Название | Für Freiheit, Lincoln und Lee |
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Автор произведения | Michael Schenk |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738064353 |
Nach ein paar Minuten kamen sie auf dem Rathausplatz an.
Karl war es, dem es als erstem auffiel. „Die Fahne. Sie ist weg.“
Seine beiden Brüder blickten auf zu dem Eckbalkon des Rathauses. Die Stange war leer. Das schwarz-rot-goldene Tuch, das dort gehangen hatte und auf dessen Streifen die Worte Einigkeit, Recht und Freiheit gestanden hatten, war verschwunden. Der kopfsteingepflasterte Platz wirkte merkwürdig leer. Auch vor dem alten königlichen Schloss standen keine Männer der Kompagnie. An zwei der Straßen waren Barrikaden aufgebaut. Ein paar umgestürzte Wagen, Möbel und Pflastersteine. Doch die Hindernisse waren nicht bemannt. Sie stiegen von den Pferden und schlangen die Zügel um den Holm eines umgestürzten Heuwagens.
„Verschwindet.“
Die drei Baumgarts wandten sich um. Über ihnen hatte sich ein Fenster geöffnet und eine Frau sah zu ihnen herunter, winkte eifrig mit der Hand. „Nun verschwindet schon. Geht heim. Es ist vorbei. Wollt ihr, dass wir Scherereien mit den Preußen bekommen?“
Karl sah die Frau mit offenem Mund an, bis Friedrich ihn am Ärmel packte. „Komm schon, der Wenzel wird wissen, was los ist.“
Ihre Schritte klangen seltsam hohl auf den breiten Stufen, die zwischen den Säulen hindurch ins Rathaus führten. Sie traten durch die massive Doppelflügeltür. Hier waren Männer zu sehen und es herrschte Unruhe.
„Wo ist der Wenzel?“, fragte Karl erregt. „Die Königstruppen kommen von Weilburg herunter.“
Einer der Männer blickte kurz auf. Er war dabei, Papiere auf ein kleines Feuer zu werfen. „Der Wenzel? Hinten.“
Der Mann beachtete sie nicht weiter. Die drei Brüder gingen an ihm vorbei zu einem der hinteren Zimmer, in dem sie einst, bei ihrer Anwerbung zur Kompagnie, den Hauptmann kennengelernt hatten.
„Herr Hauptmann?“
Wenzel blickte hinter seinem massiven Schreibtisch auf. Er wirkte müde. Dunkle Ringe waren um seine Augen. Friedrich fiel auf, das die schwarz-rot-goldene Schärpe, die der Hauptmann stets getragen hatte, fehlte. „Ah, ihr seid es. Ich dachte, ihr seid heim und packt.“
„Heim?“ Karl schob sich an Friedrich vorbei. „Wieso heim? Die Truppen kommen das Nerotal herunter. Wir müssen die Barrikaden besetzen. Wir müssen die Soldaten beschwören, uns brüderlich im Kampf um die Freiheit beizustehen. Wie die Badischen, die den Großherzog vertrieben haben.“
Wenzel lachte leise auf. Es klang resigniert. „Wie die Badischen, ja. Sie haben sich ergeben, die Badischen. Rastatt ist gefallen. Die Königlichen haben es eingenommen und unsere Leute gefangen.“
„Rastatt ist gefallen?“ Die drei Brüder sahen sich betroffen an. Es traf sie wie ein Schock. Die badischen Soldaten in Rastatt hatten sich mit der Demokratiebewegung solidarisiert. So wie auch andere. Soldaten und Freischärlerscharen hatten sich erhoben, um gegen die Bundestruppen von König Friedrich Wilhelm IV. zu kämpfen. Und jetzt war die Festung Rastatt von den Truppen jenes Königs genommen worden?
„Was ist mit unseren Leuten?“, fragte Friedrich bedächtig.
„Man sagt, dass 19 hingerichtet worden seien.“ Wenzel zuckte die Achseln. „Geht nach Hause. Es ist vorbei. Und haltet euch zurück. Man wird jetzt nach den Rädelsführern suchen und nach jenen, die mitgemacht haben. Die Adligen werden nicht zulassen, dass es nochmals eine Erhebung gibt. Wenn es zu arg wird, geht in die Republik. Viele sind schon dort. Oder nach Amerika.“
„Amerika?“
Wenzel nickte. „Der Lenz soll schon rüber sein. Aber man sagt ja viel. Hierzubleiben ist gefährlich. Gerade für euch. Ihr wart in Frankfurt dabei.“
Die Barrikaden in Frankfurt. Die Kämpfe. Die drei konnten sich noch gut daran erinnern. Sie hatten aber nicht geschossen oder überhaupt gekämpft. Sie waren gar nicht dazu gekommen, waren viel zu sehr mit Laufen beschäftigt gewesen. Aber man hatte sie erkannt. Der Sohn vom alten Haldemann, dem Köhler. Der hatte sie angeschwärzt.
