Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

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Название Jeder stirbt für sich allein
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754174623



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mochte es nun ein Ja oder ein Nein bedeuten. »Ich möchte zurück«, sagte sie. »Ich mag nicht mehr tanzen.«

      »Trudel«, sagte Karl Hergesell hastig, als sie sich aus den Tanzenden gelöst hatten, »dein Otto ist erst gestern gestorben, erst gestern hast du die Nachricht bekommen. Es ist zu früh. Aber du weißt es ja auch so, ich habe dich immer geliebt. Ich habe nie etwas von dir erwartet, aber nun erwarte ich, daß du wenigstens lebst. Nicht für mich, nein, daß du lebst!«

      Aber wieder bewegte sie nur den Kopf, wieder blieb es ungewiß, was sie zu seiner Liebe, was sie zu seinem Wunsche, sie am Leben zu sehen, meinte. Sie waren am Tisch der andern angelangt. »Nun?« fragte Grigoleit mit der hohen Stirn. »Wie tanzt es sich? Ein bißchen voll, wie?«

      Das Mädchen hatte sich nicht wieder gesetzt. Es sagte: »Ich gehe dann jetzt. Macht’s gut. Ich hätte gerne mit euch gearbeitet …«

      Sie wandte sich zum Gehen.

      Jetzt aber war dieser dicke, harmlose Säugling der erste hinter ihr, er faßte sie am Handgelenk, er sagte: »Einen Augenblick noch, bitte!« Er sagte es vollkommen höflich, aber sein Blick drohte.

      Sie kehrten an den Tisch zurück. Sie setzten sich wieder. Der Säugling fragte: »Ich verstehe doch recht, Trudel, was dein Abschied eben bedeutete?«

      »Du hast vollkommen recht verstanden«, sagte das Mädchen und sah ihn mit harten Augen an.

      »So bitte ich dich, daß du mir erlaubst, dich für den Rest des Abends zu begleiten.«

      Sie machte eine Bewegung entsetzter Abwehr.

      Er sagte sehr höflich: »Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich gebe zu bedenken, daß bei der Ausführung eines solchen Vorhabens wiederum Fehler begangen werden können.« Er flüsterte drohend: »Es liegt mir nichts daran, daß irgendein Idiot dich aus dem Wasser fischt oder daß du morgen als gerettete Giftselbstmörderin in einem Krankenhaus liegst. Ich will dabeisein!«

      »Richtig!« sagte der Hochstirnige. »Ich stimme zu. Das gibt die einzige Gewähr …«

      »Ich werde«, sagte nachdrücklich der Dunkle, »heute und morgen und jeden folgenden Tag an ihrer Seite sein. Ich werde alles tun, um die Ausführung dieses Vorhabens zu vereiteln. Ich werde Hilfe herbeiholen, wenn ihr mich zwingt, selbst von der Polizei!«

      Der Hochstirnige pfiff wieder, lang, gedehnt, leise und böse.

      Der Säugling sagte: »Aha, jetzt haben wir schon den zweiten Plapperer am Tisch. Verliebt, was? Ich dachte mir so was schon immer. Kommen Sie, Grigoleit, die Zelle ist aufgelöst. Es gibt keine Zelle mehr. Und das nennt ihr Disziplin, ihr Weiberherzen!«

      »Nein, nein!« rief das Mädchen. »Hören Sie nicht auf ihn! Es ist wahr, er liebt mich. Aber ich liebe ihn nicht. Ich will heute abend mit euch gehen …«

      »Nichts!« sagte der Säugling jetzt wirklich zornig. »Seht ihr denn nicht, daß ihr gar nichts mehr tun könnt, da er …« Er machte eine Kopfbewegung zu dem Dunklen hin. »Ach was!« sagte er dann kurz. »Es ist ausgespielt! Komm, Grigoleit!«

      Der Hochstirnige stand schon. Gemeinsam wandten sie sich dem Ausgang zu. Plötzlich aber lag eine Hand auf dem Arm des Säuglings. Er sah in das glatte, ein wenig gedunsene Gesicht eines braun Uniformierten.

