Adelsspross. Katharina Maier

Читать онлайн.
Название Adelsspross
Автор произведения Katharina Maier
Жанр Языкознание
Серия Die Erste Tochter
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752931006



Скачать книгу

Tage später war die Nachricht, die die Erste Dienerin meiner Mutter gebracht hatte, in aller Munde: Ktorram Asnuor war zum Obersten Priester gewählt. Das gesamte Reich summte vor Aufregung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Asnuor außerhalb des Tempels kaum von sich reden gemacht. Dass er ein Monowyist war, löste milde Konsternierung aus, aber hauptsächlich waren die Leute einfach zum Platzen neugierig auf ihr neues geistliches Oberhaupt. Von keiner Seite, weder aus den Reihen meiner Familie noch aus den Medien, hörte ich ein Echo des Entsetzens, das der Name Asnuor bei Mutter ausgelöst hatte, oder wenigstes von Vairrynns stirnrunzelnder Besorgnis. Was man jedoch sehr bald hören konnte, war Unmut, ja, Ärger. Ktorram Asnuor ließ sich denkbar viel Zeit mit der Terminbekanntgabe für seine Einführungszeremonie, und wir Nchrynnai – wie wir Singisen uns selbst nennen – tun nichts ohne eine Zeremonie. Die Leute, vom Freudenmädchen bis zum Parlamentsmitglied, fühlten sich durch Asnuors Zögern mehr als vor den Kopf gestoßen.

      »Worauf wartet dieser Asnuor eigentlich?«, empörte sich mein Onkel Zernteyb, der jüngste Sohn des alten Neoly, einmal meinem Vater gegenüber. »Was glaubt er denn, wer er ist? Die Manifestation Wys, die ungeweihte Augen nicht schauen dürfen? Der soll sich nicht so aufführen, dieser eingebildete Monowyist! Wie konnten sie nur auf die hirnverbrannte Idee kommen, diesen Kerl zum Obersten Priester zu wählen? Ich glaube, diesem selbstgerechten Überflieger gehören die Flügel gestutzt! Was meinst du, Eftnek, wie lange Vater sich das Ganze noch anschaut?«

      »So lange, wie es dauert«, entgegnete mein Vater. »Die Großen Alten haben sich noch nie in die Angelegenheiten der Geistlichkeit eingemischt, und Vater hält nichts davon, fremde Schlachten zu schlagen, das weißt du doch ganz genau.«

      »Du glaubst also tatsächlich, dass der alte Ränkeschmied diesem Möchtegern-Priester das Feld überlassen wird?«, fragte Zernteyb.

      »Sein Feld, ja«, meinte Vater, und so verloren die beiden sich in einer Diskussion über den Jemand, der sich allemal noch besser für die Lästereien der Neoly-Brüder eignete als der leutscheue Oberste Priester.

      »Was hältst du von der ganzen Sache?«, fragte Vairrynn wenige Tage später Mutter. »Was hat dieser Asnuor vor?« Vairrynn kam mit solchen Fragen immer zu Mutter.

      »Er will, dass man über ihn redet«, antwortete sie.

      »Aber es bringt ihm doch nichts, wenn die Leute schon wütend auf ihn sind, bevor er sein Amt überhaupt angetreten hat.«

      »Oh, er wird sich schon etwas einfallen lassen, um sie zu versöhnen. Wichtig ist, dass sein Name jetzt in aller Munde ist. Er heizt die Stimmung immer mehr an, ohne einen Finger zu rühren, und bereitet so die Bühne für seinen großen Auftritt.« Sie sagte das mit einem zynischen, fast bitteren Unterton. Vairrynn musterte sie mit schiefgelegtem Kopf.

      »Woher weißt du eigentlich so viel über Ktorram Asnuor?«

      Mutter zuckte zusammen, sagte dann aber leichthin: »Um diesen Mann zu durchschauen, muss man nicht viel über ihn wissen; das kann man sich an vier Fingern ausrechnen.«

      Sogar mir war klar, dass das keine Antwort auf Vairrynns Frage war. Mein Bruder starrte Mutter einen Moment lang an, durchdringend, intensiv. Ich kannte diesen Ausdruck; Vairrynn trug ihn immer, wenn er spürte, dass jemand etwas verheimlichte. Der graue Blick wurde dann scharf und irgendwie hart, heller vielleicht, tiefer. Nicht immer angenehm. Selten angenehm.

      Mutter wich diesem Blick jetzt aus. Vairrynn sagte nichts. Ich vergrub die Nase in einem meiner Bücher. Schon jetzt begann ich, eine intensive Abneigung gegen den Obersten Priester des Wy zu entwickeln. Alles brachte er durcheinander!

