Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Unter jedem Stein, den ich umdrehte, konnte ich es hören. Der Bhréandyr beschleunigte seinen Lauf. Und eine Natter sah ich ihr Nest verlassen, das war das untrüglichste Zeichen, eine Schlange, mitten im Winter! Die Richtung in die sie floh wies mir den Weg, ich brauchte nur entgegengesetzt zu gehen….“

      „Und du hast nicht gesäumt, wie ich sehe.“

      „Dazu hatte ich auch keinerlei Anlaß.“

      „Nein?“

      „Ich hatte auf deinen Ruf gewartet.“

      „Du wolltest mich sehen?“ fragte Faowgh listig.

      „Tu nicht, als wüßtest du es nicht!“

      Faghnars Stimme verriet Ärger. Erst nach einer Weile fuhr er fort:

      „Etwas Seltsames geht vor sich. Im Herbst fand ich Aufnahme bei einem Flußfischer und Fährmann. Er und sein Weib bewohnen eine ärmliche Hütte am diesseitigen Ufer des Bhréandyr. Ich brauche dir nicht zu sagen, was für ein hartes Leben sie führen. Es gab wenig Lachse dieses Jahr, fast sah es so aus, als würden sie ganz ausbleiben. Die Steuern dagegen drücken wie immer. Und mehr noch als sonst, denn der Großkönig führt Krieg gegen die Stämme im Osten….“

      „Ja!“ fiel ihm Faowgh grimmig lachend ins Wort. „Seltsames geht vor sich, da hast du recht. Ammen und alte Weiber verlernen die Kunst des Erzählens. Die Vandrimar vergessen, daß auch sie einst von Osten kamen. Hat Mraeghdar an den langen Winterabenden nichts von den Taten der Alten vernommen? Mangelt es ihm an Barden, die davon singen? Oder ist es Neid auf ihren Ruhm, der ihn plagt, so daß er eigene Siege erkämpfen muß?“

      „Mraeghdar ist jähzornig und grausam“, versetzte Faghnar. „Ich liebe ihn nicht. Einmal sah ich, wie er ein Pferd erschlug weil es lahmte. Was sage ich, ein Pferd – das edelste Roß aus seinem Gestüt! Als der Marschall, der es herangezogen hatte, weinend vor ihm auf die Knie fiel und ihn bat, das Tier zu verschonen, geriet der Herrscher vollends außer sich. ‚Du bettelst um Milde für eine Mähre?’ brüllte er ihn an. ‚Nimm den Gäulen die Arbeit ab, wenn du so um sie besorgt bist!’ Darauf ließ er ihn nackt vor einen Pflug spannen, den er ihn über ein distelbewachsenes Brachfeld ziehen hieß, und peitschte ihn dabei halb zu Tode.“

      Faghnar hielt einen Moment inne.

      „Zu solchen Schandtaten ist Mraeghdar fähig, und zu schlimmeren. Aber die Feindschaft mit den Stämmen im Osten hat er nicht gesucht. Es waren die Feinde, die ihn gesucht haben, ihn und sein Volk, zu dessen Schutz er verpflichtet ist.“

      „Die Vandrimar sind Krieger und stolz darauf“, entgegnete Faowgh. „Wollen sie ihr Handwerk nicht verlernen, brauchen sie Feinde; die Bedrängten von einst sind zunichte, und ihr Platz ist es, den sie eingenommen haben.“

      „Sie sollten ihren Bedrängern dankbar sein, meinst du?“

      Das Schweigen des Drachen faßte Faghnar als Bestätigung auf.

      „Und auf ihre Art sind sie es“, stimmte er selbst zu. „Aber du bringst mich von meiner Erzählung ab. Wie ich sagte: ein Flußfischer, in einer Biegung des Rymnaegh Bhréandyr. Zwischen Weiden am Ufer steht seine Hütte, auf Pfählen, hoch genug, um nicht überschwemmt zu werden, wenn im Frühjahr der Fluß die Ebene flutet. Zieht sich das Wasser dann wieder zurück, sammeln Eltern und Kind die Krebse von den Uferwiesen und aus dem Gesträuch….“ Bei den letzten Worten verdüsterte sich Faghnars Miene. „So pflegten sie jedenfalls zu tun. Der Fischer und seine Frau hatten eine Tochter. Hätte das Mädchen diesen Winter überstanden, wäre es ihr neunter gewesen. Es war ihr einziges Kind.“ Faghnar verlagerte seinen Oberkörper ein wenig nach vorne und stemmte seinen Stab wie eine Lanze zwischen den Knien auf, ehe er hinzufügte: „Und ihr einziger Reichtum. Was war sie für ein Geschöpf! Wie sie ihre dunklen Augen über den breiten, geröteten Wangen weitete, als sie mich zum ersten Mal sah. Die Locken fielen ihr wie bronzene Ringe über die Schultern, und leichter als ein Wiesel sprang sie zwischen den Bäumen herum. Sie war es auch, die mich fand.“

      „Einen gewaltigen Schreck wirst du dem armen Ding eingejagt haben mit deiner borstigen Fratze….“

      Faghnar schüttete sich aus vor Lachen.