      »Einen Augenblick, bitte! Was haben Sie da eben gesagt von der Auflösung der Zelle? Es würde mich doch sehr interessieren …«

      Der Säugling riß brutal seinen Arm frei. »Lassen Sie mich zufrieden!« sagte er sehr laut. »Wenn Sie wissen wollen, was wir geredet haben, fragen Sie die junge Dame dort! Gestern ist ihr Verlobter erst gefallen, heute hat sie schon wieder einen andern auf dem Korn! Verdammter Weiberkram!«

      Er hatte immer mehr dem Ausgang zugedrängt, den Grigoleit schon erreicht hatte. Jetzt ging auch er hinaus. Der Fette sah ihm einen Augenblick nach. Dann wandte er sich dem Tisch zu, an dem das Mädchen und der Dunkle noch immer mit blassen Gesichtern saßen. Das beruhigte ihn. Vielleicht habe ich doch keinen Fehler begangen, als ich ihn laufenließ. Er hat mich überrumpelt. Aber …

      Er sagte höflich: »Gestatten Sie, daß ich mich einen Augenblick zu Ihnen setze und ein paar Fragen stelle?«

      Trudel Baumann antwortete: »Ich kann Ihnen nichts anderes sagen, als was der Herr eben erzählt hat. Ich habe gestern die Nachricht vom Tode meines Verlobten bekommen, und heute möchte dieser Herr sich mit mir verloben.«

      Ihre Stimme klang fest und sicher. Jetzt, wo die Gefahr an ihrem Tisch saß, waren Angst und Unruhe verflogen.

      »Würden Sie etwas dagegen haben, den Namen Ihres gefallenen Verlobten zu nennen? Und seine Formation?« Sie tat es. »Und nun Ihr Name? Ihre Adresse? Ihre Arbeitsstelle? Haben Sie vielleicht irgendeinen Ausweis bei sich? Ich danke! Und nun Sie, mein Herr.«

      »Ich arbeite in demselben Betrieb. Ich heiße Karl Hergesell. Hier mein Arbeitsbuch.«

      »Und die beiden anderen Herren?«

      »Wir kennen sie gar nicht. Sie haben sich an unsern Tisch gesetzt und plötzlich in unsern Streit gemischt.«

      »Und warum stritten Sie?«

      »Ich will ihn nicht.«

      »Warum war dann dieser Herr so empört über Sie, wenn Sie ihn nicht wollen?«

      »Was weiß ich? Vielleicht glaubte er meinen Worten nicht. Es ärgerte ihn auch, daß ich mit ihm tanzte.«

      »Na schön!« sagte der Gedunsene, klappte das Notizbuch zu und sah dabei von einem zum andern. Sie sahen wirklich eher verstrittenen Liebenden als ertappten Verbrechern ähnlich. Schon die Art, wie sie ängstlich vermieden, einander anzusehen … Und dabei lagen ihre Hände fast berührungsnah auf der Tischplatte. »Na schön. Ihre Angaben werden natürlich nachgeprüft werden, aber ich denke doch … Jedenfalls noch eine bessere Fortsetzung dieses Abends …«

      »Nicht ich!« sagte das junge Mädchen. »Nicht ich!« Sie stand gleichzeitig mit dem andern auf. »Ich gehe nach Haus.«

      »Ich bringe dich.«

      »Nein, danke, ich gehe lieber allein.«

      »Trudel!« bat er. »Laß mich doch noch zwei Worte mit dir reden!«

      Die Uniform sah lächelnd von einem zum andern. Sie waren wirklich Verliebte. Eine flüchtige Nachprüfung der Angaben würde genügen.

      Plötzlich hatte sie sich entschlossen: »Nun gut, aber nur zwei Minuten!«

      Sie gingen. Endlich waren sie aus diesem entsetzlichen Saal, aus dieser Atmosphäre von Gegensätzlichkeit und Haß heraus. Sie sahen sich um.

      »Sie sind fort.«

      »Wir werden sie nicht wiedersehen.«

      »Und du kannst leben. Nein, jetzt mußt du leben, Trudel! Ein unüberlegter Schritt von dir würde die andern in Gefahr bringen, viele andere – denke immer daran, Trudel!«

      »Ja«, sagte sie, »jetzt muß ich leben.« Und mit einem raschen Entschluß: »Lebe wohl, Karl!«

      Einen Augenblick lehnte sie an seiner Brust, ihr Mund streifte den seinen. Ehe er sich noch entschlossen hatte, lief sie schräg über die Fahrbahn auf eine haltende Elektrische zu. Der Wagen fuhr an.

      Er machte eine Bewegung, als wollte er ihr nachlaufen. Aber er besann sich.

      Ich werde sie dann und wann im Betrieb sehen, dachte er. Ein ganzes Leben liegt vor uns. Ich habe Zeit. Jetzt weiß ich doch, daß sie mich liebt.

      14

       Sonnabend: Unruhe bei Quangels

      Auch den ganzen Freitag hatten die Eheleute Quangel kein Wort miteinander gesprochen – drei Tage Schweigen unter ihnen, nicht einmal Bieten der Tageszeiten, das war in ihrer ganzen Ehe noch nicht vorgekommen. So wortkarg Quangel auch gewesen war, er hatte doch hin und wieder einen Satz gesprochen, etwas über einen Arbeiter in der