„Und wenn wir heimgehen?“
„Als sei nichts geschehen?“ Wenzel lachte auf. „Ich lasse alle Papiere verbrennen, damit die Bundestruppen die Listen nicht finden. Aber es gibt genug Leute, welche die unseren denunzieren werden. Für Geld, für Brot, fürs Überleben.“
„Das glaube ich nicht“, murmelte Karl.
Friedrich nickte langsam. „Ich glaub´s. Es ist halt vorbei.“
Wenzel wies auf ihre Waffen. „Ihr wart damals schon an der Paulskirche dabei. Und auf den Barrikaden. Euch werden sie besonders im Auge haben. Die Waffen lasst am Besten gleich da. Wenn die Truppen euch damit erwischen, dann ist es aus. Nicht mal erschießen täten die euch. Die hängen euch einfach an den nächsten Baum. Am Besten wird es sein, ihr verschwindet von hier.“
„Meinst du, wir sollten ins pfälzische gehen, Hauptmann?“
„Ich meine, ihr solltet ganz aus der Republik verschwinden.“ Der Hauptmann lachte trocken auf. „Republik. Das war es mit der Republik. Nein, geht nach Frankreich oder, noch besser, nach Amerika.“
Hans dachte schaudernd an die Trompetereiche und ließ seine alte Muskete ohne Umschweife einfach fallen, was ihm einen missbilligenden Blick von Gottfried Wenzel eintrug. Hans errötete und hob die Waffe wieder auf.
„Was machst du, Hauptmann?“, fragte Friedrich. „Bleibst du?“
„Amerika.“
Draußen auf dem Platz ertönte Geschrei. Friedrich ging zum Fenster und blickte auf den Platz. „Da ruft einer, die Truppen wären am Stadtrand. Sollen am Tengelbach stehen.“
Karl sah Wenzel an. „Warum Amerika?“
„Ist weit weg“, knurrte Wenzel. „Außerdem haben sie dort den englischen König ordentlich verprügelt. Die haben eine Demokratie und Freiheit.“
„Auch Pferde?“
Gustav Wenzel sah Karl irritiert an. „Wieso Pferde?“
Karl legte sein Baker-Gewehr auf den Schreibtisch. „Ich mag halt Pferde.“ Er musste sich allerdings eingestehen, dass sein lädiertes Hinterteil seine Sympathien für diese Tiere hatte schrumpfen lassen.
Wenzel blickte nachdenklich auf die drei Brüder und griff hinter den Schreibtisch. Sie erkannten die Fahne, die sie am Flaggenstock des Rathauses vermisst hatten. Wenzel faltete sie sorgfältig und schob sie unter sein Wams. „Ja, da gibt es auch Pferde. Und viel Land, wo man sich frei entfalten kann. Jeder kann tun, was er will.“
Hans sah ihn mit offenem Mund an. „Jeder?“
„Ich muss Friederike sehen“, sagte Friedrich leise. „Sie muss wissen, was hier geschieht.“ Er sah die anderen entschlossen an. „Wenn ich gehen muss, dann nehme ich sie mit.“
„Meinst du, sie wird mitkommen?“
„Natürlich. Wir sind einander versprochen“, erwiderte Friedrich Baumgart mit größerer Selbstsicherheit, als er tatsächlich empfand.
Karl zuckte die Achseln und Hauptmann Wenzel sah sie auffordernd an. „Was auch immer ihr zu tun beabsichtigt, ihr solltet euch beeilen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Ich wünsche euch Glück. Vielleicht sehen wir uns in Amerika wieder.“
Eigentlich glaubten sie das alle nicht, aber sie nickten dem Wenzel zu, als dieser hastig aus dem Raum ging.
Unsicher blickte Hans auf sein abgelegtes Gewehr. „Und nun?“
„Friederike.“ Friedrich strich durch seinen Vollbart. „Sie hat sich vorübergehend ein Zimmer in der Ellbogengasse genommen. Kommt, lasst uns hingehen.“
Sie verließen das Rathaus. Auf dessen Vorplatz herrschte noch hektisches Treiben, als die letzten Mitglieder der Freischar ihr Hab und Gut in Sicherheit brachten, wobei der Begriff des persönlichen Eigentums durchaus großzügig ausgelegt wurde.
„Ist