      Es dauerte insgesamt eine ganze Lchnatta – eine ganze viertel Jahreszeit also – ehe der Termin für Asnuors Einführungszeremonie feststand. Heiligtümer im ganzen Reich, so ließ der Sprecher des Wytempels dann schließlich verlauten, würden überbordende Feste für die Kinder des Ersterschaffers ausrichten, damit dieser besondere Tag dem Reich lange in Erinnerung blieb. Diese Aussicht allein versöhnte bereits viele, aber es gab immer noch genug, die dem ersten Auftritt Ktorram Asnuors ziemlich skeptisch entgegenblickten. Entgehen lassen wollten sich das Spektakel jedoch die wenigsten. Vater beschloss kurzerhand, der Aufforderung des alten Neoly zu folgen und an dem großen Tag mit seiner Familie nach Murraptaam zu kommen, der altehrwürdigen Hauptstadt des Reiches, wo die Einführungszeremonie stattfinden würde. Mutter weigerte sich rundheraus, ihren Mann zu begleiten. Vater ließ ihr schließlich ihren Willen, und Mutter und ich blieben an dem Tag, an dem die gesamte singisische Bevölkerung auf den Beinen schien, zu Hause. Ein kleines Mädchen wie ich gehöre ohnehin nicht in eine Stadt wie Murraptaam, hatte Vater als offizielle Begründung erklärt, und damit war ein weiteres Mal verhindert, dass ich einen Fuß aus dem geruhsamen Naharmbra setzte.

      Ich war mehr als nur ein wenig neidisch auf meine Brüder, die Vater begleiten durften, während es mir beschieden war, das Geschehen auf der Holographischen Wand zu verfolgen. Dagegen wenigstens hatte Mutter nichts. Wir sahen uns die Übertragung der Zeremonie gemeinsam an, Mutter mit zusammengekniffenem Mund und ich genauso gespannt wie der Rest des Reiches auf Ktorram Asnuor, Oberster Priester des Wy und Erster Streiter der Nchrynnai.

      Und gespannt waren sie alle. Die Kamera flog über die engen Straßen der Hauptstadt, in denen sich Singisen aus allen Landstrichen und von allen Planeten des Reiches drängten. Die Stadt, geprägt durch hellbraunen Farkenn-Stein, glimmende Glasbauten und himmelstrebende Architektur, ertrank in einem wahren Farbenmeer. Es schien gegen die hohen Häuser zu branden, von denen bunte Banner wallten. Wie von den Winden der Sturmzeit getragen, wirbelte die Kamera über die Türme der Innenstadt, bis sie schließlich auf den Großen Platz hinabtauchte, das Zentrum Murraptaams, das Zentrum von Singis, das Zentrum unseres Reiches, des glorreichen und immerwährenden Memnáh. Ich glaube, wir alle hielten diesen Ort damals für das Zentrum des Universums.

      In der Form eines riesigen Oktogons wird der Große Platz eingerahmt von dem vieltürmigen Palast der Berufenen, in dem das Parlament tagt und der Vorsteher des Reiches residiert, von dem Tempel der Göttlichen Einheit mit seinen unzähligen Nischen und Innenhöfen, dem Museum Glorreicher Geschichte und der gewaltigen Bibliothek der Planeten, die, so sagte man, das gesamte Wissen des Memnáh in ihren Mauern barg (und in ihren Datenbanken, aber das klang so unromantisch). Die Kamera ließ sich viel Zeit, die prunkvollen Fassaden abzufahren; wir Nchrynnai kosten jeden Moment ruhmgedenkender Selbstbespiegelung voll aus. Schließlich schwenkte sie über die wartenden Massen hin zum Gründerväterdenkmal vor dem Palast der Berufenen, neben dem eine hohe Tribüne errichtet worden war. Fanfaren begleiteten den Kameraschwenk, »Perfekte Regie«, kommentierte meine Mutter, und die gigantischen Flügeltüren des Palastes öffneten sich.

      Heraus trat eine Prozession von Priestern in hellgrünen, goldgesäumten Roben, in deren Mitte ein Mann schritt, der in unauffälliges Dunkelgrün gekleidet war. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Einen Patriarchen mit wallendem Silberbart und der Imposanz meines Großvaters. Einen hünenhaften Recken wie die Manifestation von Wy selbst. Oder eine unheimlich-düstere Erscheinung, die mir Mutters Entsetzen auf den ersten Blick erklären würde. Der Mann in Dunkelgrün aber war nichts dergleichen. Er war weder groß noch klein, weder kräftig noch schlank, weder alt noch jung. Er war der unbeachtlichste Mann, den ich je gesehen hatte, aschenfarbenes Haar, aschenfarbener Bart, farblose Augen, die ein wenig zu schräg waren, aber nicht genug, um ungewöhnlich zu wirken. In der Tat war sein Gesicht so bar jeglichen interessanten Zuges, dass es fast ausdruckslos wirkte. Er war so unauffällig, dass es schwer war, sich überhaupt auf ihn zu konzentrieren, obwohl die Kamera ihn in Großaufnahme zeigte. Ein Mann, den man einfach vergaß. Schon nach seinem kurzen Weg vom Eingang des Palastes zur Tribüne langweilte mich sein Anblick.

      Auf der Tribüne selbst wartete eine kleine Frau in einem erlesenen dunkelblauen Kleid, in dem schwere Silberfäden funkelten.

      »Schau, Mutter, da ist Jorngiss!«, rief ich, aber irgendwie war es nicht Jorngiss, unsere alte Tante, die da stand. Es war die Erste Dienerin der Lchnadra, Verkörperung von Ihr, die uns dem Leben übergab. Das schneeweiße Haar wie eine Krone aufgesteckt, sah sie so alt aus wie die Zeit und genauso unfassbar. Neben ihr wirkte Ktorram Asnuor geradezu fehl am Platz.

      In den Händen der Alten ruhte ein samtenes Kissen