Sie ist wieder da. Michael Sohmen

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Название Sie ist wieder da
Автор произведения Michael Sohmen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742799357



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Deutschland steht. Um unser Europa. Und den Rest der Welt.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass ich ihm nicht weiter irgendetwas vorspielen musste. Allzu gerne ging ich auf sein Angebot ein. Er war in diesem Moment meine große Hoffnung und eine mögliche Informationsquelle, die ich anzapfen konnte. »Vielleicht haben Sie auch eine aktuelle Landkarte? - das würde mich auch sehr interessieren.«

      »Wo findet man so etwas auf die Schnelle … lassen Sie mich kurz nachdenken. Im Magazin Sicher Reisen gab eine Karte von Europa, wenn ich mich nicht irre.«

      »Dieses?« Ich entdeckte den Titel neben burka, das vermutlich eine Modezeitschrift für muslimische Frauen war und zog ein Exemplar aus dem Drehständer mit dem Titelthema 'die neuesten No-go-Areas' heraus.

      Er nickte und blätterte das Reisemagazin durch, bis er kurz vor dem Ende innehielt. Er zeigte mir die aufgeschlagene Seite. »Hier ist ein Plan von Europa. Schauen Sie sich die Karte ruhig eine Weile an.«

      »Danke!« Ich stutzte sofort. »Wieso steht über Griechenland der Name Türkei?«

      »Wie?« Er sah mich verdutzt an. »Sie waren wirklich lange weg, oder?« Sofort wurde er wieder sachlich. »So ist es seit vielen Jahren. Nach dem Staatsbankrott wurde dieses Land von der Türkei annektiert.«

      Soweit zur Rettung Griechenlands und zu dem Abkommen mit der Türkei, das nach vielen zähen Verhandlungen zustanden gekommen war. Doch mir wurde bewusst, dass sich damit ein noch größeres Problem fast in Luft auflöste. Der Ansturm der Flüchtlinge, die versuchten, über Griechenland in die EU einzureisen. Niemals hätte das Mittelmeervolk seine mehr als tausend Inseln und 15.000 Kilometer Seegrenze sichern können. Zumindest nicht mit vertretbaren Maßnahmen. Genau dies war die Lösung: dass keiner mehr dorthin flüchten wollte!

      Welches Unheil Deutschland widerfahren war, zeigte mir die Dreiteilung auf der Karte. Nationaldeutschland stand quer über dem, was einst das Staatsgebiet der DDR war. Hier prangte ein schwarzer Totenkopf. Am Rand wurde dieses Symbol erklärt: es war ein zur Außenwelt abgeschottetes Gebiet. Meine ostdeutsche Heimat war also zur völligen Isolation zurückgekehrt. Das Gebiet der alten Bundesländer war beschriftet mit Islamische Republik Deutschland. Ein rotes Warndreieck sprach für das Gebiet eine Reisewarnung der höchsten Stufe aus. Der südöstliche Teil, genannt Demokratisches Bayern war gekennzeichnet mit dem gelben Warndreieck. Dies war also weitgehend sicher – dort, wo ich mich jetzt befand.

      »Wünschen Sie einen Kaffee? Dann gieße ich eine zweite Tasse auf.«

      Ich sah kurz hoch, nickte und widmete mich wieder dem Kartenstudium.

      Nicht nur die Europäische Union war zerfallen, viele andere Nationalstaaten hatten sich zersplittert. Flandern und Wallonien befanden sich dort, wo früher die Niederlande waren. Die Hauptstadt von Frankreich war jetzt Lyon, während das Gebiet der Île-de-France mit dem Totenkopf gekennzeichnet war.

      »Was ist mit Paris? Kann man dorthin nicht mehr reisen?«, rief ich zur Kochecke. Der Kioskbetreiber füllte gerade heißes Wasser in zwei Tassen.

      »Es gab dort Machtkämpfe verfeindeter Clans. Die Situation eskalierte regelmäßig. Anfangs konnte die Polizei noch mit Schützenpanzern eingreifen und es ist ihnen immer wieder gelungen, Aufstände niederzuschlagen. Als die Lage jedoch endgültig außer Kontrolle geriet, hatten sie einen Sicherheitszaun um diesen Moloch errichtet. Die Regierung wurde nach Lyon verlegt.«

      »Aha!«, kommentierte ich. Etwas Besseres fiel mir gerade nicht ein. Ich vertiefte mich wieder in die Analyse der Karte. Die Schweiz existierte noch als Land, wie ich es von damals kannte. Italien dagegen zeichnete sich als bunter Flickenteppich mit Reisewarnstufen von grün, gelb, über orange bis gefährlich rot. Österreich war größer geworden und nannte sich jetzt wieder Kaiserreich. Meinen Geographiekenntnissen zufolge schloss das Land die Gebiete von Tschechien, Slowakei und Ungarn ein. Weiter im Westen überraschte es mich nun gar nicht, dass das Baskenland in den ehemaligen Gebieten von Frankreich und Spanien entstanden war. Genauso wenig wie das Land Katalonien im spanischen Südosten. Diese Entwicklung hatte sich schon über viele Jahre abgezeichnet. Was mich nun tatsächlich überraschte, war, dass Portugal zum Land Spanien gehörte. Es existierte also immer noch ein gemeinsamer europäischer Gedanke. Es war ein sehr kleiner und gar winziger, spärlicher Funke. Aber es gab ihn. Das gab mir Hoffnung. Noch war nicht alles verloren. Dies gab mir neuen Mut. Und wenn es ein kleines Pflänzchen Hoffnung gab, dann musste man es hegen und pflegen, damit es gedeihen und zu einem stattlichen Baum heranwachsen konnte. Einem, der alles überragte.

