Sie ist wieder da. Michael Sohmen

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Название Sie ist wieder da
Автор произведения Michael Sohmen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742799357



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berichten?«

      »Welche Wahl?«, fragte eine der Ärztinnen verdutzt, worauf der Oberarzt sie mit einer Handbewegung zum Verstummen brachte. Diese Geste erschreckte mich. Seine Reaktion konnte nichts Gutes bedeuten. Sie hätten es mir sicher sofort gesagt, wenn die Unionsparteien sich erfolgreich durchgesetzt hätten. Oder sich zumindest auf einem akzeptablen Niveau gehalten hätten. Es war nicht auszuschließen, dass die SPD im Schlussspurt derart abgesackt wäre, dass es nicht mehr für eine große Koalition reichte. Das wäre zwar bedauerlich. Doch letztendlich waren diese Genossen selbst schuld. Hätten sie etwas mehr Profil gezeigt und den Wählern einen überzeugenden Grund angeboten, warum man sie anstelle dieser Linkspartei wählen sollte, hätten sie leicht Paroli bieten können. Zwar hatten die Linken nur Blödsinn in ihrem Programm, doch kamen ihre Sprüche bei den Wählern gut an. Kleine Leute werden stets ausgebeutet und müssen schuften wie blöde, skandierten sie immer. Denen hätte ich gerne einmal erklärt, dass es überhaupt der schwierigste Job war, Menschen auszubeuten. Doch das verschwieg ich lieber. Mit solchen Wahrheiten war keine Medaille zu holen.

      »Es gibt sicher noch einiges zu erklären. Doch es ist besser, Sie erholen sich noch eine Weile«, sprach der Oberarzt mit ruhiger Stimme. Trotzdem erkannte ich, dass sich hinter seiner Stirn Unausgesprochenes verbarg. Seine Stimme wirkte unecht. Ich hörte Unsicherheit. Nach vielen Jahren im diplomatischen Einsatz hatte ich gelernt, hinter die Fassaden zu blicken. Was die modernsten Röntgengeräte der Welt nicht vermochten, das konnte ich an der Stimme und anhand der Körperhaltung erkennen. Ich konnte sehen, was im Kopf der Menschen vor sich ging. Die rechte Hand, die der Arzt in der Tasche seines Kittels verborgen hatte, ließ irgendetwas beständig klicken. Es war möglicherweise ein Kugelschreiber, den er unaufhaltsam auf- und zuschnappen ließ. Der Mann war wahnsinnig nervös … Nein! Nicht irgendwann. jetzt und sofort musste er mich über die derzeitige Lage ins Bild setzen. Ich richtete mich im Bett auf und sprach höflich, aber bestimmt.

      »Mir geht es bestens!« Mein physischer Zustand machte mir keine Sorgen, obwohl ich fühlte, wie steif meine Gelenke waren. Es war wohl darauf zurückzuführen, dass ich eine lange Zeit hier gelegen haben musste. Meine wahre Sorge galt jedoch meinem Land. »Meine Damen und Herren, sagen Sie mir einfach, wie es um die Bundesrepublik Deutschland steht. Ich will die Wahrheit wissen!«

      »Sie meinen die Islamische Republik?«, fragte die sehr ungeschickte wie vorlaute Ärztin. Auf den strafenden Blick ihres Chefs reagierte sie verstört und schlug sich die Hand vor den Mund.

      »Entschuldigen Sie uns einen Moment. Wir müssen kurz etwas besprechen.« Der Oberarzt sprach kurzatmig. Ein Knacken in seiner Kitteltasche hörte sich an, als ob er den Kugelschreiber gerade zerbrochen hatte.

      Mein Zimmer leerte sich schnell, die Tür wurde geschlossen und ich hörte sie draußen diskutieren. Durch die schallgedämmte Tür konnte ich nicht verstehen, worüber gesprochen wurde. In meinem Kopf brüteten die Gedanken über dem wenigen, was gesagt worden war. Was sollte das mit der Islamischen Republik? Machten sie sich womöglich über mich lustig? Der Islam gehört auch zu Deutschland, hatte Bundespräsident Wulff gesagt. Er tat dies angesichts der heimtückischen Morde, die von Neonazis begangen wurden. Weil erst die Falschen beschuldigt wurden, bis endlich herausgefunden wurde, dass die Täter aus der rechtsextremen Szene stammten. Es waren genau die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Nach den brutalen Attentaten in Paris hätte man das kritischer formuliert. Vielleicht so: Wenn der Islam bereit ist, sich an unser Grundgesetz zu halten, dann ist er willkommen. Ich hatte mich in meiner langen Amtszeit mit vielen Vertretern dieser Religion getroffen. Häufig konnten wir eine gemeinsame Linie finden. Schließlich hatten wir ähnliche Grundwerte. Meine politische Einstellung ist, soweit wie möglich einen Konsens herbeizuführen und Meinungen anderer zu tolerieren. Soweit sie noch tolerierbar sind. Dazu gehört auch der Islam. Keinesfalls würde ich soweit gehen, mein Land dieser Religion zu unterwerfen und umzubenennen. Offenbar trieben diese Leute Scherze mit mir und hatten einen Heidenspaß dabei, mich vorzuführen. Vielleicht hatten sie konträre Ansichten zu meiner Politik und wollten mir eins auswischen. Das ginge eindeutig zu weit! Von seriösen Ärzten hätte ich etwas anderes erwartet, als sich über Patienten lustig zu machen. Was auch immer sie für Beweggründe haben mochten. Aus öffentlichen Diskussionen kannten sie mich wahrscheinlich als einen Menschen, der alles mit sich machen ließ. Sie konnten aber nicht sehen, was sich hinter den Kulissen so abspielte. Über die Jahre hatte ich ein Netzwerk mit Kontakten zu den einflussreichsten Bürgern der Bundesrepublik aufgebaut. So konnte ich dafür sorgen, dass Leute, die nicht erkennen wollten, wer hier alle Fäden in der Hand hielt, klein aussahen. Und zwar ganz, ganz klein!