      „Ja, das mag wohl sein. Wie ein Blitz lief sie zu ihrem Vater, der mir kurz darauf mit der zitternden Kleinen an der Hand entgegenkam, argwöhnisch zunächst. Er fragte mich, wo ich herkäme, wo ich hinwolle, was meine Absichten seien. Ich gab mich als wandernder Korbflechter zu erkennen. Er prüfte mich weiter mit Fragen und abschätzigen Blicken, und es brauchte seine Zeit, bis sein Mißtrauen verflogen war. Und doch saß ich am gleichen Abend bei den Fischersleuten am Herdfeuer und teilte ihr ärmliches Mahl. Am schnellsten gewöhnte sich nach dem ersten Schrecken das Mädchen an mich, wie es Kindern eigen ist: eben bist du ihnen noch fremder als ein Reiter aus der Steppe, und im nächsten Augenblick hängen sie an dir wie eine Klette. Sie bettelte ihre Eltern an, mich bei ihnen bleiben zu lassen, und so geschah es.

      In den folgenden Tagen half ich dem Mann beim Ausbessern seiner Fischwehr und zeigte ihm dabei viele Handgriffe. Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, was er alles von mir lernte. Ich nahm dafür nichts als den Schlafplatz am Herd, und an Speise gerade so viel, wie die guten Leute für mich entbehren konnten. Sicher wäre ich den ganzen Winter bei ihnen geblieben, wenn nicht….“

      „Wenn nicht?“

      Faghnar strich sich den Bart und erwiderte Faowghs grimmen Blick.

      „Es geschah, was nie hätte geschehen dürfen. Ein Unheil, das selbst ich nicht von der Familie abwenden konnte. Eines Morgens nach dem ersten Frost zog das Mädchen alleine los, Schlehen zu sammeln. Ich witterte nicht die geringste Gefahr weit und breit, so blieb ich zurück und schnitt Schilf, um das Dach auszuflicken. Der Fischer war den ganzen Tag damit beschäftigt, mit zwei Zimmerleuten Eichenstämme den Bhréandyr hinauf zu flößen. Es wurde Mittag, ich war mit Schilfschneiden fertig und die Kleine war immer noch nicht zurück. Die Mutter schien unbesorgt. Sie wußte, daß ihre Tochter ein Kind der Wälder war, tiefer mit ihren Geheimnissen und Gefahren vertraut als eine Wildkatze. Also machte ich mich daran, die schadhaften Stellen am Dach der Hütte zu beheben. Die Stunden verstrichen, das Mädchen kam immer noch nicht zurück, aber ich war weiterhin unfähig, das Unheil zu orten. Mein einwärts gewandtes Auge versagte. Allmählich wurde es Abend, das Ende eines kühlen, sonnigen Tages, der den Winter ankündigte, und als der westliche Rand des Himmels zu glühen begann wie ein Eisen in der Schmiede, sah ich Ghléan, meine Schwester. So wie ich sie am liebsten sehe: jung, eine Jägerin, mit ihrem silbernen Bogen das Firmament herabsteigend. Und da, genau in diesem Augenblick, durchbohrte es mich wie ein Pfeilschuß aus dem Hinterhalt.“

      Faghnar krallte seine breiten, knochigen Hände um den Schaft und blickte zu Boden.

      „Auch wußte ich sofort, daß jede Rettung zu spät kam. Ghléan war von jetzt an mein Auge, in dem sie sich spiegelte. Ihr Blick geht überall hin, wie du weißt. Ich erstarrte, als ich das Geschehene sah. Je mehr ich mir bewußt wurde, wie nahe das Kind schon gewesen war, desto hilfloser wurde ich in meiner Wut. So nahe, wie der Rabe mit dreihundert Flügelschlägen fliegt, und ich stand hier auf dem Dach und verrichtete die Arbeit eines Tagelöhners! Meine nächste Umgebung zerfloß in einem Nebel; ich sah nur das Kind, wo es lag. Es war die Stimme der Mutter, die mich wieder zu mir brachte. Sie war nun doch in Sorge und rief vom Rand der Lichtung aus laut nach ihrer Tochter. Als sie vom Wald her keine Antwort erhielt, rief sie mich. Und, Faowgh, dies eine behalte für dich, wie groß unser Zwist auch sein möge: daß Faghnar sich schämte, den Blick eines einfachen Weibes als ein Lügner erwidern zu müssen. Ich verstellte mich wie die Spielleute, wenn sie Krieger oder niederes Volk unterhalten….“

      „Das ist nichts Neues an dir“ unterbrach Faowgh.

      „….und verschwieg somit, was ich bereits mit Sicherheit wußte. Die Frau blickte mich vertrauensvoll an. Sie las in meinen Zügen wie jemand der nicht weiß, ob seine Sorgen begründet oder unbegründet sind, aber doch eine Bestätigung für das letztere sucht. Gerade als sie mich alleine auf die Suche nach dem Kind schicken wollte, hörten wir die Stimme des Fischers, der froh war sein Floß am Ufer zu vertäuen, müde von seinem Tagwerk und sehnsüchtig