      »Bitteschön, Ihr Kaffee!« Der Mann riss mich abrupt aus meinen Gedanken. »Und? Was ist Ihre Meinung? Es wird schlimmer und schlimmer. Jahr für Jahr geht das schon so. Immer weiter driften die Länder auseinander. Die Menschheit schlittert immer mehr in eine endgültige Katastrophe.« Das Lächeln, das mir an dem Mann so gefallen hatte, war einem besorgten Gesichtsausdruck gewichen.

      »Ich denke, es ist noch lange nicht alles verloren. Man muss das Gute erkennen, sich ein Ziel setzen und hart dafür arbeiten.« Als ich einen Schluck Kaffee kostete, zog mir ein unangenehm bitterer Geschmack den Mund zusammen. Dieses Getränk war scheußlich! Es schmeckte gar nicht nach Kaffee. Eher wie verbranntes Brot, in heißes Wasser getunkt.

      »Welche Sorte ist das?«, fragte ich möglichst beiläufig.

      »Muckefuck. Aus Getreide.«

      Das erinnerte mich an meine DDR-Zeit. Echten Bohnenkaffee gab es nur im Westen. Unsere Volksgenossen hatten behauptet, solch etwas basiere auf Ausbeutung, daher hätte man darauf ebenso verzichtet wie auf den Import von Kakao und Bananen. Später hatte sich herausgestellt, sie selbst gönnten sich dies alles. Nur reichte das Budget nicht, um das normale Volk damit ebenso zu versorgen. Dafür gab es Rohrzucker und kubanische Zigarren im Übermaß, da wir dem Klassenfreund in seiner isolierten Lage all seine Produkte abnehmen mussten, um sein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Der Freund in Übersee existierte durch diese Unterstützung noch viele Jahre weiter. Doch die DDR war ruiniert.

      »Ich hätte erwartet, Sie wären schockiert. Wenn ich Sie richtig durchschaut habe, verfügen Sie über wesentlich mehr Wissen in Politik, als Sie zuerst zugeben wollten. Und Sie hatten … aus welchen Gründen auch immer, viele Jahre verpasst. War früher nicht alles besser?«

      »Eines habe ich gelernt: stets nach vorne zu blicken. Nach einer Niederlage muss man sich wieder aufrichten und weiterkämpfen. Mit ein wenig Disziplin übersteht man vieles. Aus Altem entsteht wieder Neues. Nicht umsonst setzte man in früheren Jahren auf Zuversicht und sang Auferstanden aus Ruinen oder dichtete über den Phönix aus der Asche.«

      »Sie hätten Politikerin werden sollen!« Der Mann grinste breit. Hauptsache, er wollte jetzt kein Selfie mit mir aufnehmen. »Was allen Menschen heute fehlt, ist dieses positive Denken.«

      »Sie haben Recht.« Meine Einstellung, auch in einer schwierigen Lage ein wenig Optimismus zuzulassen, schien ihn zu überzeugen. Jetzt war der passende Augenblick gekommen, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. »Im Prinzip wäre es das Beste, ich würde mich so bald wie möglich der Parteiarbeit widmen. Wissen Sie zufällig, ob es eine CDU-Zentrale in diesem Ort gibt?«

      »Diese Partei gibt es nur bei unserem islamischen Nachbarn. Dort ist sie eine regimetreue Blockpartei. Bei denen werden Sie nichts erreichen. In der Diktatur im Osten gab es anfangs so etwas. Seit 20 Jahren weiß aber niemand, was in dem von der Außenwelt abgeschnittenen Staat eigentlich vor sich geht. Hier in Bayern gibt es die CSU. Die ist aber eine Stammtischpartei, die nur ihr Klientel bedient.«

      Das verpasste meiner kurzen Euphorie einen letzten Dämpfer. Ich konnte definitiv nicht an der Stelle wieder einsteigen, wo ich kurz zuvor - genaugenommen waren es Jahrzehnte - ausgestiegen war. Die Parteienlandschaft hatte sich verändert. Nichts war mehr wie zu meiner Zeit. Dort, wo mein Kanzleramt stand, war ein Staatsgebilde zu etwas mutiert wie Nordkorea. Ein der Welt entfremdeter Staat, der sich genauso gut auf dem Mars oder einem fernen Planeten hätte befinden könnte. Der Partei von diesem anmaßenden Seehofer werde ich auf keinen Fall beitreten, niemals! Nur über meine Leiche, und selbst dann würde ich mich mit Händen und Füßen wehren. Die FDP oder die Grünen kämen für mich auch nicht in Frage. Erstere ist ja mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und