Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754957905



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Dr. Nöldecke: Der Talmud ist allerdings eine Sammlung von Gesetzen und Erklärungen vieler Jahrhunderte und in solchem Umfange, daß niemand mit voller Sicherheit sagen kann, was nicht im Talmud steht. Ich habe aber genau den Talmud nach einer solchen Stelle durchforscht und kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß eine Satzung, wonach den Juden die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist, nicht im Talmud enthalten ist.

      Vert. Rechtsanwalt Gammersbach: Im Jahre 1883 hat in Wien ein Prozeß Rohling wider Bloch stattgefunden. In diesem Prozeß sind Sie, Herr Professor, ebenfalls als Sachverständiger aufgetreten und haben bekundet, daß Ihnen keine Stelle in einem jüdischen Gesetzbuch bekannt sei, die von Ritualmord handelt.

      Professor Dr. Nöldecke: Der bekannte Professor Rohling behauptete damals, daß wohl nicht im Talmud, aber im Sohar und Sefer Halkutim der Ritualmord vorgeschrieben sei. Wenn auch diese Bücher nicht von allen Juden anerkannt werden, so gelten sie doch bei einem Teile der Juden noch als heilig. Ich habe nun im Sohar und Sefer Halkutim nachgeforscht, aber auch nichts gefunden, was auf einen Ritualmord hindeutet. Ich kann es nur als durch und durch frivol bezeichnen, wenn man behauptet, die Juden brauchen zu rituellen Zwecken Christenblut. Ich füge hinzu, mit derselben Sicherheit, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts vom Eisenbahnwesen, mit derselben Sicherheit kann ich behaupten, daß im Talmud nichts vom Ritualmord enthalten ist. Der verstorbene Professor Dr. Delitzsch in Leipzig, einer der größten Kenner des Talmud, hat die Blutbeschuldigung aufs bestimmteste widerlegt und sie auch als frivol bezeichnet. Professor Dr. Eisenmenger, der kein Judenfreund, aber ein sehr ehrlicher Charakter war, hat ebenfalls bekundet: er habe keine Stelle gefunden, die darauf hindeute, daß den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei.

      Vert. R.-A. Gammersbach: Ist es nicht den Juden aufs strengste verboten, Blut zu genießen? Sachv.: Jawohl.

      Vert.: Ist es nicht den Juden geboten, nicht einmal den Anschein zu erwecken, als ob sie Blut genießen würden?

      Sachv.: Das ist richtig.

      Vert.: In dem Prozeß Rohling wider Bloch wurde vom Professor Dr. Delitzsch ein Gutachten abgegeben. In diesem ist folgende Mitteilung enthalten: Ein spanischer Jude, wegen Ritualmordes angeklagt, bemerkte: »Uns Juden ist aufs strengste verboten, Tierblut zu genießen, nun sollen wir gar Menschenblut genießen. Wenn ein Jude sich während des Essens am Munde verwundet und ihm Blut auf ein Stückchen Eßware herabträufelt, so muß er das Blut abkratzen. Es ist allerdings keine Sünde, wenn er das Blut mitißt, denn es ist ja von ihm selbst, aber man soll auch nicht den Schein erwecken, als ob man Blut äße.« Diesem Gutachten des Prof. Delitzsch ist eine ganze Reihe Universitäten und christliche Talmudgelehrte, wie Lagaarde, Dillmann, Strack und auch Kardinal- Dr. Kopp in Breslau beigetreten. Der katholische Professor an der Universität zu Innsbruck, Dr. Bickel, hat die Blutbeschuldigung der Juden ebenfalls für Schwindel erklärt, er hat aber gebeten, ihn von bestimmten Gutachten zu entbinden, da er seit 20 Jahren mit Rohling befreundet sei.

      Professor Dr. Nöldecke: Ich kann dies alles nur bestätigen. Ich will noch bemerken: Im Jahre 1714 wurde die theologische Fakultät der Universität Leipzig von dem Herzog Karl August aufgefordert, sich zu äußern: ob den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei. Die Fakultät antwortete: »In den jüdischen Religionssatzungen ist absolut nichts von Ritualmord enthalten.«

      Am neunten Verhandlungstage begab sich, auf Antrag des Oberstaatsanwalts Hamm, der Gerichtshof, die Geschworenen, die Staatsanwälte und Verteidiger zwecks örtlicher Augenscheinnahme nach Xanten. Dort wurde festgestellt, daß am Tage vorher fremde Radfahrer ins Städtchen gekommen waren und das Buschhoffsche Haus vollständig demoliert hatten. Nachdem die Prozeßbeteiligten nach Kleve zurückgekehrt waren, begannen die Plädoyers.

      Oberstaatsanwalt Hamm: Meine Herren Geschworenen! Der gegenwärtige Prozeß hat schon lange vor dieser Verhandlung die große Öffentlichkeit beschäftigt. Er hat zum Gegenstande einer häßlichen Hetze sozialer und politischer Parteien dienen müssen. Die behördlichen Organe, die von Amts wegen zur Führung der Untersuchung verpflichtet waren, wurden in der gemeinsten Weise angegriffen. Parteimänner und Parteiblätter haben sich nicht entblödet dem richterlichen Urteile vorzugreifen und den Versuch zu machen, durch allerlei Hetzartikel das sachliche Urteil zu trüben. Allein die große Aufmerksamkeit, mit der die Herren Geschworenen der Verhandlung gefolgt sind, gibt mir Gewähr, daß Sie sich allen Stürmen von außen unzugänglich erweisen und nur auf Grund des Ergebnisses der Verhandlung nach bester eigener Überzeugung Ihren Wahrspruch abgeben werden.

