Mit Gold gepflastert .... Marc-Christian Riebe

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Название Mit Gold gepflastert ...
Автор произведения Marc-Christian Riebe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737572927



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konnte von zu Hause aus tun und lassen, was ich wollte, und ging lieber morgens zum Billardspielen statt zum Schulunterricht. Das fand ich super. Blieb dann aber zum ersten Mal in der fünften und ein zweites Mal in der siebten Klasse hängen. Unter anderem wegen einer Sechs in Latein.

      Danach hätte ich die Schule in jedem Fall verlassen oder in ein Internat gehen müssen. Mein Vater suchte Schloss Gaienhofen am Bodensee für mich aus, eine evangelische Internatsschule. Ich wehrte mich mit Händen und Füssen dagegen, appellierte an das Mitgefühl meines Vaters. Ich wollte unbedingt bei der Familie bleiben, wo ich doch sonst mit jedem und allem haderte und nicht gerade zimperlich mit meinen Geschwistern umging. Ich war sogar entsetzt über eine solche Idee, wäre mir «entsorgt» vorgekommen. Ein Internat war für mich so schlimm wie ein Kinderheim. Ich, Marc-Christian Riebe, ein Heimkind, verlassen von Vater und Mutter und völlig allein! Aber vielleicht war es gut, dass mein Vater nicht versuchte, mich mit allen Mitteln von den positiven Seiten zu überzeugen.

      «Rufmord!»

      Ich blieb in Konstanz. Tante Erdmute, Vaters Schwester, setzte sich für mich ein und erreichte, dass ich nach einer Aufnahmeprüfung beim damaligen Rektor auf die Realschule und dort in die achte Klasse kam. Ansonsten wäre ich auf der Hauptschule gelandet. Frau Hauer, die mich in Mathematik unterrichtete, fand ich super. Sie war nicht so verbissen wie viele ihrer Kollegen und eher locker in der Art. Mit ihr und ihren drei Söhnen fuhr ich morgens öfter in ihrem VW-Bus mit. Schule begann, mir endlich Spass zu machen. Nach einem halben Jahr jedoch wurden die Schüler getrennt. Wir Jungs hatten zu oft rebelliert und die Schulleitung wollte durch das Herausfiltern der Anführer Ruhe in die Klassen bringen. Mich zu besänftigen, schien aber gar nicht so einfach. Ich war auf Krawall eingestellt und musste pro Woche mindestens einmal beim Direktor vorsprechen. Okay, die Lehrer hatten es wirklich schwer mit mir: «Das ist doch Blödsinn, was Sie da erzählen … Ich kann das nicht nachvollziehen … Beweisen Sie mir das mal …» So ging das.

      Und dann kam der Morgen, an dem ich als Junge hautnah mitbekam, was «negative Presse» für einen Unternehmer und seine Familie bedeuten kann. Bereits beim Aufstehen lag etwas in der Luft, eine Katastrophe. Dabei wollten wir Geschwister mit unserem Vater in den Migros Supermarkt nach Kreuzlingen fahren, wie jeden Samstag. Das Wetter an diesem milden Apriltag hätte nicht besser sein können, dazu schulfrei und Wochenende. Am Waschbecken stehend, während des Zähneputzens, hielt ich plötzlich inne. Streit zwischen den Eltern war nichts Besonderes, doch dieser Wortwechsel war heftig. «Das ist Rufmord!», hörte ich Mutter keifen. «Hat der Schmierfink denn nicht bedacht, dass du Vater von fünf Kindern bist?»

      Ich spülte den Mund aus, wischte mir mit dem Handtuch übers Gesicht und öffnete die Badezimmertür einen Spalt, um vom ersten Stock nach oben hin besser hören zu können.

      «Rufmord! Nun übertreib mal nicht. Ich verdiene mit dem Haus in der Schneckenburgstrasse gutes Geld. Wenn die Mieten wie vereinbart eingegangen wären, wären wir heute …»

      «Dort befindet sich ein Puff», fiel ihm Mutter ins Wort, «ein Bordell! Und genau so steht es hier!» Sie klopfte mehrmals auf etwas, wahrscheinlich auf die Tischplatte, und schrie unflätige Worte, die ich akustisch nicht verstand.

      Ich war mittlerweile durch das Treppenhaus nach oben gelaufen und stand jetzt im Esszimmer, das gleichzeitig Wohnzimmer war. Meine hkleineren Geschwister, längst wach, spielten Fangen oder kämpften gegen unsichtbare Geister. Gernot C. schlief noch. Die Eltern, einen Moment vorher noch erbost und in Streitigkeiten verwickelt, verstummten, als sie mich sahen.

      «Mann, was ist denn hier schon wieder los?» Ich hatte keinen Bock auf ein solches Gezeter. Mutter zögerte, bevor sie eine Antwort gab. Vielleicht überlegte sie, wie sie mich als den Ältesten aus der Sache raushalten könnte. Bei einem Zeitungsartikel mit einem Foto meines Vaters und eindeutiger Überschrift ziemlich hoffnungslos.

      «Hier, lies!», sagte sie schliesslich. Und an meinen Vater gewandt: «Marc-Christian ist fünfzehn und kein Kind mehr!» Was so viel hiess wie: Er wird schon verstehen, um was es geht.

