Die Witwe und der Wolf im Odenwald. Werner Kellner

Читать онлайн.
Название Die Witwe und der Wolf im Odenwald
Автор произведения Werner Kellner
Жанр Языкознание
Серия Mordskrimi aus dem Odenwald
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753195193



Скачать книгу

gezogen hatten.

      Maxim betonte mehrmals, dass er momentan seine ganze Energie immer noch darauf verwenden müsste, um das Heim im Odenwald aus dem Fadenkreuz der ‚Lügen Presse‘ zu holen, welche ausländische Investoren und deren miserable Pflegeleistung zu überhöhten Kosten anprangerte. Er griff dann gerne auf die in Querdenkerkreisen so populär gewordenen Begriffe wie ‚Fake News‘ und ‚Lügen Presse‘ zurück, wenn es um die Suche nach einem Sündenbock ging. Diese Pressekampagne musste sofort beendet werden, denn eine Stilllegung des Heims wäre eine Katastrophe, vor allem für Maxim, der ja persönlich dafür haften würde.

      Vitali erinnerte Maxim eindringlich an die Beschlüsse der Videokonferenz vor wenigen Wochen. Man konnte die Spannung, die sich zwischen den beiden aufbaute, knistern hören.

      Maxim wechselte mehrmals im Gespräch die Gesichtsfarbe und blieb so ruhig, wie er konnte.

      Nach Ansicht des Bosses lief vor allem der Ausbau des Opioidgeschäftes wegen ungenügender Produktivität und Vermarktung nicht schnell genug. Er wollte Aktionen sehen und keine Scheißzahlen, wie er sich ausdrückte.

      Das Depot mit Rohopium sei voll, warf er Maxim vor, und er hätte die Anlieferung neuer Ware bereits zum zweiten Mal stoppen müssen.

      Maxim sah das als Versuch des Anführers, von seinem eignen Versagen abzulenken.

      Der zwischenzeitlich „graue“ Anführer der Organisation wollte ein Austrocknen seiner Geldquellen um jeden Preis verhindern und deutete an, dass er sich direkt und vor Ort um die Produktivität kümmern werde, wenn nicht bald ein Erfolgssignal von Frank käme. Maxim beobachtete kühl, dass der Anführer nicht mehr die Kraft von früher hatte, wenn es um die Durchsetzung von Disziplin ging. Seine Zähne wurden stumpf und sein Gebell lauter.

      Bisher waren Maxims Pläne, die er gemeinsam mit Frank Koch entwickelt hatte, und die er unabhängig von Corona eingeleitet hatte, um das Drogengeschäft in ein quasi-legales Geschäftsmodell umzubauen, sauber und erfolgreich umgesetzt worden.

      Sie hatten Anfang des Jahres mit einer gezielten Übernahme eine Produktionsstätte gefunden und zum Laufen gebracht. Vitali hatte ihm sogar einen Spezialisten aufgezwungen, der Erfahrung in der Opium-Veredlung hatte. Der hatte die Infrastruktur des ausgewählten Start-ups, das der Chef der Drogenküche Frank Koch als Basis für die geplante Produktion aufgekauft hatte, auf Eignung geprüft und für gut befunden.

      Die junge Mannschaft des Start-ups wollte ursprünglich mit ihrer eigenen Entwicklung eines synthetischen Medikaments in das Schmerzmittelgeschäft einsteigen und hatte bereits eine Prototyp-Produktionslinie aufgebaut. Der eigentliche Vorteil lag in dem Knowhow des Start-ups, was die Anforderungen für die Zulassung von Medikamenten bei den zuständigen Behörden anbelangte. Dazu zählten auch die Hygiene und Sauberkeitsanforderungen in der Produktion mit ‚Reinraumcharakter‘. Nach dem Erwerb des Start-ups und der Übernahme des Knowhows erfolgte sofort der Umstieg auf die Opium-Veredelung, und die Start-up Gründer wurden aus der Firma gedrängt, die jetzt als ‚Pharmatecc – GmbH & Co. KG‘ als Tochtergesellschaft der Stiftung ‚Jungbrunnen‘ in Darmstadt ins Handelsregister eingetragen wurde.

      Mit dem Übergang in die industrielle Massenproduktion war das dann schon eine andere Nummer. Es ging um die Hochskalierung der Produktionsprozesse, und Vitali behauptete, dass sie wieder seine Unterstützung bräuchten. Klar, wenn die Produktivität sowie die verfügbare Rohopiummenge höher wäre, könnten sie massenhaft das Rauschgift auf den Schmerzmittelmarkt werfen.

      Ein kleines Problem, aus dem der Boss jedoch ein großes machte, betraf den bisherigen schlechten Marktzugang für rezeptfreie Opioide, weil die Zulassungsbehörde das bisher verhindert hatte, aber sie arbeiteten daran. In den USA explodierte der Markt geradezu, und hier hinkten sie hinterher. Sie arbeiteten sogar daran, ihre Produkte in die USA direkt zu liefern, aber die regulären Lieferwege waren zu kompliziert, zu aufwändig und zu teuer. Es bliebe wieder nur Drogenschmuggel, der zwar lukrativ, aber auch sehr risikoreich war.

