MAD-MIX2: Corona-Shorts. Mari März

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Название MAD-MIX2: Corona-Shorts
Автор произведения Mari März
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174159



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ist die Welt?

      Erkenntnis frohlockt – es ist noch nicht zu spät.

      Entschleunigung bringt uns die Kraft des Wandels.

      Wir drehen uns nicht mehr, aber mit uns der Planet.

      Zeit für das Wie. Zeit für das Was.

      Zeit für das Wohin.

      Wie soll ich leben? Was macht mich glücklich?

      Weiß ich, wer ich bin?

      Die Zeit ist da, schon immer gewesen.

      Die Uhr tickt für jeden gleich.

      Was fangen wir an, ist die Menschheit genesen.

      Wohin wird die Reise geh’n?

      Schneller, weiter sind Begriffe von gestern.

      Heute zählt nicht das Wann.

      Zeit für das Wie. Zeit für das Was.

      Zeit für einen neuen Plan.

      So will ich leben. Das macht mich glücklich.

      Ich weiß jetzt, wer ich bin.

      Auch erschienen in der Anthologie

      von Sebastian Fitzek (Hrsg.)

      #wirschreibenzuhause

#wirschreibenzuhause: 100 Quarantäne-Kurzkrimis für einen guten Zweck von [Sebastian Fitzek]

      Glitzer und Staub – zwei Dinge, die nicht zusammengehören und doch hier an diesem Ort vereint sind wie ein Paar Socken, von denen eines ein Loch hat. Ich bin die Socke mit dem Loch, war es immer gewesen. Ich bin der Staub, den man gern unter den Teppich kehrt wie unliebsame Wahrheiten.

      Melissa kehrt nach fünfzehn Jahren an jenen Ort zurück, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Ihre Mutter überreicht ihr einen Karton, in dem ein altes Handy liegt. Es empfängt Nachrichten, die nicht real sein können.

      Oder doch?

      Erinnerungen sind subjektive Wahrnehmungen, die unser Gehirn speichert. Aber was, wenn dieser Speicher defekt ist?

      MEMO – ein düsterer Seelentrip von Mari März.

      Eine Kurzgeschichte, die dank des überwältigenden Leservotums auch in Sebastian Fitzeks Anthologie WIR SCHREIBEN ZU HAUSE veröffentlicht wurde.

      Im ersten Lockdown 2020 rief Sebastian Fitzek unter dem Hashtag #wirschreibenzuhause seine Instagram-Follower zu einer Schreibsession auf. Ich muss zugeben, dass ich bis dato kein Fitzek-Follower war. Natürlich las ich einige seiner Bücher, aber ich besitze null Fan-Attitüde. Eine Autorenkollegin erzählte mir von jenem Schreibwettbewerb, und da die Erlöse des geplanten Werkes der gebeutelten Buchbranche zugutekommen sollten, war ich durchaus interessiert. Also schrieb ich einen düsteren Seelentrip und MEMO kam dank zahlreicher Gutfinder in besagte Charity-Ausgabe.

      Wie bei Anthologien im Allgemeinen üblich, gab es natürlich ein bis fünf Vorgaben in Bezug auf Thema, Setting, Inhalt etc. Herr Fitzek dachte sich die folgenden aus (ich zitiere):

      1. Die Geschichte soll unter dem Thema »Identität« stehen.

      2. Jemand findet ein fremdes Handy, auf dem er/sie Bilder von sich selbst entdeckt.

      3. Die Hauptfigur hat ein dunkles Geheimnis.

      4. Das Handlungsmotiv des Gegners ist Rache.

      5. Unter dem dunklen Geheimnis leidet der Gegner noch heute.

      So weit – so gut. Wer Gegner und wer Hauptfigur ist, durfte ich proaktiv entscheiden, was durchaus günstig war, denn ich mag bekanntlich kein reines Schwarz und Weiß.

