie haben zumindest den Vorteil, dass wir das Beste aus unserer Situation machen. Jetzt bin ich Dienststellenleiter und damit auch zufrieden.«

      »Was macht deine Familie?«

      »Meine Tochter studiert in Tübingen – nicht weit genug weg von zuhause. Jedes Wochenende