Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

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Название Jeder stirbt für sich allein
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174623



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Ex-Schwiegervater Otto Quangel auch nur deswegen gegangen, um wegen Trudels Sicherheit klarzusehen. Nun, was diesen Otto Quangel angeht, so darf er wohl unbesorgt sein. Ein harter Vogel das, und ein böser dazu. Und gewiß kein geschwätziger, trotz seines großen Schnabelhakens. Diese Art, wie er rasch und böse zuschlug!

      Und weil ein solcher Mensch vielleicht plappern konnte, war die Trudel beinahe in den Tod gehetzt worden. Der plapperte nie – auch vor denen nicht! Und um Trudel würde er sich auch kaum kümmern, er schien von der Trudel nicht mehr viel wissen zu wollen. Was solch ein rascher Kinnhaken einem doch manchmal für Aufklärung bringen kann!

      Karl Hergesell geht nun völlig unbesorgt in die Fabrik, und als er dort durch vorsichtige Umfrage erfährt, daß Grigoleit und der Säugling in den Sack gehauen haben, atmet er auf. Nun ist alles sicher. Es gibt keine Zelle mehr, aber er bedauert das nicht einmal sehr. Dafür wird Trudel leben!

      Im Grunde hat er sich nie so sehr für die politische Arbeit interessiert, dafür um so mehr für die Trudel!

      Quangel fährt auf der Elektrischen wieder seiner Wohnung zu, aber als er aussteigen müßte, fährt er an der Jablonskistraße vorbei. Sicher ist sicher, falls wirklich noch ein Verfolger an seinen Hacken hängt, will er sich mit ihm allein auseinandersetzen, ihn nicht in die Wohnung ziehen. Anna ist jetzt nicht in der richtigen Verfassung, mit einer unangenehmen Überraschung fertigzuwerden. Er muß erst mit ihr reden. Gewiß, er wird das tun, Anna spielt eine große Rolle bei dem, was er vorhat. Aber erst muß er anderes erledigen.

      Quangel hat sich entschlossen, heute vor der Arbeit überhaupt nicht mehr nach Haus zu kommen. Er wird eben auf Kaffee und Mittagessen verzichten. Anna wird ein bißchen unruhig sein, aber sie wird schon warten und nichts Voreiliges tun. Er muß heute was erledigen. Morgen ist Sonntag, da muß alles da sein.

      Er steigt wieder um und fährt in die Stadt hinein. Nein, wegen dieses jungen Menschen eben, dem er so rasch mit einem Faustschlag den Mund gestopft hat, macht sich Quangel keine großen Sorgen. Er glaubt auch nicht so recht an weitere Verfolger, er glaubt vielmehr daran, daß dieser Mann wirklich von der Trudel kam. Sie hat ja schon so was angedeutet, sie müsse gestehen, daß sie ihren Schwur gebrochen habe. Daraufhin haben die ihr natürlich allen Umgang mit ihm verboten, und sie hat diesen jungen Burschen als Boten abgesandt. All das ganz ungefährlich. Die reine Kinderei das, wirklich Kinder, die sich in ein Spiel eingelassen haben, von dem sie nicht das geringste verstehen. Er, Otto Quangel, versteht ein wenig mehr davon. Er weiß, in was er sich da einlassen wird. Aber er wird dieses Spiel nicht wie ein Kind spielen, er wird sich jede Karte überlegen.

      Er sieht die Trudel wieder vor sich, wie sie da in diesem zugigen Gang gegen das Plakat des Volksgerichtshofes lehnte – ahnungslos. Er empfindet wieder dieses unruhige Gefühl, als der Kopf des Mädchens von der Überschrift »Im Namen des deutschen Volkes« gekrönt war, er liest wieder statt der fremden die eigenen Namen – nein, nein, dies ist eine Sache für ihn allein. Und für Anna, für die Anna natürlich auch. Er wird ihr schon zeigen, wer »sein« Führer ist!

      In der Innenstadt angekommen, erledigt Quangel erst einige Einkäufe. Er kauft nur für Pfennigbeträge, ein paar Postkarten, einen Federhalter, ein paar Stahlfedern, ein Fläschchen Tinte. Und auch diese Einkäufe verteilt er noch auf ein Warenhaus, eine Woolworth-Niederlage und auf ein Schreibwarengeschäft. Schließlich, nach langem Überlegen, ersteht er noch ein Paar ganz einfache, dünne Stoffhandschuhe, die er ohne Bezugschein bekommt.

      Dann sitzt er in einem dieser großen Bierrestaurants am Alexanderplatz, er trinkt ein Glas Bier, er bekommt auch noch markenfrei zu essen. Wir schreiben 1940, die Ausplünderung der überfallenen Völker hat begonnen, das deutsche Volk hat keine großen Entbehrungen zu tragen. Eigentlich ist noch fast alles zu haben, und noch nicht einmal übermäßig teuer.