      Ich werde sie zur Rede stellen. Zuerst musste ich mich von dem Zeug befreien, das in meinem linken Arm steckte. Vorsichtig zog ich das Pflaster ab und drückte einen Finger fest auf die Armbeuge, um die Nadel vorsichtig herauszuziehen. Meine Beine waren beim ersten Versuch sehr wacklig, doch nach einigen Streckübungen konnte ich aufstehen und mich ohne größere Einschränkungen frei im Zimmer bewegen. Ich wollte nun auch wissen, was mir aus den Beuteln eingeflößt worden war. Das eine war Natriumchlorid. So, wie ich vermutet hatte. Dies wird fast jedem verabreicht, der über mehrere Tage bewusstlos dahindämmert, damit er nicht dehydriert. Der zweite Beutel war beschriftet mit Nährlösung. Diese wurde Patienten zugeführt, die mehr als eine Woche versorgt werden mussten. Keine Schmerzmittel waren dabei. Also war ich nicht ernsthaft krank, nur längere Zeit ohne Bewusstsein gewesen. Wie lange? Ohne Zögern öffnete ich die Tür. Schreckhaft wie Kaninchen zuckte die weißgekittelte Versammlung zusammen.

      »Nun mal Klartext! Was wird hier gespielt?«, forderte ich und setzte darauf, dass mein energisches Auftreten die entsprechende Wirkung erzielen würde. Ich war keine Patientin mehr, sondern eine resolute Frau, der man Rechenschaft schuldete. »Es wäre das Beste, Sie holen mir einfach einen meiner Berater. Von mir aus auch den Gabriel.«

      »Wen meinen Sie? Den Erzengel?«, fragte die Ärztin mit großen Augen. Das fand ich nun völlig daneben. So abstinent von Politik konnte einfach niemand sein, dass er meinen Vize nicht kannte. Speziell, wenn man der gehobenen Bildungsschicht angehörte. Doch wie sie mich alle stumm wie Goldfische ansahen und nichts erklären wollten, beziehungsweise ahnungslos mit den Schultern zuckten, brachte mich aus der Fassung. Fast konnte ich mich nicht mehr beherrschen, ihnen noch deutlicher die Leviten zu lesen. Hier war der Punkt erreicht, an dem meine Gutmütigkeit endete. Jetzt war endgültig Schluss mit lustig. Sollten diese werten Herrschaften mich weiter auf den Arm nehmen, dann würden sie schon sehen, mit wem sie sich angelegt hatten und bald erkennen, wer von allen hier Anwesenden den meisten Einfluss über ihre zukünftige Karriere hatte.

      »Wenn Sie nicht in der Lage sind, einen meiner Berater hierher zu bringen, dann bleibt mir nur übrig, dies selbst zu tun.« Nach einem Blick herab auf diesen Schlafanzug, in den ich gekleidet war, gab ich noch die Anweisung. »Bringen Sie mir meine Kleidung. Ich fahre sofort nach Berlin!«

      »Mit Sicherheit wollen Sie nicht dorthin. Das ist eine sehr, sehr schlechte Idee.« Der Oberarzt schüttelte den Kopf. »Es ist derzeit unmöglich, dorthin zu gelangen.«

      »Was ist denn das Problem? Wird im öffentlichen Personenbeförderungswesen mal wieder gestreikt? Rufen Sie mir einfach ein Taxi, das mich ins Kanzleramt chauffiert.«

      »Nein. Derzeit weiß ich nichts von einem Streik. Das Problem ist …« Er dachte kurz nach. »Es geht nicht. Wegen der Grenzanlagen im Osten. Da kommt keiner durch. Weder von Bayern aus, noch mit einem Umweg über das islamische Restdeutschland. Keiner wird hineingelassen. Selbst auszureisen soll nicht möglich sein.«

      So langsam machte mich die Situation konfus. Es drängten sich in meinem Kopf immer mehr Fragen in eine Warteschlange und bisher gab es keine einzige Antwort, die mir gefallen hätte. Eines war glasklar: die Bundesrepublik befand sich in einer schwierigen Lage. Es musste sich einiges verändert haben, während ich bewusstlos war. Wie lange wird dies wohl gewesen sein? Weder meinem Vizekanzler, noch seinem Kandidaten Schulz traute ich zu, dass sie in meiner Abwesenheit für derartige Änderungen gesorgt hätten. Trotz aller Äußerungen, die sie im Wahlkampf von sich gaben. Dinge, die sie zwangsläufig sagen mussten, damit sich die SPD als eigenständige Partei präsentieren konnte und sich ihre letzten verbliebenen Wähler für ihre Partei entscheiden mochten. Dennoch stand der Vize stets voll und ganz auf meiner Linie, auf Gabriel konnte ich mich immer