Die Witwe und der Wolf im Odenwald. Werner Kellner

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Название Die Witwe und der Wolf im Odenwald
Автор произведения Werner Kellner
Жанр Языкознание
Серия Mordskrimi aus dem Odenwald
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753195193



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eintraf, und er im Krankenwagen sitzend seine Aussage zu Protokoll gab, war erst eine dreiviertel Stunde vergangen, und er ließ sich dazu überreden, seinen geschundenen Körper im Krankenhaus unters MRT für einen Ganzkörperscan zu legen. Drei gebrochene und zwei angebrochene Rippen, eine gebrochene Elle und angeknackste Gelenke vom Knie bis zum Knöchel verdankte er den gezielten Fußtritten seiner professionellen Schläger. KHK[Fußnote 5] Dingeldein von der Polizeidirektion Erbach, hatte alles aufgenommen, auch die relativ präzise Beschreibung von zumindest einem der Täter, den er unmittelbar zur Fahndung ausschrieb. Er nahm den Brief, den Georg heute Morgen erhalten hatte, samt dem Foto-Chip, das den ‚Briefträger‘ von 05:15 Uhr zeigte, mit aufs Kommissariat zur kriminaltechnischen Untersuchung. Über Georgs Methode der Spurensuche mittels feingemahlenen Weizenmehls konnte er nur müde lächeln.

      Seine Mitarbeiter befragten die Nachbarn, ob ihnen etwas Wichtiges aufgefallen wäre.

      Ebenfalls Fehlanzeige.

      Georg wurde für den Rest der Woche krankgeschrieben und nach der ambulanten Behandlung mit einem Gips Arm und bandagiertem Brustkorb in häusliche Pflege entlassen.

      

       Kapitel 9

       Othmar Scheuermann , geboren 2.4.1951 in Michelstadt, verwitwet, pensionierter Lehrer am Gymnasium Michelstadt. Leichte Anzeichen von Demenz (Pflegegrad 4), lebt seit einem Jahr im Seniorenheim „Jungbrunnen“. Eine Tochter Ottilie, geboren am 30.9.1990, in Erbach, die am Gymnasium in Michelstadt Sport und Englisch unterrichtet.

       Marbach Stausee, Mittwoch, 20.8.2020, 14:00 Uhr

      Es war ein ruhiger Hochsommertag, die Sonne erwärmte die Luft vor dem offenen Fenster der Pflegeoase, das wegen der Lüftungsvorschrift im Nachklang zur ersten Corona Welle stündlich für zehn Minuten geöffnet wurde, auf milde 28 Grad Celsius – im Schatten wohlgemerkt.

      Othmar hatte nach einem wie immer dürftigen Mittagessen ein kleines Schläfchen praktiziert und musste im Bett bleiben, solange die rumänische Putzfrau das Zimmer schrubbte. Daniela war eine Hübsche und noch dazu ein bisschen schüchtern, das wusste Othmar genau, auch wenn er wegen der FFP2-Gesichtsmaske ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ihre weiblichen Kurven und ihr knackiger Hintern gefielen ihm ganz gut. Immerhin mussten die Damen vom Reinigungsdienst keinen Vollschutz mehr tragen, sodass er verstohlen ‚Porno‘ gucken konnte, wie er schmunzelnd seinem Kumpel Markus schon erzählt hatte. Er vertraute darauf, dass sie seine Versuche, sie zu tätscheln, tolerieren würde. Er war zu lange ein Egoist und zu alt und sehschwach dazu, als dass er die Angst in ihren Augen erkennen würde, die er für Schüchternheit hielt. Tatsächlich konnte Daniela jederzeit aus der Reichweite seiner zittrigen Finger entfliehen, was sie auch tat, und viel mehr als Tätscheln ging bei ihm sowieso kaum mehr.

      Als Nastasia Korolja ihren Kopf zur Tür herein streckte, zog er schnell die Hand zurück, die sich unter Danielas Rock verirrt hatte, und Othmar wurde ziemlich rot. Eigentlich wurde er sehr rot, denn er lief an wie ein Puter und schaute schuldbewusst. Nastasia Korolja klopfte ihm auf die Finger und sagte „Herr Othmar, so geht das nicht, wir sind hier nicht im Puff. Sie sollten sich was schämen“.

      Nastasia Korolja war eine eindrucksvolle Frau, ungefähr fünfzig Jahre alt, die man ihr bei weitem nicht ansah, mittelgroß, dunkelblond und mit einer tollen Figur unter dem knappen weißen Kittel der Pflegedienstleitung der Seniorenoase. So wie sie sich gab, zog sie Männerblicke magisch an, aber bei ihr traut Othmar sich das nicht mit dem Tätscheln und so.

      Othmar schämte sich wegen Nastasias Ermahnung aber nur kurz und trotzig meinte er, „Daniela mag das, und ich darf das“, worauf zur Abwechslung die eingeschüchterte Daniela rot anlief und den Kopf schüttelnd aus dem Zimmer rannte.

