Die Witwe und der Wolf im Odenwald. Werner Kellner

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Название Die Witwe und der Wolf im Odenwald
Автор произведения Werner Kellner
Жанр Языкознание
Серия Mordskrimi aus dem Odenwald
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753195193



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mit der ‚Wenn-es-den-sein-Muss‘ Zustimmung von Emma mit dem Händler handelseinig geworden. Sein Hauptaugenmerk war darauf gerichtet, dass er von dem „Ourewäller“[Fußnote 8] Hallodri nicht über den Tisch gezogen zu werden.

      Mundgeschützt und die Nase bedeckt sowie die Hände desinfiziert waren sie über das Ausstellungsgelände geschlendert. Emma nahm sehr verwundert den mit einer langen Goldkette, einem kleinen goldenen Ohrring mit einem Diamanten und klobigen Goldringen auf dicken tätowierten Wurstfingern protzig daherkommenden Autohändler wahr. Er hatte sie auch angestarrt, als ob er sie mit den Augen ausziehen wollte. Der Kerl war ihr sofort unheimlich, und unangenehm berührt wandte sie sich brüsk von ihm ab. Das sollte Papa mal schön alleine regeln. Sie würde ihm unauffällig zublinzeln, wenn sie das von ihm ausgesuchte Modell mochte.

      Und so kam es dann auch, und das Auto gefiel ihr schon allein wegen der knalligen Farbe in Magentarot. Es hätte als Werbeträger für die Telekom durchgehen können.

      Emma marschierte in ihrer üblichen coolen Art, die man für pubertär überspannt halten konnte, die Zufahrt zum Haus hoch und begrüßte Steffi wie immer etwas reserviert. Das Mädchen war mit seinen sechzehn Jahren bereits eine richtig Hübsche, die Steffi immer an das Märchen aus Tausend-und-eine-Nacht erinnerten. Sie hatte Emma sofort mit „Scheherezade“ assoziiert, mit ihren hohen, weich geformten Backenknochen, perfekter Nase und einem vollen Mund, eingerahmt von pechschwarzem schulterlangen Haar, die kein afghanisches Mädchen so offen tragen würde wie sie.

      Es war gut möglich, dass Steffi die Reserviertheit unbewusst auf ihre wasserblauen Augen zurückführte, die den arabischen Eindruck des Gesichtes etwas kühler wirken ließ. Steffi hatte sich vorgenommen ihre Distanziertheit als eine Bitte nach mehr Eingewöhnungszeit in der neuen Umgebung hinzunehmen, obwohl sie ihre Neugier, sie besser kennenzulernen, kaum zügeln konnte.

      Emma wiederum hatte sofort realisiert, als Steffi und Hans vor präzise sechs Wochen einander sehr verhalten begrüßten, dass ihren Papa und Steffi etwas verband, das er bisher vor ihr geheim gehalten hatte. Und es wurde ihr mit jedem Tag in der neuen Umgebung mehr bewusst, dass ihr Papa überhaupt alles, was ihn mit diesem Ort und den Menschen hier verband, vor ihr geheim gehalten hatte. So wie er auch vor ihrer Ankunft, als sie noch in der Schweiz lebten, vieles vor ihr geheim gehalten hatte. Und das fand sie gar nicht lustig und beschloss leicht verschnupft, nicht mehr länger abzuwarten, bis sich einer der beiden offenbaren würde. Sie würde schon herausfinden, was mit den beiden los war.

      Nach den vielen Jahren im schweizerischen Wallis, in denen sie schon mehrfach darauf bestehen musste, dass ihr Papa sie nicht wie ein unmündiges Kind behandeln möge, denn ihr wäre ihre Vergangenheit sehr wichtig.

      Nur auf intensives Hinterfragen lüftete er dann wieder ein kleines Zipfelchen der Decke, die er über die Vergangenheit ihrer Mama gebreitet hatte. Er nannte ihre Mutter nie beim Vornamen, er sprach immer nur von ihrer Mama, und was sie für ihn bedeutete, wobei Emmas Erinnerung an ihre Mama immer mehr verblasste. Er war immer besorgt um sie, und hörte nicht auf ihr zu sagen, dass sie im Umgang mit Fremden vorsichtig und zurückhaltend sein müsste. Papa legte Wert darauf, dass sie sich selbst verteidigen konnte, einen Jiu-Jitsu-Kurs besuchte. Er kannte alle ihre Freunde und schirmte sie gegen Unbekannte sehr rigoros ab. Einmal wurde sie Zeuge, wie er einen Kurierdienstfahrer fast vermöbelte, weil der sie kurz drückte, als sie ein Paket für den Nachbarn annahm.

      Seit ihrem Umzug in den Odenwald und seit Steffi auf der Bildfläche erschienen war, löcherte Emma ihren Papa, wie gut er Steffi kennen würde. Als er auch durch gezieltes Nachfragen nicht bereit war, Licht ins Dunkel seiner Beziehungen aus einer Zeit vor ihrer Geburt zu bringen, hatte sie ihrerseits beschlossen, Steffi auszuhorchen. Die vertröstete sie zwar anfangs auch, gab aber nach und nach zu, weil Emma sie mit bohrenden Fragen zermürbte, dass Steffi einmal mit ihrem Papa liiert war.

      Hans stapfte mit Einkaufstüten schwer beladen hinter Emma her, bekam von Steffi einen Kuss auf die Wange und wurde kurz gedrückt, bevor sie das Haus betraten.

      Dieses Haus.

