Meermädchen. Petra Vetter

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Название Meermädchen
Автор произведения Petra Vetter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754173060



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Mittag fahren wir nach Poole!“, riefen ihm seine Großeltern hinterher, „da erwartet dich die nächste Überraschung!“ Jason war glücklich; von jetzt an würde er jedes Jahr fünf werden, denn mit fünf gab es anscheinend die besten Geschenke.

      Mittags saßen sie dann in Poole in Jasons Lieblings- Restaurant. Seine Großeltern waren hier seit vielen Jahren Stammgäste, und die Eigentümer hatten den Tisch zu Jasons Geburtstag besonders hübsch gedeckt. Sogar eine kleine Tafel Schokolade lag auf seiner Serviette. Schon zweimal war der Kellner vorbeigekommen, um nach ihren Wünschen zu fragen, doch Liam hatte nur die Getränke bestellt und ihn dann wieder fortgeschickt. Während sich Jason noch fragte, ob ihn seine Großeltern heute an seinem Geburtstag verhungern lassen wollten, öffnete sich die Restauranttür und seine Eltern kamen herein.

      Sein Vater, Rick Waterstone, war Dirigent des berühmten Sundown Orchestra und, neben seinen Verpflichtungen am Rundfunk, häufig mit seinen Musikern unterwegs. Seine Mutter Helen hingegen arbeitete als Schauspielerin am Two Pieces Theatre, das unter anderem für seine Shakespeare Inszenierungen gefeiert wurde. In den Sommerferien gingen beide auf Tournee und brachten Jason dann, zur großen Freude aller Beteiligten, zu Ricks Eltern.

      Jason riss es vor Freude von seinem Stuhl. „Mama, Papa!“, schrie er durchs ganze Restaurant und stürzte ihnen entgegen. Rick und Helen hatten es geschafft, sich für diesen besonderen Tag von ihren beruflichen Verpflichtungen loszueisen und waren aus dem Ausland angereist, um mit ihrem Sohn zu feiern. Jason freute sich wie ein König, oder, präziser gesagt, wie ein Meerkönig. Es kam leider nicht sehr oft vor, dass er seine Eltern an seinem Geburtstag sah, doch stimmte es ihn nie allzu traurig, denn seine Großeltern ließen keine trübte Laune aufkommen.

      Helen umarmte ihren Sohn zuerst, verwuschelte liebevoll sein Haar, während er ausgelassen quietschte und ihr schönes, schmales Gesicht betrachtete. Ihr langes, braunes Haar war so wellig wie sein eigenes, doch in ihren braunen Augen konnte man kleine Goldsprenkel sehen. Sein Vater Rick wartete geduldig, bis Mutter und Sohn ihr Begrüßungsritual vollzogen hatten, um Jason dann fest in seine Arme zu ziehen. Er war von großer und ähnlich kräftiger Statur wie sein Vater, und aus seinem markanten Gesicht mit dem dunkelblonden Haar blickten ein paar freundliche dunkelblaue Augen.

      Nun war ihre Gesellschaft vollständig, und das Essen konnte bestellt werden. Endlich, dachte Jason erleichtert.

      Liam erzählte gerade von ihrem Angelausflug. „Wie viele Fische habt ihr denn gefangen?“, fragte Rick scheinheilig. Er kannte die Antwort ganz genau. „Keinen einzigen“, lautete sie dann auch wahrheitsgetreu, und die beiden Angler versuchten, ein bekümmertes Gesicht zu machen. Alle lachten schallend, denn sie wussten, wie sehr Jason das Töten der gefangenen Fische hasste.

      „Zeit für den Nachtisch“, sein Vater erhob sich. „Wollen doch mal sehen, ob wir für euren entgangenen Fang eine Entschädigung auftreiben können.“ Mit diesen Worten ging er zur Theke. Wenig später trug der Kellner einen Teller mit brennenden Wunderkerzen, die in einem Seestern aus Eis steckten, an ihren Tisch. So etwas Tolles hatte Jason noch nie gesehen, und während er noch staunte, ertönte sein geliebtes Geburtstagsständchen zum zweiten Mal. Was für ein großartiger Tag!

      Nach dem Essen spazierten sie noch ein wenig an der Strandpromenade von Poole entlang, doch wurde es Jason schnell langweilig. Deshalb fuhren sie zum Haus seiner Großeltern, um gemeinsam im Meer zu schwimmen.

      Schon bald, viel zu bald, war es für seine Eltern Zeit zum Aufbruch. Sie drückten Jason fest an sich, und als sich seine große, schlanke Mutter zu ihm herabbeugte sagte sie leise: „Bis zur Einschulung, mein Großer“, dann stieg sie zusammen mit seinem Vater in das wartende Taxi.

