Mit Gold gepflastert .... Marc-Christian Riebe

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Название Mit Gold gepflastert ...
Автор произведения Marc-Christian Riebe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737572927



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und die Damen-Toilette war anschliessend mit Hygienebinden verstopft. Es kam alles hoch und der Sanitärbereich entwickelte sich zu einer Kloake, durch die ich nur mit hohen Gummistiefeln waten konnte.

      Während der Wintermonate half ich, die Schiffe für die nächste Saison klarzumachen, besserte Lackschäden aus und jätete Unkraut an der Kaimauer. Nach einem halben Jahr allerdings fruchteten Markus‘ Worte und es wurde mir klar, dass ich dabei war, meine Zukunft zu vermasseln. Ich begann eine Ausbildung zum «Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft» bei meinem Vater. Die Vergütung gegenüber der Schifffahrt war echt bescheiden, und ich bediente abends im Restaurant Volapük, um mir überhaupt etwas leisten zu können. Mein Vater kapierte einfach nicht, dass ich auch bei ihm nach Feierabend gejobbt hätte, wenn er mir entsprechend spannende Aufgaben übertragen und mich besser bezahlt hätte. Auf seinen Grill-Imbiss, den er neben seiner Immobilienfirma, dem Copyshop und ich weiss nicht, was alles betrieb, hatte ich echt keine Lust. Zum Putzen sonntags waren wir Geschwister, als wir noch klein waren, zwar immer mitgegangen, doch ich hatte mich damals schon geweigert, mit anzufassen. Der Fettgeruch war widerlich.

      Das Immobilienbüro meines Vaters an sich war schon garstig genug mit den roten Vorhängen vom Sex-Shop. Kein Scherz! Nun könnte man sich fragen, warum ich mich nicht woanders beworben hatte? Ganz simpel: Weil ich dachte, es nimmt mich mit dem Namen Riebe eh keiner. Dazu kam mein nicht gerade berauschender Notendurchschnitt.

      Nach eineinhalb Jahren kriselte es bei mir, und das lag nicht nur an den puffroten Vorhängen, die ich mir jeden Tag ansehen musste. Die Kündigung war bereits per Post verschickt, und ich hatte einen neuen Arbeitsvertrag der Stadtwerke Konstanz für die Fähre Konstanz-Meersburg in der Tasche. Da schaltete sich meine Grossmutter Gertrud ein und meinte energisch: «Marc-Christian, du ziehst die Lehre jetzt durch! Und ich will dir was sagen, für diesen Rat wirst du mir eines Tages danken.» Ich kündigte die Vereinbarung mit der Bodenseeschifffahrt, fing die Post ab und zerriss die Kündigung an meinen Vater. Nach dem Motto «Augen zu und durch» brachte ich die nächsten eineinhalb Jahre hinter mich. Und tatsächlich, ich bin meiner Oma dankbar für den Rat und heute froh, ihn befolgt zu haben.

      Eine kleine Episoden ist mir haften geblieben: Bevor sie an Krebs verstarb, besuchte ich sie auf der Intensivstation. Dass ihre Augen nicht mehr wie früher funkelten, die Kraft aus ihrem Körper gewichen war und sie uns Kindern keinen unverwüstlichen Halt mehr geben konnte, berührte mich stark. Die fremden Gerüche im Raum, der nahende Tod und die schlechte Luft taten ihr Übriges. Ich schaffte es gerade noch, mit schleppender Stimme: «Oma, es geht mir nicht gut!», zu sagen und haute ab. Draussen auf dem Flur fing mich mein Vater auf. Ich hoffe, meine Grossmutter hat ihren Kopf nicht über mein Verhalten geschüttelt. Es war meine letzte Begegnung mit ihr.

      Meine Oma hätte sich bestimmt gefreut, wenn sie noch mitbekommen hätte, dass ich die Ausbildung bei meinem Vater erfolgreich abgeschlossen hatte. Gar nicht so schlecht, könnte man jetzt sagen, wäre die Atmosphäre im Büro nicht voller undefinierbarer Vorahnungen gewesen. Und dann kam er, der Gerichtsvollzieher. Er setzte den Kuckuck auf den Tresor und mein Vater musste einen Offenbarungseid – heute Eidesstattliche Versicherung – leisten. Die Geschichte wiederholte sich. Mein Urgrossvater war in den 1930er Jahren in Westpreussen mit seinem Juweliergeschäft pleitegegangen. Mein Grossvater hatte ebenfalls alles verloren und war danach zum Schuldienst verpflichtet worden. In den 1960ern fing er in Konstanz noch einmal von vorne an. Jahre später wieder eine Krise. Und nach seinem Tod musste meine Oma das Geschäft weiterführen, bis mein Vater den Laden auf Vordermann brachte. Jetzt griff mein Bruder Gernot C. ein. Er hatte ebenfalls bei unserem Vater gelernt, obwohl er viel besser in der Schule gewesen war als ich. Er hätte ohne Probleme sein Abitur machen und studieren können. Aber gut, er hatte es sich nicht ausreden lassen, nun war er Retter in der Not.

      Was mich betraf, so arbeitete ich mittlerweile bei der Allianz Grundstücks GmbH in München. Während des Vorstellungsgespräches war ich unglaublich nervös gewesen. Auch weil ich von der Abschlussfeier bei der Berufsschule mit meinen Kollegen aus Pforzheim noch leicht angeschlagen war. Ich hatte den Termin sogar einmal verschoben. Schweissnasse Hände, unkontrollierter Blutdruck, Herzklopfen … Als letzter Kandidat von zahlreichen Bewerbern dachte ich: Das wird sowieso nix! Doch sie nahmen mich.

