Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754957905



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kann die Auffassung des Kriminalkommissars Wolff nicht teilen, wonach Buschhoff den Mord begangen haben könnte, weil ihm der Knabe einen Grabstein beschädigt habe. Dieser winzige Schaden kann den Angeklagten nicht veranlaßt haben, die Mordtat zu begehen.

      Auch der Umstand, daß der Angeklagte zu dem Knaben einmal gesagt haben soll: »Du kommst in den Turm«, kann keinerlei Anhaltspunkte für ein Motiv gewähren, denn der Zeuge Wesendrup hat uns bekundet: Buschhoff habe diese Drohung nur ausgesprochen, damit ihm die Knaben die Grabsteine nicht beschädigen sollen. Da eben keinerlei Motiv vorhanden war, so wurde behauptet: es liege ein Ritualmord vor. Bei einem Ritualmord bedarf es keines weiteren Motivs, der Mörder kann ein ganz guter, braver Mann sein – ein Zeugnis, das dem Buschhoff von den meisten Zeugen ausgestellt wurde – er hat aber trotzdem den Mord begangen, weil die Juden entweder zu Heilzwecken oder zu rituellen Dingen Christenblut gebrauchen. Ich habe bereits ausgeführt, daß hierfür nicht die geringsten Anhaltspunkte vorhanden sind. Dieser Glaube wäre auch niemals entstanden, wenn Dr. Steiner nicht begutachtet hätte, es sei in der Scheune kein Blut gefunden worden, während eine ganze Fülle von Blut gefunden wurde. Der Versuch, ein Kind in das Buschhoffsche Haus zu ziehen, gelang allerdings heute. Allein es darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Wirklichkeit und der Versuch, den ein Schwurgericht, das etwas Bestimmtes sehen will, anstellt, zweierlei Dinge sind. Jedenfalls hat sich Mölders geirrt. Es ist einmal möglich, das Kind ist in den Portenweg gezogen worden, oder auch, daß das Ullenboomsche Kind, das Mölders ebensowenig wie den kleinen Hegmann kannte, in das Buschhoffsche Haus gezogen wurde. Ich komme nun nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zu der Überzeugung, daß dem Buschhoff die Tat nicht nur nicht nachgewiesen ist, sondern daß die Verhandlung seine volle Unschuld ergeben hat. Nun wird man sagen: »Es ist doch ein Mord geschehen, wer ist der Täter?« In dieser Beziehung hat leider die Verhandlung keinerlei Anhaltspunkte ergeben, aber sie hatte doch wenigstens das Ergebnis, daß die Unschuld des Buschhoff nachgewiesen wurde. Ich beantrage daher aus voller Überzeugung das Nichtschuldig und gebe mich der Hoffnung hin, daß die Verhandlung beigetragen haben wird zur Befestigung des Glaubens an die Unparteilichkeit und Gerechtigkeit der preußischen Richter.

      Erster Staatsanwalt Baumgard bemerkte nach eingehender Würdigung der Beweisaufnahme: Ich komme nach alledem zu dem Schluß, daß Buschhoff auch nicht der Mitwisserschaft des Mordes verdächtig ist. Wäre Buschhoff der Mörder oder auch nur Mitwisser des Mordes, dann wäre sein Auftreten am Tage des Mordes jedenfalls nicht ein solch unbefangenes gewesen, man müßte denn annehmen, daß er ein ganz raffinierter Mörder ist. Sie haben ja den Mann vor sich, ich überlasse dies daher Ihrem Urteile. Bedauerlich ist es ja, daß durch diese Verhandlung die Mordtat keine Aufklärung erfahren hat. Aufgeklärt ist aber die Unschuld des Buschhoff. Dieser ist weder der Mörder, noch der Mordgehilfe noch der Mitwisser. Und ich bemerke Ihnen ausdrücklich, meine Herren Geschworenen, daß wir es hier nicht mit einem Non liquet zu tun haben. Daß das Verbrechen nicht aufgeklärt ist, bedaure ich ganz außerordentlich, und zwar um so mehr, da ich mir gleich nach Entdeckung der Tat alle Mühe gab, Klarheit in die Sache zu bringen, den Täter zu ermitteln. Ich habe sofort in dem in Xanten erscheinenden »Bote für Stadt und Land« einen Aufruf an die Bevölkerung erlassen, die Tätigkeit der Behörde nicht durch religiöse Erregungen zu stören. Leider hatte diese meine Bitte keinen Erfolg. Ich hoffe, daß, wenn die religiöse Erregung sich wieder gelegt und die Behörde in der Lage ist, klar zu sehen, es doch noch gelingen wird, den wirklich Schuldigen zu ermitteln.

      Es ist gesagt worden, die Sache bleibt unaufgeklärt, weil es sich um einen Juden handelt. Nein, meine Herren Geschworenen! nicht weil es sich um einen Juden handelt, ist die Sache unaufgeklärt, sondern weil die Sache unklar ist, deshalb hat man zu einem Juden gegriffen. Man behauptete: es ist von einem Juden ein Ritualmord begangen worden. Dazu bedarf es keiner weiteren Motive, es bedarf bloß allgemeiner Verdächtigungen. Allein Sie, m.H. Geschworenen, haben die Pflicht, alles, was außerhalb dieses Saales vorgeht, unbeachtet zu lassen, sondern lediglich auf Grund der Tatsachen, die Sie selbst mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört, Ihr Urteil abzugeben.

      Auf Grund der Beweisaufnahme kann ich nicht anders als aus Pflicht und Gewissen den Antrag auf Nichtschuldig stellen. Ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie den Angeklagten frei.