      Der Oberstaatsanwalt ruft alsdann den Geschworenen in ausführlicher Weise den Gang der Verhandlung ins Gedächtnis und fuhr darauf fort: Die Verteidigung hat es für nötig gehalten, durch Ladung eines Sachverständigen zu beweisen, daß es einen Ritualmord nicht gäbe. Ich hielt dies Sachverständigengutachten für überflüssig. Es ist ja möglich, daß es Juden gibt, die Christenblut zu Heilzwecken oder rituellen Zwecken für notwendig halten. Das könnte ja möglich sein, ohne daß es im Talmud steht. Aber das kümmert uns nichts, hier liegt jedenfalls kein Ritualmord vor. Das ist festgestellt durch die medizinischen Sachverständigen, die bekundet haben, daß der Mord am Fundort geschehen ist, daß soviel Blut bei der Leiche gefunden wurde, wie diese nur verlieren konnte, daß der Halsschnitt kein Schächtschnitt gewesen und auch der Mord nicht mit einem Schächtmesser ausgeführt ist. Wie die medizinischen Sachverständigen bekundet haben, ist sofort aufs eingehendste untersucht worden, ob ein Lustmord vorliegt, hierfür haben sich aber auch keine Anhaltspunkte ergeben.

      Ich komme nun zu dem Hauptpunkt, der wesentlich zur Erhebung der Anklage Veranlassung gegeben hat, es ist das die Aussage des Zeugen Mölders. Ich bemerke, daß die Staatsanwaltschaft auf dem Standpunkte steht, daß die Anklage auch dann aufrecht zu erhalten ist, wenn das Motiv des Mordes nicht nachgewiesen ist und ich muß bekennen, die Aussage des Zeugen Mölders ist auch heute bei der Ortsbesichtigung nicht erschüttert worden. Die Aussage des Zeugen Mölders steht aber auch nicht allein, zwei Knaben unterstützen sie. Da ist zunächst der Knabe Stephan Kernder. Dieser soll zu seinen Eltern gesagt haben: er habe gesehen, wie Frau Buschhoff den kleinen Hegmann in das Haus gezogen hat. Allein der Knabe Kernder hat einmal dies seinen Eltern erzählt eine volle Woche nach dem Morde, und andererseits hat sich der Knabe trotz aller Bemühungen nicht vernehmen lassen. Endlich ist zu erwägen, daß der Knabe, als ihn die Schwester des kleinen Hegmann fragte, ob er nicht wisse, wo ihr Brüderchen sei, gesagt hat: »Der ist nach den Kirschen gegangen.« Wir können auch nicht wissen, was der Knabe seinen Eltern gesagt hat und was sie selbst hinzugesetzt haben. Da wir auch den Knaben nicht selbst gehört haben, so können wir dessen Aussage kein Gewicht beilegen. Ich komme zu dem Knaben Gerhard Heister, der uns auch heute gezeigt, in welcher Stellung er auf dem Prellstein gesessen hat. Aber auch dieser Knabe hat erst zwei Wochen nach dem Morde seine Wahrnehmungen mitgeteilt, nachdem die Mölderssche Aussage längst bekannt war. Es wird deshalb auf die Aussage des Knaben Heister auch kein Gewicht zu legen sein. Aber trotzdem halte ich den Mölders für vollständig glaubwürdig. Es ist richtig, Mölders trinkt gerne Schnaps, und an dem Tage, als er das erstemal zu dem Herrn Amtsrichter ging, hatte er vielleicht schon verschiedene Schnäpse getrunken, aber an dem Vormittage, an dem er seine Wahrnehmungen machte, hatte er nur einen Schnaps getrunken. Ich muß nun bekennen, wenn der Angeklagte nicht in vollem Umfange und in überzeugendster Weise sein Alibi nachgewiesen hätte, würde ich keinen Anstand nehmen, auf Grund der Aussage des Mölders das Schuldig gegen den Angeklagten zu beantragen. Sobald festgestellt ist: der Knabe ist zuletzt in Buschhoffs Haus gewesen, dann muß Buschhoff über den Verbleib Rechenschaft geben. Ich wiederhole, dieses Moment war die Hauptveranlassung, daß gegen Buschhoff, Frau und Tochter Anklage erhoben wurde.

      Die Strafkammer hat beschlossen, das Verfahren gegen Frau und Tochter einzustellen, die Staatsanwaltschaft hat deshalb Beschwerde geführt, das Oberlandesgericht diese Beschwerde aber zurückgewiesen. So ist die Anklage gegen Buschhoff allein übriggeblieben. Es steht nun fest, daß der ermordete Knabe nach 10 Uhr vormittags nicht mehr gesehen und daß die Tat in der Scheune begangen worden ist. Es kann deshalb keinem Zweifel unterliegen, daß der Knabe gleich nach 10 Uhr vormittags in der Küppersschen Fruchtscheune ermordet worden ist. Buschhoff hat aber in glaubwürdigster Weise nachgewiesen, wo er zu dieser Zeit gewesen ist, er kann mithin die Tat unmöglich begangen haben. Ich