      Nastasia Korolja, die Pflegedienstleitung höchstpersönlich, hatte deutsch-russische Wurzeln so wie Maxim, ihr kaufmännischer Kollege in der Heimleitung. Als Vitalis Stiftung im Jahre 2007 die gleichnamige Seniorenoase ‚Jungbrunnen‘ im Odenwald eröffnete, übernahm sie die Pflegedienstleitung und die Familie zog südlich von Frankfurt nach Groß-Umstadt. Dort besorgte ihnen die Nummer 1 der ‚Gesellschaft‘, eine gewisser Frank Koch, eine Wohnung und Nastasia pendelte von hier zu ihrem Arbeitsplatz nach Marbach, wo sie für Notfälle auch eine Dienstwohnung hatte.

      Ihre Familie und sie hatten, solange sie in Russland waren, nichts mit der ‚Bratwa‘ am Hut. Erst als sie Vitali vor fünfundzwanzig Jahren im Krankenhaus des Straflagers in Wologodski Pjatak kennenlernte, kam sie mit den ‚Dieben im Gesetz‘ in Kontakt, wie sich die Bande stolz nannte, und er ernannte sie zu einem Mitglied der Bruderschaft.

      Das war ihre beste Zeit.

      Sie entdeckte Gefühle und was ihr an kalt kalkulierter Härte geholfen hatte, um sich in einer brutalen Männerwelt zu behaupten, das verschwand in der Schublade von Emotionen und Gefühlsausbrüchen. Es passierte jedes Mal, wenn Vitali auftauchte und sich nahm, was er meinte, dass ihm zustünde. Sie gehörte ihm und war sich dessen bewusst, dass sie ihre Fähigkeit Männern Paroli zu bieten, ihm gegenüber aufzugeben gezwungen war.

      Das ging so lange gut, bis ihn diese Schlampe bezirzte. Kaum war Alina in seinem Gesichtsfeld aufgetaucht, behandelte er Nastasia als abgehalfterte Nebenfrau. Sie musste ihm zwar immer noch zu Willen sein, wenn ihm danach war, aber die erste Geige spielte fortan Alina.

      Am schlimmsten traf sie damals, dass Vitali ihr das russische Kreuz wieder abnahm, welches er ihr nach der Behandlung auf der Krankenstation schenkte, und sie damit zur Lieblingsfrau dekorierte, und es vor ihren Augen Alina schenkte. Sie platzte fast vor Eifersucht und wollte ihm ihren Zorn ins Gesicht schreien, was denn die Gravur ‚navsegda moi’ auf[Fußnote 6] der Rückseite des Kreuzes noch wert wäre. Alina, ihrerseits weigerte sich lange, es ständig zu tragen, bis es Vitali zu dumm wurde, und er sie grob daran erinnerte, dass es nicht ihre Entscheidung sei, es zu tragen, sondern er damit seine Herrschaftsansprüche markierte. Von da an trug sie trotzig den Anhänger unsichtbar an einer langen Kette, und mit der Zeit vergaß sie ihn.

      Seine Einstellung ihr gegenüber änderte sich auch nicht nach dem plötzlichen Verschwinden von Alina, und sie freute sich klammheimlich, dass ihn der Verlust von Alina so beschäftigte.

      Seit dieser Zeit war ihr Verhältnis ein anderes. Während Vitali immer noch, wenn er von Zeit zu Zeit die Seniorenoase inspizierte, ihre Nähe als seine Geliebte beanspruchte, war er für sie ein Partner, der sie betrogen hatte. Sie legte keinen Wert mehr darauf ihre alte Position als ‚Lieblingsfrau‘ zurückzuerobern, sondern malte sich gelegentlich Racheszenarien aus. Sie könnte ihn ja vielleicht so ‚behandeln‘, dass er von ihrer ‚Pflege‘ abhängig wurde.

      Sie blickte Othmar lange an, der auch so ein sexueller Pflegefall war, und sah die Beule unter seinem Nachthemd.

      Ihre spöttische Bemerkung „Sie sind ja noch ganz schön fit im Schritt, Sie alter Zausel“, freute Othmar sichtlich und seine Gesichtsfarbe wechselte in ein frisches Rosa.

      „Also, wenn Sie brav sind, und es nicht weitererzählen, dann schicke ich Ihnen mal ein süßes Mädel, das sehr gut mit ihrem kleinen Mann umgehen kann. Wäre das etwas für Sie?“.

      Othmars Gesichtsfarbe wanderte wieder in Richtung dunkleres Rot.

      „Aber das wird nicht billig, das müssen sie wissen. Das ist pflegetechnisch eine IGeL-Leistung, denn die Krankenkasse bezahlt keine Spezialmassagen von dieser Qualität?“, grinste sie und bot ihm gleichzeitig eine plausible Ausrede an, falls jemand nachfragen sollte.

      Geduldig wartete sie auf eine Reaktion von Othmar, und sie konnte deutlich sehen, wie seine Triebe mit seiner Vernunft kämpften. Sie wusste natürlich, dass auch bei Herren seines Alters die Schwanzsteuerung noch über die Ratio siegen würde, insbesondere wenn diese durch den Schleier der leichten Demenz getrübt wurde.

      Die Bezahlung war dagegen eine echte Barriere, denn sie kannte die Höhe seines Taschengeldes, das ihm seine Tochter genehmigt hatte. Er war immerhin auch noch fit genug,