      In München bei einem so renommierten Unternehmen zu arbeiten, und das mit meinen 23 Jahren, bedeutete für mich die grosse weite Welt. Keine Frage, ich schien meinem Ziel, viel Geld zu verdienen und ein gutes Leben führen zu können, ein ganzes Stück näher gekommen zu sein.

      Ich lebte im Stadtteil Obermenzing bei einer geschiedenen Physiotherapeutin und ihren zwei Töchtern zur Untermiete. Sie waren Bhagwan-Anhänger, huldigten «Rajneesh» Chandra Mohan Jain, der sich später kurz Osho nannte. Er lehnte jedes Glaubenssystem ab, betonte den Wert der authentischen eigenen religiösen Erfahrung, sah in Jesus einen Rebell und behauptete, Gott sei nichts als eine Erfindung des Menschen. Opium für das Volk sozusagen. Mir war das egal. Mir gefiel die Gastfreundschaft dieser Leute und allzu lange würde ich nicht in München bleiben. Ich strebte nach mehr, und ich erkannte: Ohne das Abi kommst du nicht weiter.

      Ich kehrte nach Konstanz zurück, meldete mich für das Fachabitur in Radolfzell an. Das Schulbankdrücken war ein hartes Jahr. Als ich mich unter anderem in Mathematik von einer Fünf auf eine Zwei hocharbeitete, konnte ich nur erahnen, was mich an der Fachhochschule an Disziplin und Einsatz erwarten würde. Was das Studium betraf, entschied ich mich für Bremen, verbrachte zwei Auslandssemester in Leeds und machte ein weiteres Praktikum bei Husky Injection Molding Systems SA in Luxemburg. Eher zufällig hörte ich von ERASMUS, einem Programm für Bildung, Jugend und Sport der Europäischen Union, das Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeiten verbessern und das berufliche Engagement voranbringen sollte. Ich bewarb mich, gab meinen Praktikumsplatz in Luxemburg an und wurde gefördert. Zusammen mit der Zahlung von Husky hatte ich reichlich Geld, für damalige Verhältnisse zumindest. Trotzdem waren die Mieten in Luxemburg für mich unbezahlbar, und ich wohnte während dieser Zeit einige Kilometer entfernt in Trier.

      Nachdem sowohl Praktikum als auch Studium in Bremen und Leeds beendet waren, kam ich über meine damalige Freundin Charlotte beziehungsweise unseren gemeinsamen Freund Adrian, der heute bei Reckitt Benckieser, einem weltweit agierenden Hersteller von Reinigungsprodukten in Amsterdam, beschäftigt ist, zu Ernst & Young (EY) in Mannheim. Ich machte zunächst ein weiteres Praktikum unter Thomas Müller, einem Partner der Mannheimer EY-Niederlassung, und lernte bei einem Mandat den Neffen des gleichnamigen Firmen-Patriarchen Richard Engelhorn, Andreas Hilgenstock, kennen. Er kam gerade vom Stuttgarter Department-Store Breuninger und bereitete sich, gemeinsam mit seinen Cousins, auf seine neue Rolle als «Unternehmensleiter» vor. Zu dieser Aufgabe gehörte der richtige Umgang mit Zahlen, und das brachte Thomas ihm bei.

      Mein altersschwacher VW-Passat hatte gerade den Geist aufgegeben und Andreas Hilgenstock verkaufte mir für 15.000 D-Mark seinen anthrazitfarbenen BMW 525 Diesel Kombi. Dieser Wagen, wow! Er war für mich nach Ende meines Studiums und dem gerade frischen Eintritt in die Berufswelt ein absolutes Highlight. Ich wohnte teilweise noch in Bremen und die wöchentliche Fahrt nach Mannheim und zurück machte mir mit diesem schicken Wagen nichts mehr aus. Glücklich und etwas überdreht bretterte ich mit 230 Sachen die Autobahn entlang. Ein junger Kerl, der glaubte, dass ihm die Welt gehört!

      Ich fuhr damals nicht nur gerne Auto, sondern spielte auch regelmässig Golf. Der Chef der Mannheimer EY-Niederlassung, Alfred Müller (nicht verwandt mit Thomas Müller), war im Vorstand meines Golfclubs Limburger Hof. Immer, wenn ich ihn im Flur des Büros traf, unterhielten wir uns über Birdies, Handycaps und andere Golfdetails. Das machte mir damals schon bewusst, wie wichtig «Sehen und Gesehen werden» ist, um beruflich voranzukommen.

      Ob das Golfspiel wirklich mein Ding war, sei dahingestellt. Doch ich spielte nach einem Jahr mit einem Handicap von 26,5 relativ gut und brachte Thomas, wenn es die Zeit erlaubte, in seinem Büro auf einem ausgelegten Kunstrasen das Putten bei. Später vermittelte ich ihm meinen Personal Trainer. Heute ist Thomas Müller Chef von EY Mannheim und traut sich längst, mit seinen Mandanten auf einem richtigen Turnierplatz Golf zu spielen – und das recht passabel.

      Bei einer solch renommierten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft zu arbeiten, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Ehrlich gesagt wundere