      Es war ein so schöner Tag gewesen, trotzdem wurde Jason nun ein wenig traurig. Sarah bemerkte seinen Stimmungswechsel und schlug deshalb vor, es sich bei einem Gläschen Wein -Limonade für Jason, versteht sich- und ein paar kleinen Snacks gemütlich zu machen. Sie hatten einen aufregenden Tag erlebt und waren alle ein wenig müde, so dass ihnen ein bisschen Ruhe nicht schaden würde. Eine wunderbare Gelegenheit, um die Geschichte von Aldiana zu hören. Ihre Idee wurde begeistert angenommen, und sie waren sich schnell einig, dass Liam vorlesen sollte. Jeder kuschelte sich auf seinem Lieblingsplatz zurecht, und Liam begann:

       Aldiana

      Zuerst rauschten die Worte an Jason vorbei, der die Geschichte nur zu gut kannte und sich einer wohligen Schläfrigkeit überließ.

      Er wusste, dass der Fluch, der durch die Entführung des Meerkönigs über dem Reich lag, gebrochen werden konnte. Dazu musste eine Königstochter einen Menschen mit reinem Herzen finden, der bereit war, ihr in ihren Palast zu folgen, um den Meermenschen bei ihrem Kampf gegen die Drachenfische beizustehen. Die Königsfamilie besaß eine Geheimwaffe, -eine Hightech-Harpune von einem gekenterten Schiff- deren Handhabung ihnen unbekannt und nur den Menschen vertraut war. Aldiana würde diese schwierige Aufgabe übernehmen und Malcolm finden, der sie begleiten und zusammen mit der Hai-Arme erfolgreich König Dorian aus den Flossen der Drachenfische befreien würde.

      Doch plötzlich rissen Liams Worte Jason aus seiner Schläfrigkeit. Aldianas Geschichte hatte eine Wendung bekommen, die er nicht kannte. Aufmerksam lauschte Jason seinem Opa.

       Königin Amber verkündete gerade ihren bedrückten Töchtern, dass der Retter ihres Volkes nach vollendeter Tat nicht mehr an Land zurückkehren könne:

       In dem Moment, in dem er einer von euch Königskindern folgt, wird sich seine Lunge verwandeln, so dass er von nun an nur noch unter Wasser leben kann. Das weiß der Auserwählte jedoch nicht, und es wäre auch nicht klug, ihm das zu sagen. Wohl kaum einer würde sonst einer Meeresprinzessin folgen.‘

       Die Mädchen blieben nach dieser Offenbarung lange stumm. Ihnen war klar, was sie bedeutete. Eine von ihnen musste Verrat an einem Menschen üben, der ihnen nichts angetan hatte, musste ihn in ihre Welt locken, aus der er niemals mehr entfliehen konnte. Dieses Wissen lastete schwer auf ihnen, doch musste es getan werden, um den Fluch von ihrem eigenen Volk zu nehmen.

      Jason verschlug es die Sprache; diese Veränderung der Erzählung verwirrte ihn. Was hatte das zu bedeuten? Seit wann konnte Malcolm nach bestandenem Abenteuer nicht mehr an Land zurück? Und warum gab sich Aldiana für diesen Verrat her?

      „Ist Aldiana jetzt böse geworden?“, fragte Jason unvermittelt. „Nein, eigentlich nicht“, antwortete seine Oma. „Aber das ist eine unheimlich schwierige Frage. Lass uns nach der Geschichte darüber reden.“

      Sein Opa fuhr fort und Jason verfolgte aufgewühlt den Fortgang, in dem es vorläufig keine weiteren Änderungen gab. Malcolm besiegte die Drachenfische und befreite König Dorian den Zweiten. Nach beider Rückkehr in den Palast wurde ein großes Fest gefeiert.

      Doch nun musste es ein neues, noch unbekanntes Ende geben. Und tatsächlich fuhr sein Großvater fort:

       Ein großes Fest wurde zu Malcolms Ehren geplant, doch der wollte nur noch zurück an Land, zurück zu seiner Familie, seinen Freunden und zu Liana, seiner großen Liebe, die sich sicher schon schrecklich um ihn sorgte. Wie sollte er ihr nur sein Verschwinden erklären? Sie würde ihm nicht glauben. Er konnte doch nicht zurückkehren und ihr von einer Nixe und der Rettung ihres Reiches erzählen. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen. Malcolm suchte Aldiana, um sich von ihr zu verabschieden. Als er sie fand, verspürte er bei ihrem Anblick eine ungute Vorahnung; sie sah ihn so merkwürdig an. Irgendetwas stimmte nicht, obwohl der König und sein Reich gerettet waren. Aldiana blieb nun nichts anderes übrig, als Malcolm ihren Betrug an ihm zu beichten.

       Seine Reaktion erschütterte sie, als er bleich und schreckerfüllt auf einem Felsen niedersank und dort regungslos sitzenblieb. Seine blonden, kurzen Locken bewegten sich in der sanften Strömung des Wassers, doch seine blauen Augen schienen jeden Lebensfunken verloren zu haben und sein sonst so schelmig dreinblickendes Gesicht wirkte starr wie eine Maske.

       Aldiana kannte sich mit dem Verhalten der Menschen nicht aus. Nach drei Stunden beauftragte sie beunruhigt