Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel. Dr. Hans Stumme

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Название Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel
Автор произведения Dr. Hans Stumme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742750839



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m ä r c h e n von R o b e r t P e t s c h . Berlin, Weidmann'sche

       Buchhandlung 1900. – Vgl. dazu Literar.

       Centralblatt, 1901, Sp. 81 f.

       14 Von den Gedichten sind die Nummern 1–26 von

       der S. IX, Anna. 1 erwähnten, Mischdialekt sprechen-

       den Frau und die Nummern 27–30 von einem gleichfalls

       Mischdialekt redenden alten Soldaten überliefert

       worden; Nr. 31–34 stammten aus Dingli, Nr. 35 und

       36 aus Balzan, Nr. 37–39 aus Città Vecchia und Nr.

       40–45 aus Musta. – Vgl. Maltes. Studien, S. 2.

       15 S. meine »Tunisischen Märchen und Gedichte«,

       Leipzig (J.C. Hinrichs'sche Buchhandlung) 1893;

       speziell Band II, S. 143 ff.

      Kapitel 1

      A. Märchen.

       I. Kugelchen.

       Es war einmal ein Mann, der Holzhacker war. Er

       hatte eine Frau und zehn Jungen; der älteste war zehn,

       der jüngste fünf Jahre alt. Die Leute waren sehr arm,

       und da sie diese Jungen hatten, konnten niemals alle

       satt zu essen bekommen. Der jüngste war eigentlich

       ein ganz winziges Stückchen Mensch; und weil er, als

       er geboren wurde, wie eine Kugel aussah, nannten sie

       ihn »Kugelchen«. So klein er aber war, ein so

       schlechter Kerl war er; weil er aber den schlechten

       Kerl nicht zeigte, hielt ihn jedermann für einfältig.

       In einem Jahre nun trat eine so grosse Hungersnot

       ein, dass der Mann einst, als die Jungen schliefen, mit

       seiner Frau übereinkam, die Jungen in den Wald zu

       schaffen, damit diese dort verloren gingen und sie sie

       so loswürden. Doch die Mutter wollte es nicht haben,

       denn sie hatte die Jungen sehr lieb; doch als sie einsah,

       dass es besser sei, die Jungen nicht leiden zu

       sehen, liess sie ihrem Manne schliesslich seinen Willen.

       Unser Kugelchen aber war, als er hörte, dass die

       Eltern von ihren Jungen sprachen, ganz, ganz leise

       aus seinem Bette gestiegen und hatte sich unter dem

       Sitzbänkchen seiner Mutter versteckt und so alles ver-

       nommen, was ihm am nächsten Morgen bevorstehen

       sollte. Was tat er nun? Er stand zeitig auf, begab sich

       ans Ufer des Meeres, füllte seine Taschen ganz mit

       kleinen Kieselsteinen an und kehrte wieder nach

       Hause zurück. Als es Morgen geworden war und man

       aufgebrochen war, sagte Kugelchen seinen Brüdern

       nichts von dem, was er gehört hatte; und nun ging es

       in einen grossen Wald. Der Mann begann seine Holzhackerarbeit,

       und die Jungen sammelten Thymian. Als

       die Eltern sahen, dass die Jungen ihren Sinn bloss auf

       ihre Beschäftigung gerichtet hielten, machten sie sich

       ganz leise davon und liessen die Kinder im Walde allein.

       Als letztere merkten, dass sie allein waren, begannen

       sie laut zu weinen; doch Kugelchen wusste,

       welchen Weg er einzuschlagen hatte, um nach Hause

       zu gelangen; denn während er mitmarschierte, hatte er

       auf dem Wege immer einen Kiesel nach dem anderen

       hingepflanzt, – vom Aufbruche von daheim an bis zur

       Ankunft im Walde. Nachdem er also seine Brüder

       eine Zeitlang hatte weinen lassen, sprach er zu ihnen:

       »Höret, Brüder! Martert euch nicht! Mutter und Vater

       haben uns hier gelassen; aber ich werde euch wieder

       nach Hause führen. Geht nur hinter mir her!« Seine

       Brüder machten es denn auch so: sie folgten ihm, und

       einen Kiesel nach dem andern fand er auf dem Wege;

       und so gelangten sie nach Hause.

       Unterdessen hatte, während der Mann und die Frau

       nach Hause gekommen waren, ihr Arbeitsherr zu

       ihnen geschickt und ihnen die Arbeit für ein Jahr bezahlt.

       Als sie sich nun im Besitze so vielen Geldes

       sahen, wurde die Frau, weil sie ihre Jungen im Walde

       gelassen hatten, so bös, dass sie laut zu weinen anfing.

       Ihr Mann verlor die Geduld, nahm einen Knüttel

       und rannte hinter ihr her, um sie durchzuprügeln.

       Doch sie begann nur umsomehr zu weinen und zu

       schreien: »Wer weiss, was aus unseren Kindern geworden

       ist?« Die Jungen, die noch – frisch angekommen,

       wie sie waren – hinter der Tür standen, hörten

       die Worte ihrer Mutter und riefen mit einer Stimme:

       »Hier sind wir! Hier sind wir!« Da lief die Mutter

       schleunigst herbei und öffnete ihnen und brachte

       ihnen zu essen; und die Jungen assen tüchtig. Der

       Vater freute sich wirklich, als er seine Jungen wieder

       bei sich versammelt sah; aber diese Freude dauerte

       nur so lange, als Geld da war.

       Als man das Geld bis auf den letzten Centime verausgabt

       hatte, kam wieder die Not, und wieder verständigten

       sich die Eltern, die Jungen in den Wald zu

       verschleppen. Damit diese aber nicht wieder den

       Heimweg finden könnten, mussten sie sie weiter, als

       das erstemal, wegführen. Kugelchen, der schlechte

       Kerl, merkte, dass die Eltern wieder etwas gegen ihn

       und seine Brüder planten, und bekam auch alles richtig

       zu hören, wie das erstemal. Als er aber am näch-

       sten Morgen frühzeitig aufstand, um Kiesel zu sammeln,

       konnte er nicht aus dem Hause, weil die Tür mit

       dem Querbalken verrammelt war und er nicht Kraft

       hatte, letzteren zu beseitigen. Trotzdem wurde er nicht

       bestürzt. Was tat er? Als die Mutter jedem der Jungen

       sein Stückchen Brot gab, hob er sich das seinige auf

       und ass es nicht; und als sie fortgingen, zerteilte Kugelchen

       sein Brot in lauter kleine Stückchen, die er

       einzeln zu Boden fallen liess. Man gelangte in den

       Wald und begann zu arbeiten, und als es den Eltern

       gut schien, liessen sie die Kinder, wie vordem, allein

       und gingen fort. Die Brüder Kugelchens nahmen die

       Sache diesmal nicht sehr schwer, weil sie dachten,

       Kugelchen