Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel. Dr. Hans Stumme

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Название Maltesische Märchen Gedichte und Rätsel
Автор произведения Dr. Hans Stumme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742750839



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sich von selbst zu trennen und liessen ihn durch,

       um sich, als er durch sie hindurchgegangen war, hinter

       ihm wieder zusammenzutun. Er betrat den Palast

       und erschrak heftig. Er sah hierhin und dahin: da

       lagen Menschen und Tiere auf den Erdboden gestreckt,

       wie tot! Dort sass einer noch am Tische, mit

       einem Weinglase, das zur Hälfte leer war, in der

       Hand! Der Prinz betrat dann den Schlossplatz und erblickte,

       als er die Marmortreppe hinaufstieg, in der

       Hauptwache die Soldaten, in einer Reihe stehend, mit

       den Musketen in ihren Händen. Dann betrat der Prinz

       den Prachtsaal und sah Leute dasitzen oder dastehen;

       wieder andere sahen aus, als ob sie tanzten. Er erblickte

       eine Dame vor einem offenen Klavier, die aus-

       sah, als ob sie spielte; eine andere Dame schien,

       neben ihr stehend, zu singen, – aber alle Personen

       schnarchten, was sie konnten!

       Schliesslich bemerkte der Prinz ein ziemlich dunkles

       Zimmer; er ging hinein und sah auf einem Bette

       eine Jungfrau liegen, gar schön, von etwa fünfzehn

       Jahren, mit allerschönsten Gewändern angetan, – ein

       Engelsgesicht! Leise trat er an sie heran; da aber die

       Zeit gekommen war, dass sie wieder erwachen sollte,

       so wurde sie munter; und sie blickte nach ihm mit

       einem liebessüssen Blick und sprach zu ihm: »Fürst!

       Wie lange hast du gesäumt zu kommen! Wie lange

       habe ich dich erwartet!« Als der Prinz sie so zu ihm

       sprechen horte, gewann er sie gar lieb, denn sie gefiel

       ihm so sehr. So unterhielten sie sich denn etwa vier

       Stunden lang in einem fort, ohne dass sie die Zeit gewahrwurden.

       Unterdessen waren alle im Palast aufgewacht:

       der Koch kochte das Essen fertig, die Wache

       marschierte weiter, die Diener liefen die Treppe hinauf

       und hinab, der Kutscher spannte die Karosse an, –

       kurz und gut, jeder führte das zu Ende, womit er hundert

       Jahre vorher beschäftigt gewesen war, als er in

       Schlaf versank. Aber da die Leute hundert Jahre lang

       nichts gegessen hatten, so waren sie nahe daran, Hungers

       zu sterben.

       Schliesslich öffnete der Haushofmeister die Türe

       und meldete den Wartenden, dass die Tafel angerich-

       tet sei, – und jedermann ging essen. Nach dem Mahle

       traute der Priester des zum Schlosse gehörigen Dorfes

       die beiden jungen Leute. Am nächsten Tage verliess

       der Prinz am frühen Morgen die Prinzessin, um sich

       nach dem Palast seines Vaters zu begeben, denn es

       waren ihm eine Menge Bedenken aufgestiegen.

       Als er zum Könige gelangte, fragte ihn dieser, was

       ihm geschehen sei, und der Prinz erwiderte, er habe

       sich auf der Jagd verirrt und in einer Höhle übernachtet.

       Der König, der ein sehr gutmütiger Mann war,

       glaubte ihm; seiner Mutter aber begann, als sie nachher

       sah, dass ihr Sohn täglich auf die Jagd zu gehen

       begann, ein schlechter Gedanke aus ihrem Hirn zu

       entspringen. Indessen führte der Prinz sein Leben

       volle zwei Jahre auf diese Art und Weise fort, und in

       dieser Zeit wurden ihm zwei Kinder geboren; das ältere

       (ein Mädchen) nannten sie »Sonne« und das jüngere

       (einen Knaben) nannten sie »Mond«, denn die

       Beiden waren sehr schön. Der Prinz getraute sich niemals,

       das Geheimnis seines Herzens seiner Mutter anzuvertrauen;

       denn seine Mutter besass, obwohl Königin,

       ein sehr hartes Herz, und wenn sie einen Knaben

       oder ein Mädchen sah, so wollte sie diese auffressen;

       der Prinz aber hatte Angst, dass, wenn er seiner Mutter

       erzähle, er sei verheiratet und habe Kinder, sie sie

       ihm auffressen möchte. Als dann zwei Jahre hernach

       der König gestorben war und dieser Prinz König an

       seiner Statt geworden war, – da wurde die Prinzessin

       Königin und zog in die Stadt in den Königspalast ein,

       und die Bewohner der Residenz empfingen sie sehr

       wohl.

       Nach einiger Zeit entstand ein Krieg zwischen diesem

       König und einem anderen, und der junge Fürst

       musste abreisen und mit seinen Soldaten ausziehen;

       und weil seine Frau noch zu jung war, liess er die

       Herrschaft in den Händen seiner Mutter. Der König

       hatte voraussichtlich vier Monate im Felde zu bleiben:

       als er nun fort war, schickte seine Mutter seine

       Frau und deren Kinder in eine Wüste, wo sie niemanden

       zu Gesicht bekamen.

       Einst rief die alte Königin ihren Haushofmeister zu

       sich und befahl ihm: »Morgen früh töte mir Sonne!

       Ich will sie zu Mittag essen. Und wenn du nicht tust,

       was ich dir sage, befehle ich meinen Leuten, dich zu

       töten!« Nun hatte der Mann diese Kinder aber sehr

       lieb. Was tat er also? Er nahm Sonne mit zu seiner

       Frau und bat sie, das Kind zu verstecken; er selbst

       nahm ein Lämmchen, schlachtete es und bereitete eine

       Brühe von ihm, damit die alte Königin diese genösse.

       Die Brühe schmeckte ihr so, dass sie am andern Tage

       Mond essen wollte. Der Haushofmeister machte es

       wie vorher: er versteckte Mond bei seiner Frau, nahm

       ein Lämmchen her und tötete es, und die Königin verzehrte

       es. Als etwa acht Tage vorüber waren, wollte

       die Königin auch die Frau ihres Sohnes essen. Wieder

       berief sie den Haushofmeister zu sich, dem sie sagte,

       dass sie am nächsten Tage die junge Königin zu Mittag

       verzehren wolle.

       Der Mann begab sich zur jungen Königin und teilte

       ihr mit, dass die alte Königin sie verzehren wolle; die

       erstere aber wurde gar nicht bestürzt, sondern sagte

       ihm, dass es besser für sie sei, wenn sie auch stürbe,

       denn alsdann würde sie ja ihre Kinder wiederfinden.

       Nun hielt es der Haushofmeister nicht länger aus; und

       als er ihr dann gesagt hatte, dass ihre