Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Augenblick mit weiteren Fragen. Ich begab mich eilends mit ihm auf die Suche, nahm eine andere Richtung als er, wußte aber seine Schritte so zu lenken, daß er die Leiche des Kindes selbst finden mußte. Und dann….“

      Faghnar seufzte.

      „Dann hörte ich seinen Schrei.“

      Gedankenverloren kratzte Faghnar mit der Spitze seines langen Stabes auf dem Boden herum, als wolle er damit Worte aus dem Fels stochern, um seine Erzählung fortzuführen.

      „Ich kenne die Schreie der Menschen, Faowgh. Ich habe sie oft gehört. Ich hörte sie auf den Schlachtfeldern, wo das Morden tausendfach war, und ich hörte die Klage der Mütter um ihre gefallenen Söhne und geschändeten Töchter, oder wenn sie selbst den siegreichen Feinden anheimfielen. Aber nie, nicht einmal aus den Mündern der lebendig ins Feuer geworfenen, hörte ich einen Schrei wie den des Fischers, als er sein einziges Kind fand.“

      „Warum tatest du nichts, ihm den Anblick zu ersparen?“ fragte der Drache. „Liebst du die Vandrimar nicht mehr?“

      „Ich liebe sie mehr denn je. Aber was wäre durch Unwissen für den Mann gewonnen gewesen? Die nie sich erfüllende Hoffnung, seine Tochter eines Tages lebendig wiederzusehen? Die Barmherzigkeit einer Täuschung? Nein. Laß die Menschen der Wahrheit ins Auge sehen, selbst wenn sie daran zerbrechen! Nur wer die bittere Wahrheit erträgt, ist stark genug das Leben zu meistern.“

      Nach einer Weile fuhr Faghnar fort:

      „Sie war entsetzlich zugerichtet. Die Kehle klaffte weit und rot auseinander, zerrissen von einer gewaltigen Kralle. Es war nicht der glatte Schnitt einer Klinge, der sie durchtrennt hatte.“ Bei den letzten Worten verhärteten sich Faghnars Züge, und ein gefährliches Funkeln lag in seinem auf Faowgh gerichteten Blick. „Ich fand ihren Vater über sie gebeugt, ihren Kopf in seiner Armbeuge, er wiegte sie sanft hin und her. Sein Blick war gebrochen, aber noch trat keine Träne in seine Augen. Er hielt sie wie jemand, der sein Kind zum allerletzten Mal in den Schlaf wiegt. Er bemerkte zuerst gar nicht, daß ich neben ihn getreten war. Ganz langsam wandte er mir schließlich den Kopf zu, den Mund wie zum Weinen verzerrt, aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Es dämmerte, fast wurde es schon Nacht, und wir hörten die Frau vom Waldrand her rufen. Schließlich überwand er sich und hob sachte das Kind vom Boden auf. Ich ging ihm voraus, der Mutter entgegen, um sie auf den Anblick vorzubereiten. Dafür bedurfte es keiner Worte. Als sie mich langsam und schweigend auf sie zutreten sah, fiel sie zunächst in eine ähnliche Starre wie zuvor schon ihr Mann, mit vor das Gesicht geschlagenen Händen. Dann sah sie den Vater mit dem toten Kind auf dem Arm hinter mir herschreiten und….“

      Faghnar hielt in seiner Erzählung inne. Sein Blick ging ins Leere. Zweifellos hatte er manches aus seinem Bericht ausgelassen, als er nach einer Weile fortfuhr:

      „Es war eine heitere, sorgenfreie Zeit, die ich den Fischern beschert hatte. Bis jener Mord geschah und ihr ein häßliches Ende setzte. Nie hat Faghnar jemandes Gastfreundschaft schlechter vergolten als durch seine Unachtsamkeit an jenem Tag. Wie konnte dies unter meiner Obhut geschehen?“ haderte er mit sich selbst. „Wie konnte ich mich so schändlich täuschen lassen? Ich, Faghnar, von dem die Menschen lernten, sich das Feuer dienstbar zu machen!?“

      Er hielt inne und durchbohrte seinen Zuhörer mit einem herausfordernden Blick. Der Drache erwiderte ihn unbeeindruckt und schien nicht im geringsten bereit, auf eine Provokation einzugehen.

      „Noch immer weiß ich nicht, welcher Art von Blendung ich erlag. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Und es wird ewig an mir haften. Keine Vergeltung wird den Eltern je ihre Gram nehmen können. Wölfe geben ihr Leben hin, um das ihrer Welpen zu sichern. Was könnte es da für die Menschen schlimmeres geben, als den Tod ihrer eigenen Nachkommen beweinen zu müssen?