      Vitali hatte seinen Besuch gemeinsam mit zwei Spezialisten für die Massenproduktion für den Nachmittag angekündigt.

      Ein Blick auf seine Armbanduhr genügte, um ihn daran zu erinnern, dass seine Gäste in fünfundvierzig Minuten mit einer Aeroflotmaschine von Kaliningrad über St. Petersburg kommend auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt landen würden, von wo er sie direkt nach Darmstadt zu der Besichtigung der Anlage unter Frank Kochs Leitung bringen würde. Er versprach sich sehr viel von der Inspektion und steuerte seinen protzigen SUV auf die B 45 in Richtung Frankfurt.

      Den Eignungstest mit Katra würde er in den nächsten Tagen nachholen.

      Der lief ihm nicht weg.

       Kapitel 13

       Odenwälder Journal,

       G. J., Fürth.

       In der Nacht vom 30. zum 31.8.2020 kam es erneut zu einem Überfall aus der Serie der Geldautomaten Räuber. Diesmal schlugen sie nachts in einem Supermarkt in Ortsteil Lautern zu, wobei es ihnen nicht gelang, den nicht unerheblichen Bargeldbestand aus der Geldkassette des Automaten zu entwenden….

       Michelstadt, Montag 31.8.2020, 09:00 Uhr

      Die Sonne stand schon relativ hoch am Himmel über Michelstadt an einem Tag, der sommerlich warm zu werden versprach, als Willy Hamplmaier zu seinem Stammcafé „Frühstücksträume“ schlenderte, am alten Rathaus und dem auf Elfenbeinarbeiten spezialisierten Souvenirladen vorbei in Richtung Obere Pfarrgasse.

      Er setzte sich an sein gewohntes Tischchen neben dem Eingang, erwiderte die freundliche Begrüßung, die ihm als Frühstücksstammgast zustand, und bestellte das übliche Landfrühstück. Mit dem Kaffeekännchen kam auch die Zeitung und er überflog gelassen die regionalen Neuigkeiten, die das Leben im Odenwald so abwechslungsreich gestalteten. Bis er unter der Rubrik „Lautertal“ tatsächlich etwas Aufregendes entdeckte.

      „Heiliges Kanonenrohr“, fluchte Willy. Sein Frühstücksbrötchen kauend las er den Beitrag im „Odenwälder Boten“ über einen erneuten Versuch, einen Geldautomaten im Ortsteil Lautern auszurauben. Diesmal betraf es den Automaten in einem Einkaufszentrum, welcher von den Einbrechern erfolglos gesprengt worden war. Erfolglos deshalb, weil es den Tätern zwar gelungen war, den oberen Teil des Automaten völlig zu zerstören, aber sie hatten es nicht geschafft an die Geldkassette im unteren Teil des Gerätes zu gelangen. Sie wussten jedenfalls, dass die Kasse an den Wochenenden zu Monatsbeginn voller gefüllt war, um die dann übliche Einkaufswelle mit Bargeld zu versorgen. Im Odenwald war ‚Bares-ist-Wahres‘ die bessere Alternative zu Kreditkarten und Plastikgeld, wie es abfällig genannt wurde. Und gerade in Coronazeiten waren die Einkaufszentren trotz Abstandsregeln und Maskenpflicht gut besucht, weil die übrigen Geschäfte geschlossen blieben. Wie üblich fehlte von den Tätern jede Spur, und es gab keine Zeugen, die den Überfall um 04:00 Uhr früh bemerkt hatten. Ein Fluchtfahrzeug war ebenfalls nicht zu ermitteln.

      Der Zeitungsbericht passte perfekt in den Auftrag, den ihm zwei regionale Banken gegeben hatten, weil die Polizei trotz intensiver Nachforschung zu den vier erfolgreichen Überfällen in abgelegenen Bankfilialen in den letzten sechs Monaten noch immer keine heiße Spur hatte. Allerdings musste sich Willy eingestehen, dass auch seine Bemühungen bisher ergebnislos verlaufen waren.

      Er nahm einen ordentlichen Schluck Kaffee und las den Artikel in Ruhe nochmals durch, dann frühstückte er seelenruhig zu Ende, bevor er auf dem Handy seinen Freund Manfred Dingeldein anrief, um ihn nach eventuellen Hinweisen zu fragen. Der KHK im Segment Gewaltverbrechen und Einbrüche und war seit seinem Eintritt bei der Polizei in der Polizeidirektion Erbach tätig. Willy hatte sein freundschaftliches Verhältnis zu Manfred seit der Schulzeit bewahrt. Er war wie Manfred nach der mittleren Reife in den Polizeidienst eingetreten, wobei er sich immer schon für die Drogenkriminalität interessierte, weshalb es ihn auch nach Frankfurt zum Drogendezernat der dortigen Kripo verschlug. Vor nunmehr fast dreizehn Jahren quittierte er den Dienst, ungern wie er später zugab, um das elterliche Bestattungsunternehmen zu übernehmen.