      Und was den Krieg selbst angeht, so wird er in fremden Ländern fern von Berlin ausgetragen. Ja, es erscheinen schon dann und wann englische Flugzeuge über der Stadt. Dann fallen ein paar Bomben, und die Bevölkerung macht am nächsten Tage lange Wanderungen, um die Zerstörungen zu besichtigen. Die meisten lachen dann und sagen: »Wenn die uns so erledigen wollen, brauchen sie hundert Jahre dazu, und dann ist noch immer nicht viel davon zu merken. Unterdes radieren wir ihre Städte vom Erdboden weg!«

      So reden die Leute, und seit jetzt Frankreich um Waffenstillstand bat, hat sich die Zahl derer, die so reden, stark vergrößert. Die meisten Menschen laufen dem Erfolg nach. Ein Mann wie Otto Quangel, der mitten im Erfolg aus der Reihe tritt, ist eine Ausnahme.

      Er sitzt da. Er hat noch Zeit, noch muß er nicht in die Fabrik. Aber jetzt ist die Unruhe der letzten Tage von ihm abgefallen. Seit er dieses Haus besichtigt, seit er diese paar kleinen Einkäufe erledigt hat, ist alles entschieden. Er braucht nicht einmal mehr groß nachzudenken über das, was er noch zu tun hat. Das tut sich jetzt von allein, der Weg liegt klar vor ihm. Er braucht ihn nur weiterzugehen, die ersten entscheidenden Schritte in ihn hinein sind schon getan.

      Dann, als seine Zeit gekommen ist, zahlt er und macht sich auf den Weg in die Fabrik. Obwohl es ein weiter Weg ist vom Alexanderplatz aus, geht er ihn zu Fuß. Er hat heute schon genug Geld ausgegeben, für Fahrerei, für die Einkäufe, das Essen. Genug? Viel zuviel! Trotzdem Quangel sich jetzt für ein ganz anderes Leben entschlossen hat, wird er an den bisherigen Gewohnheiten nichts ändern. Er wird weiter sparsam bleiben und sich die Menschen vom Leibe halten.

      Schließlich steht er wieder in seiner Werkstatt, aufmerksam und wach, wortlos und abweisend, ganz wie immer. Ihm ist nichts anzusehen von dem, was in ihm vorgegangen ist.

      15

       Enno Kluge arbeitet wieder

      Als Otto Quangel seine Arbeit in der Tischlerwerkstatt begann, stand Enno Kluge schon seit sechs Stunden an einer Drehbank. Ja, es hat den kleinen Mann nicht mehr in seinem Bett gelitten, trotz seiner Schwäche und seiner Schmerzen ist er in die Fabrik gefahren. Der Empfang dort war freilich nicht sehr freundlich, aber das war kaum anders zu erwarten.

      »Na, bist du auch mal wieder bei uns zu Besuch, Enno?« hatte ihn der Meister gefragt. »Wie lange willste denn diesmal wieder mitmachen, eine oder zwei Wochen?«

      »Ich bin jetzt wieder ganz gesund, Meister«, versicherte Enno Kluge eifrig. »Ich kann wieder arbeiten, und ich werd auch arbeiten, das sollst du schon sehen!«

      »Na, na!« meinte der Meister ziemlich ungläubig und wollte wieder gehen. Aber er blieb noch einmal stehen, betrachtete nachdenklich Ennos Gesicht und fragte: »Und was haste denn mit deiner Visage gemacht, Enno? Ein bißchen in die Heißmangel gekommen, was?«

      Enno hat den Kopf auf sein Werkstück gesenkt, er sieht den Meister auch nicht an, als er schließlich antwortet: »Jawohl, Meister, durch die Mangel gedreht …«

      Der Meister bleibt nachdenklich vor ihm stehen und betrachtet ihn immer weiter. Schließlich glaubt er sich einen Vers auf die Sache machen zu können und sagt: »Na, vielleicht hat’s wirklich geholfen, vielleicht hast du nun wirklich Trieb zur Arbeit, Enno!«

      Damit ging der Meister, und Enno Kluge war froh, daß die Schläge so verstanden worden waren. Sollte der nur ruhig denken, er war wegen seiner Arbeitsscheu so abgerollt worden, um so besser! Darüber wollte er mit keinem reden. Und wenn sie hier so dachten, würden sie ihn mit allen Fragen verschonen. Sie würden höchstens hinter seinem Rücken über ihn lachen, und das sollten sie ruhig, das war ihm egal. Er wollte jetzt arbeiten, wundern sollten sich die über ihn!

      Bescheiden lächelnd und doch nicht ohne Stolz ließ sich Enno Kluge für die freiwillige Sonntagsschicht aufschreiben. Ein paar ältere Arbeitskollegen, die ihn noch von früher her kannten, machten spöttische Bemerkungen. Er lachte einfach mit und sah es gerne, daß auch der Meister grinste.

      Übrigens hatte ihm die irrtümliche Annahme des Meisters, er habe die Schläge wegen seiner Arbeitsscheu bezogen, sicher auch bei der Direktion genützt. Dorthin war er gleich nach der Mittagspause gerufen worden. Wie ein Angeklagter stand er dort, und daß von seinen Richtern einer in Wehrmachtsuniform, einer in SA-Uniform steckte, während nur einer Zivil trug, freilich auch mit dem Hoheitszeichen geschmückt, das erhöhte noch seine