      Die Fischer bahrten das Kind in der Hütte auf“, setzte Faghnar seine Erzählung fort, nachdem er eine Weile dumpf vor sich hin gebrütet hatte. „Der Frost dauerte an. Das Herdfeuer ließen sie während der folgenden Tage beinahe erlöschen, aber die Frau streute getrockneten wilden Thymian auf die spärlich flackernde Glut. Das Mädchen lag zugedeckt bis zur Brust, und der Hals war mit Birkenrinde umwickelt, so daß die gräßliche Wunde nicht zu sehen war. Der Mund war ganz leicht geöffnet, und die Augen hatte ihr der Vater geschlossen als er sie fand. Näher hätte ihr Anblick dem eines schlafenden Kindes nicht kommen können. Die Fischer sind zähe Leute und das Weinen nicht gewöhnt, weswegen ihre Tränen bald versiegt waren. Aber die Stille, steinern und kalt wie der Schmerz den sie in der Brust trugen, erfüllte die Hütte wie die lauteste Klage. Tag wurde zu Nacht, auf Nacht folgte Morgen, und immer wachte jemand neben dem Leichnam. Oft saßen der Fischer und ich Seite an Seite. Einmal brach er sein bitteres Schweigen mit den Worten:

      ‚Du bist ein Wanderer und kommst viel herum. Sag mir: hast du je eine Wunde gesehen wie die, welche die Kehle meiner Tochter durchtrennt?’

      Ich verneinte, der Wahrheit gemäß.

      ‚Und hast du je von einem wilden Tier gehört, daß seine Jagdbeute liegen läßt ohne seinen Hunger daran zu stillen?’

      Ich verneinte abermals. Wir waren im ersten Licht des folgenden Tages zum Ort des Überfalls zurückgekehrt, zu sehen, ob wir irgendwelche Spuren fänden. Die des Kindes verfolgten wir zurück, soweit sie uns in den Wald hineinführten, entdeckten aber nicht den geringsten Hinweis auf das fremde Wesen, das es getötet hatte. Einzig der gewaltsame Tod des Mädchens zeugte von seiner Existenz.

      ‚In harten Wintern sind wir hier oft vor den Wölfen auf der Hut’ sagte der Fischer, ‚aber dafür wäre es noch zu früh. Flußaufwärts gibt es eine Stelle, wo der Bär sich jeden Herbst Lachse fängt, was meiner Ausbeute in guten Jahren kaum schadet. Dieses Jahr mußte er wohl darben. Aber der Abdruck seiner Tatzen wäre nicht zu übersehen gewesen, wenn....’

      Er ließ unausgesprochen, was er andeuten wollte, und ich stimmte ihm stillschweigend zu.

      ‚Was immer es war’ führte er seinen Gedanken schließlich zu Ende: ‚Es tötete meine Tochter um des Tötens willen. Aber warum? Gegen welchen Gott oder Dämon des Waldes haben wir uns nur verfehlt?’

      Er erwartete nicht, daß ich es wüßte, schließlich war ich für ihn nur ein einfacher Korbflechter, so wenig mit tieferen Dingen vertraut wie er selbst. Allein, ich hatte seine Zuneigung gewonnen. Aber noch war es nicht Zeit, mich ihm zu offenbaren, zumal meine eigene Ratlosigkeit der seinen tatsächlich gleichkam.

      Am folgenden Morgen erhob sich die Frau von ihrem Lager, kniete neben der Bahre nieder, streichelte ihrer Tochter noch einige Male zärtlich durchs Haar und ging dann zur Feuerstelle, wo sie lange sitzenblieb. Ich brachte ihr trockene Zweige und Äste und legte sie ihr vor die Füße, aber sie hatte schon von selbst verstanden, daß es Zeit war Abschied zu nehmen. So wischte sie sich zwei letzte große Tränen ab, die über ihr Gesicht rollten, und blies das Feuer an. Später an diesem Tag schichtete der Mann nicht weit vom Flußufer Reisig und Äste aufeinander, während sie an dem Kind die letzten Vorbereitungen zur Bestattung traf. Eine Puppe, die sie ihr einmal genäht, und ein Holzpferdchen, daß der Vater ihr geschnitzt hatte, waren die einzigen Grabbeigaben. Gegen Abend trugen wir den Leichnam hinaus und betteten ihn unter dem bleigrauen Himmel auf den Scheiterhaufen. Die Mutter schritt neben uns her und brachte Feuer in einem irdenen Gefäß. Sie stellte es am Fuß des Scheiterhaufens ab; wir sahen schweigend zu, wie der eisige Wind das Reisig entfachte, und im Nu loderten die Flammen mannshoch. Niemand wollte sehen, wie sie den vorzeitig seines Lebens beraubten Körper verzehrten, und so verbargen wir das Gesicht vor ihnen oder blickten starr zu Boden. Und während sie nach und nach herunterbrannten, wurden wir von der blauen Dämmerung eingehüllt.

      Schließlich bückte sich die Frau und entzündete an der noch züngelnden Glut ein Talglicht, leicht genug, daß die Strömung des Flusses es auf einem breiten, flachen Korb aus Schilf trug, den ich eigens geflochten hatte. Vorsichtig bestieg sie damit das Floß, ihr Mann folgte ihr und stieß es vom Ufer ab, wo er es mit einem langen Seil vertäut hatte. Ich blieb wartend zurück. Als sie die Mitte des breiten Stroms erreicht hatten, empfahlen die Eltern die Seele ihres Kindes dem Bhréandyr, daß er sie sicher geleiten möge. Dann ließ die Mutter langsam, ganz langsam das Licht zu Wasser, und nachdem die Strömung es einmal