      Steffi hatte den von ihren Eltern komplett renovierten Bauernhof im hintersten Winkel auf der Sophienhöhe geerbt. Ihre Eltern waren früh verstorben, und sie bewohnte das große Haus am Westring seit Jahren allein mit ihrem Hund Django, unentschlossen, was sie mit dem großen Anwesen tun sollte. Sie hatte die Wirtschaftsgebäude an ein Ehepaar verpachtet, das den landwirtschaftlichen Betrieb in einen gutgehenden Reiterhof umwandelte, und bewohnte nur noch das Erdgeschoß des schönen Fachwerkbaus. Ihre Vorfahren hatten den Bau um 1820 errichtet und seither behielt er seine bauliche Ausgestaltung mit vielen nicht zu großen Räumen, kleinen Fenstern und schräg verlaufenden Holzdecken. Steffi liebte das Haus trotz der Einschränkungen im Vergleich zu einer modernen Wohnung. Sie sah sich gelegentlich nach einem Häuschen oder Ähnlichem um, hatte aber bisher weder den notwendigen Antrieb noch die Zeit, um sich ernsthaft darum zu kümmern. Sie wohnte gerne hier und als geborene Frohnatur war sie mit ihrem Leben fast immer zufrieden, wenn nicht ab und zu der Liebesentzug schmerzen würde. Was Steffis Liebesleben anbelangte, stand sie kurz vor einer Art Torschlusspanik, was sie sich jedoch niemals eingestanden hätte. Es kostete sie in regelmäßigen Abständen, die leider immer kürzer wurden, Energie und Nerven, um dieses Gefühl durch gute Laune und natürliche Lebensfreude zu kaschieren.

      Als ihr ‚Minijob Chef‘, wie sie Willy Hamplmaier nannte, ankündigte, dass sein Sohn es sich nach zehn Jahren nun doch noch überlegte hatte, in den ‚Ourewall‘[Fußnote 9] zu ziehen, zögerte sie nicht. Es war ihre Idee, angesichts des akuten Wohnraummangels in der Region Hans und Emma das ungenutzte Obergeschoß des Hauses auf der Sophienhöhe anzubieten.

      Dabei kam ihr nicht ungelegen, dass in Willys kleinem Einfamilienhaus zu wenig Platz für eine weitere Familie vorhanden war. Willys Bestattungsunternehmen war im Erdgeschoss und dem ausgebauten Keller seines Hauses in Michelstadt untergebracht und sein Ermittlerbüro lag im Obergeschoss, wo er auch wohnte. Da gab es kein freies Fleckchen mehr für den Junior im Haus.

      Es war ja nur fürs erste und vorübergehend als Bleibe für ihn und seine Tochter gedacht. Als sie Willy nach Hans’ Gründen für seine Rückkehr nach vierzehn Jahren absoluter Funkstille befragte, hatte Willy nur undeutlich gebrummelt. Dass seinem Sohn das Jobangebot eines Schadensermittlers bei dem Rückversicherer Re-Assekuranz in Genf zwar finanziell gut gefallen hätte, aber dafür hätte er seine Freiheit und die Chance selbständig zu arbeiten, aufgeben müssen. Und da er, Willy, sowieso vorhatte, demnächst sein Büro aufzugeben, nahm Hans schließlich das seit Jahren bestehende Angebot seines Seniors an, in das väterliche Geschäft einzusteigen, um es Schritt für Schritt in eine Wirtschaftsdetektei zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität auszubauen. Hans hatte nach seinem Drogenprozess immer noch die Verfolgung dieser Bandenkriminalität im Visier und der aktuelle Vorgang der Serieneinbrüche auf Geldautomaten, ließ den Verdacht auf bandenmäßige Kriminalität zu.

      Nach Steffi Schwaigers kühlem Kalkül könnte die räumliche Nähe zu den beiden Heimkehrern ein doppelter Glücksfall werden. Sie sah endlich das ersehnte Ende Ihres Singlelebens am Horizont auftauchen, und zweitens noch dazu mit einem Mann, den sie zeitlebens nie aus dem Sinn verloren hatte, obwohl sie immer noch stinksauer auf ihn war. Sie redete sich ein, alles unternommen zu haben, um ihre Gefühle für ihn loszuwerden und einen passenden Partner in der Region zu finden, in der sie geboren war, und aus der sie nicht wegwollte. Aber diese ‚Ourewäller Labbeduddel‘ 10.2), wie sie die lange Reihe der aussortierten regionalen Verehrer abqualifizierte, hielten keine selbstbewusste Frau aus. Die wollten das Heimchen am Herd, mit fünf Kindern an der Kittelschürze aber keine Partnerin, die flippige Frisuren und Klamotten liebte und im Beruf ihren Mann – sorry, ihre Frau – stand.

      Hans war zwar kein ‚Labbeduddel‘[Fußnote 10], aber sie unterstellte ihm immer noch, dass er nichts anbrennen ließ, wenn es etwas zu naschen gab. Er sah immer noch verdammt gut aus, er hatte sich gut gemacht über die Jahre und sie wusste, dass ihr Widerstand gegen einen Neubeginn nicht von langer Dauer sein würde. Sie hatte versucht, ihn aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, nachdem er sie vor zehn Jahren, so mir nichts dir nichts abserviert hatte. Das war nicht die feine englische Art und naiv, wie sie war, gab sie damals der Neuen die Schuld daran. Wegen dieser ‚Kriminellen‘, wie sie sie nannte, hatte Hans sie verlassen.