      Verteidiger Rechtsanwalt Stapper (Düsseldorf) führte aus: Wenn Ihr Urteil, woran ich nicht zweifle, auf Nichtschuldig lautet, dann wird dieser Tag ein Ehrentag für Sie sein, denn Sie geben einem anständigen, schwergeprüften Manne die Freiheit, einer Familie den Gatten und Vater, einer Gemeinde ein Mitglied wieder, das bisher in der unerhörtesten Weise dem Haß und der Verfolgung eines urteilslosen Pöbels ausgesetzt war. Sofort als die Tat entdeckt wurde, stand es bei der Menge fest: es müsse ein Ritualmord geschehen sein. Das alte, mittelalterliche Märchen, das man schon längst begraben glaubte, war wieder aufgetaucht. Die Hauptsache war, daß Dr. Steiner feststellte, daß kein Blut oder zuwenig Blut bei der Leiche gefunden wurde. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich das Blutmärchen durch ganz Deutschland und wurde von Herrn Dr. van Housen sofort nach Emmerich getragen. Sie erinnern sich, meine Herren Geschworenen, daß Herr Dr. van Housen erst, nachdem er die Obduktionsbefunde hier eingesehen, die Erklärung abgegeben hat: Nun habe ich mich überzeugt; ich halte auch den Fundort für den Tatort; ich habe zur Zeit mein Urteil auf Grund oberflächlicher Besichtigung abgegeben. Es ist ja noch ein anderes Motiv für den Mord angegeben worden. Sie erinnern sich, daß Herr Kriminalkommissar Wolff der Meinung gewesen ist: Buschhoff habe den Knaben getötet, weil er ihm den kleinen Schaden am Grabstein zugefügt habe. Eine solche Annahme kann wohl die Phantasie eines Dichters sein, der einen Kriminalroman zu schreiben beabsichtigt, der Richter kann aber eine solche Vermutung nie und nimmer für wahr halten. Ich muß ausdrücklich bemerken, m.H., daß gleich nach Entdeckung der Tat die Behörden sich alle Mühe gegeben haben, den Täter zu ermitteln. Herr Landgerichtsrat Brixius hat ebenfalls, das beweisen die vielen von ihm vorgenommenen Vernehmungen, alles mögliche getan, um Klarheit zu schaffen. Wäre der Mord nicht sofort zum Objekt einer Glaubenshetze gemacht worden, wer weiß, ob es nicht gelungen wäre, schon nach den ersten 8-14 Tagen den Mörder zu entdecken. Sie werden sich erinnern, meine Herren Geschworenen, daß in einer geradezu unerhörten, bisher noch nicht dagewesenen Weise die Gerichtsbehörden aus Anlaß dieses Verbrechens angegriffen worden sind.

      Sie erinnern sich vielleicht, meine Herren, jener Sitzung des Abgeordnetenhauses, in der der Abgeordnete Rickert vorlas, daß eine Zeitung geschrieben habe: »Es liegt ein Ritualmord vor, Buschhoff und kein anderer ist der Mörder.« Wenn man erwägt, wie alle Bemühungen der Behörden, den Schuldigen zu ermitteln, durch das Blutmärchen getrübt worden sind, dann muß man die Überzeugung gewinnen, daß System in dieser Hetze liegt. Die Leute haben gar kein Interesse, daß der wirklich Schuldige ermittelt werde, die Tat an sich war ihnen ein willkommenes Agitationsmiltel. Es ist hier nicht meine Aufgabe, eine Rede gegen das Treiben der Antisemiten zu halten. Wenn die Leute es als ihre Aufgabe betrachten, dahin zu wirken, daß die Juden aus Deutschland getrieben und die Zeiten des Augustus wieder herbeigeführt werden, habeant sibi. Meine Aufgabe als Verteidiger ist eine ganz andere. Allein erwägen Sie, meine Herren Geschworenen, wenn es dem Buschhoff nicht gelungen wäre, in so überzeugender Weise sein Alibi nachzuweisen, was hätte alsdann diese Hetze für Folgen haben können. Der Verteidiger erörterte hierauf den eigentlichen Tatbestand und fuhr alsdann fort: Ich habe nicht notwendig, Ihnen noch eine Schilderung von dem Angeklagten zu geben, er dürfte Ihnen durch die zehntägige Verhandlung hinlänglich bekanntgeworden sein. Ich will Sie bloß an den wahrhaft dramatischen Vorgang mit dem Sack erinnern. Ich muß gestehen, als der Sack mit den rotbraunen Flecken dem Angeklagten vorgelegt wurde, da glaubte ich fast selbst, es könnten irgendwelche Anhaltspunkte für die Schuld des Angeklagten festgestellt werden. Allein Sie erinnern sich, mit welcher Unbefangenheit der Angeklagte vortrat und auf die Frage des Vorsitzenden, wie er die rotbraunen Flecke an dem Sack erkläre, die natürlichste Antwort von der Welt gab: er habe den Sack bei der Fleischräucherung benutzt und die verdächtigen Flecken seien Rauchflecken. Aber außerdem ist doch auch der Lebenswandel des Angeklagten in Betracht zu ziehen. Sie haben gehört, daß Buschhoff aus Anlaß des Sterbetages seines Vaters des Morgens und Abends in die Synagoge ging, daß er dieses Sterbetages wegen bis Mittag fastete, daß er, ehe er sich mit seiner Familie zu Tisch setzte, betete. Jemand, der so pietätvoll seiner verstorbenen Eltern gedenkt und als Lohn dafür die Liebe seiner Kinder erweckt, ist nicht das Holz, aus