      «Es geht um sehr viel Geld, um Sex und hohe Mieten»

       Streitereien um den «Privat-Club» namens Schneckenhaus – Ein Schweizer will ins Bordellgeschäft

       9.4.1988, gro. Der Konstanzer Geschäftsmann Gernot C. Riebe ist in einen gefährlichen Streit um Geld und käuflichen Sex verwickelt worden. Objekt der Auseinandersetzung ist das Haus Schneckenburgstrasse 27. Dort, am Rande des Konstanzer Sperrbezirks, hat sich ein so genannter Privatklub, der Klub Schneckenhaus, etabliert. Ein 33-jähriger Schweizer Handwerksmeister aus Kreuzlingen interessiert sich sehr für das Haus und dessen Frauen. Zusammen mit seinem deutschen Geschäftsführer, einem Dettinger, würde er den Klub ausbauen. Mit von der Partie ist ferner ein Konstanzer Anwalt, der gegen Riebe wegen einer Anzahlung vorgeht. Der Schweizer hatte bei Abschluss des Mietvertrages 20.000 DM hingeblättert.

       Mit kleinen Summen hat sich Gernot C. Riebe beruflich zuletzt als stellvertretender Leiter der Stadtkasse Meersburg abgegeben. Aber das ist schon ein paar Jährchen her. Etwa zu der Zeit, da es einen gewissen Dr. Horst Eickmeyer nach Konstanz zog, um dort Oberbürgermeister zu werden, streckte auch Riebe seine Fühler über den See hinaus aus . Zunächst sanierte er das Juweliergeschäft seiner Eltern, dann stieg er ein ins Immobiliengeschäft. Riebe, inzwischen fast 50 Jahre alt, verheiratet und Vater von fünf Kindern, wurde dabei zum Enfant terrible seiner Branche.

       Im Vertrauen auf seinen unbändigen Arbeitswillen wagte er sich auch an grosse Brocken – und übernahm sich prompt dabei. Vor knapp vier Jahren ersteigerte er das Haus Schneckenburgstrasse 27. Mit ihm wurde er zu einem Grosskunden des Sozialamts. Fast 20 sonst obdachlose Männer quartierte er bis Juli des vergangenen Jahres dort ein. Einer wohnt immer noch dort. Pro Kopf wurden ihm rund 350 DM bezahlt. Im Erdgeschoss etablierten sich ebenfalls Aussenseiter der Gesellschaft: Frauen, die für Geld zu Liebesdiensten bereit sind. Am wenigsten verdienen dabei die Frauen selbst. Am besten kommt in aller Regel weg, wer die Räumlichkeiten für dieses Gewerbe zur Verfügung stellt. Allerdings hatte Riebe dabei Pech.

       Die Geschäftsführerin des Klubs zahlte vergangenes Jahr die vereinbarte Miete nicht. 4.500 DM im Monat für die Klub-Wohnung im Erdgeschoss, und Riebe registrierte schliesslich im Februar dieses Monats einen Einnahmeverlust in Höhe von knapp 30.000 DM. Jene Geschäftsführerin, die Klub-Mutter, die das Haus inzwischen verlassen hat, war von dem Konstanzer Anwalt vertreten worden, der auch jetzt wieder aktiv geworden ist und erneut gegen Riebe vorgeht.

       Die 20.000 DM sind nur ein Teil der Summe, um die es wirklich geht. Am 22. Februar war vereinbart worden, dass der Schweizer 200.000 DM als Mietkaution bezahlt. Ausserdem war eine Monatsmiete von 12.000 DM vereinbart worden. Die soll jährlich um 10 Prozent steigen, so dass die Monatsmiete in zehn Jahren sage und schreibe 24.000 DM betragen würde (im Jahr nach Adam Riese rund 290.000 DM). Trotz dieser wirklich grossen Summen waren der Schweizer und sein Dettinger Geschäftsführer seinerzeit mit dem Mietvertrag voll einverstanden. Streit gab es erst Anfang März, weil das Haus nach Auffassung der neuen Mieter, nicht rechtzeitig zum 1. März vollständig fertig renoviert war.

       Inzwischen wird mit harten Bandagen gekämpft: Wegen der 20.000 DM hat der Anwalt des Schweizers vor wenigen Tagen einen ‹dringlichen Arrest› gegen Riebe beantragt, eine Art Beschlagnahme des gesamten Vermögens. Vor dem Landgericht Konstanz kam es vorgestern zu einem richterlich empfohlenen Vergleich: Riebe hinterlegt Grundschuldbriefe bei seinem Singener Anwalt, der ‹Arrest› wurde abgewendet. Inzwischen bereitet er, wie er gestern Abend sagte, eine Strafanzeige gegen den Konstanzer Anwalt vor, der ihn, Riebe, systematisch auszuboten versuche, um selbst ins einschlägige Geschäft zu kommen.

       Der Schweizer, so heisst es, soll nach wie vor an dem Haus interessiert sein. Das wäre kein Wunder, in der Konstanzer Sex-Branche sind pro Zimmer Tagesmieten in Höhe von rund 100 DM (und mehr) üblich. Das Rechts- und Ordnungsamt hat die gewerbsmässige Prostitution in dem Wohnhaus zwar untersagt. Aber in erster Linie wegen fehlender Stellplätze.

      In der Mitte des Textes prangte ein Bild meines Vaters mit folgendem Text:

       GERNOT C.