      Das Thema »Identität« brachte mich spontan zur Schizophrenie und Psychose. Ich begann zu recherchieren und fand unter anderem die Symptome Wahnvorstellungen, Desorientierung sowie bizarres Verhalten bis hin zum Realitätsverlust. Und natürlich wollte ich wie immer keine Klischees bedienen und plakativ dem Bösewicht die psychische Erkrankung andichten. Nein. Wie schon in PSYCHO-PAT und auch MISS VERSTÄNDNIS erzähle ich eine (wenngleich kurze) Geschichte über die Krankheit.

      Wie fühlt es sich an?

      Weshalb kam es dazu?

      Was muss passieren, bis eine Seele bricht?

      Und genau deshalb endet diese Geschichte, wie sie eben enden muss. Mari-März-Fans wissen mit Doktor Kramer, dem Therapeuten aus dem BLISS, etwas anzufangen. Nicht wahr?

      Aber nun genug der langen Vorrede. Stürzen wir uns in die düsteren Erinnerungen einer Frau, die ebenjene aus bestimmten Gründen verdrängen musste ...

       MEMO

      MARI MÄRZ © 2020

      Was sagt ein Haar über einen Menschen aus? Ist etwa ähnlich wie bei Jahresringen eines Baumes feststellbar, welches Leben dieser Mensch führte? Ich lasse ein solches Haar durch meine Finger gleiten.

      Es ist meins.

      Lang und blond.

      Die Farbe ist nicht echt.

      Wie so vieles an mir nicht echt ist.

      Die letzten Zentimeter sind brüchig.

      Ein Indiz, das mein Leben auszeichnet.

      »Mel-Schätzchen, was tust du denn da? Iss lieber was von dem Kuchen, du bist viel zu dünn!«

      Essen. Wie kann meine Mutter jetzt an Essen denken? Sie flaniert durchs Wohnzimmer, serviert ihren Gästen Getränke und Häppchen, als wäre das hier eine beschissene Party. Aber das hier ist keine Party, es sind auch nicht ihre Gäste.

      Meine Schwester ist keinen Deut besser. Sie benimmt sich wie Mutter, als würde sie mit ihr wetteifern. Schon als kleines Mädchen hat sie das getan. Die billige Kopie einer Frau, die selbst keine Bereicherung für diese Welt darstellt.

      »Lass die Kleine doch. Sie trauert und hat wahrscheinlich keinen Appetit.«

      Onkel Dieter. Was weiß der schon über mich? Fünfzehn Jahre war ich nicht hier gewesen, habe versucht, mein Leben zu leben. Ohne dieses Haus und ohne diese Familie. Aber heute musste ich wohl kommen, um Abschied zu nehmen.

      »Sie hat ihren Vater doch so geliebt«, höre ich meine Mutter sagen. Nein, sie sagt es nicht, sie singt die Worte. Für diese Frau ist alles rosarot, hübsch sortiert und blankgeschrubbt. Niemand weiß, wie es wirklich in ihr aussieht, hinter dieser Fassade aus Glitzer und Staub. Das habe ich wohl von ihr geerbt. Wahrscheinlich ist sie sogar froh, dass Papa tot ist. Drei Jahre hat er gelitten, bis der Krebs gewann.

      Niemand interessiert sich heute dafür. Dieser Leichenschmaus passt zu meiner Mutter – verlogen, verfressen, verdammt. Eine Tradition, die mir genau wie diese Frau suspekt ist.

      Ich wickle das Haar um meinen Zeigefinger und beobachte die Gäste. Das halbe Dorf ist hier, faselt, frisst und furzt. Hier, in diesem Kaff vor den Toren Berlins, wo ich meine Kindheit verbrachte. Warum bin ich hier? Um Papa die letzte Ehre zu erweisen? Weil es sich so gehört, dass die Tochter zur Beerdigung ihres Vaters erscheint?

      Direkt nach der Beisetzung hätte ich verschwinden sollen. Ab in den nächsten Flieger und zurück in mein Leben, den Abstand wiederherstellen, sechstausend Kilometer zwischen mir und diesem Haus.

      »Ja, unsere Melli hat ihren Papa sehr geliebt«, flötet meine Mutter in die Runde. Onkel Dieter hat sich zum Rauchen nach draußen verzogen. In mir steigt die Gier nach einem Joint. Den letzten