Название | Abschied mit schwarzer Rose |
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Автор произведения | Benno Wunder |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752904758 |
Die Rosen erinnerten mich an meine Jugend und meine Mutter, die rund um die Villa Beete angelegt hatte, in denen zu jeder Jahreszeit irgendwelche Pflanzen blühten. Der Frühling grüßte mit Schneeglöckchen, Primeln und Krokussen, darauf folgten Narzissen und Tulpen. Zusammen mit Pfingstrosen und Schwertlilien öffneten im Mai die ersten Rosen ihre Knospen. Gut gedüngt und gegen Rostpilze und Blattläuse gespritzt blühten Rosen den ganzen Sommer lang. Im Herbst brachten Astern Farbe in den Garten, und um die Weihnachtszeit begann die Zaubernuss zu blühen.
Ein Fernsehgerät mit Flachbildschirm stellte ich in mein Schlafzimmer, einen kleinen Raum hinter der Wohnküche. Der Kleiderschrank auf der rechten Seite und das französische Bett links neben dem Fenster komplettierten die Einrichtung. Die Matratze kaufte ich neu, das Bettgestell und den Kleiderschrank, wie auch die Möbel im Wohnzimmer ersteigerte ich bei Auktionen im Internet. Durch die Spedition Flügel, die gegen einen Aufpreis auch die schützende Verpackung mit Luftpolsterfolie übernahm, ließ ich die Möbel beim Verkäufer abholen und zu mir nach Passau transportieren. Das klappte gut. Pech hatte ich mit einem gebrauchten Fernsehgerät, das nach ein paar Tagen schwarz blieb. Ich hakte diesen Verlust ab und kaufte in einem Elektromarkt ein neues Gerät.
Mein Fernsehkonsum beschränkte sich auf die Spätnachrichten der Tagesschau, die ich auf dem Bett sitzend mit einem Kissen im Rücken anschaute. Nur wenn das Programmheft einen Bericht über ein interessantes Thema oder einen guten Spielfilm ankündete, kam es vor, dass ich am Abend oder spät in der Nacht auf den Bildschirm blickte.
In den ersten Tagen in Passau weinte ich manche Träne in mein Kopfkissen. Die Schuld, die ich vor langer Zeit auf mich geladen hatte, kam zurück in mein Bewusstsein und hing wie ein mit Blei gefüllter Rucksack auf meinem Rücken. All die Jahre hatte ich gehofft, dass Marie überlebte. Vergebens. Wenn sie überlebt hätte, wäre Heidi vielleicht weniger hart mit mir umgesprungen, hätte mir noch eine Chance gegeben. Ich vermisste Heidi und Julia sehr. Es gab keinen Tag, an dem ich nicht an meine Lieben dachte. Weil ich mich vergewissern wollte, dass es ihnen gut geht, hätte ich beinahe etwas getan, das Doktor Hundertmal, mein Psychiater, als eine große Dummheit bezeichnete: Mit einem gemieteten Auto, das sich in Farbe und Form von meinem BMW unterschied, wollte ich an einem Sonntagabend nach Friedrichshafen fahren, in der Nähe unseres Hauses parken und versuchen am Montagmorgen einen Blick auf Heidi und Julia zu ergattern.
Und was dann?, fragte der Doktor. Ob ich danach im Auto heulen und mir den nächsten Brückenpfeiler aussuchen wollte. Ein kurzer Blick auf Frau und Tochter würden meinen Schmerz nicht lindern sondern verstärken.
Einsam begann mein neues Leben. Nur Bernhard, mein Freund seit Schultagen, der meine Erektionsprobleme kannte, hielt zu mir, und meine Schwester, die wusste, dass ich nicht gewalttätig war, wenngleich meine Tat das Gegenteil nahe legte. Meine Mutter, die an Alzheimer erkrankt in einem Pflegeheim in Heidelberg dahindämmerte, bekam von meinem Abstieg nichts mit. Ihre Vorwürfe blieben mir erspart.
Lange Arbeitstage prägten das erste Jahr meiner selbst gewählten Verbannung. Wie sollte es anders sein? Dass es viel Kraft kostete, ein Unternehmen aufzubauen, wusste ich.
„Da musst du ins Joch gehen“, hatte Walter Zeller gesagt.
Harte Arbeit war mir nicht unangenehm, denn sie ließ mir wenig Zeit über meine elende Vergangenheit nachzudenken. Ich entwarf einen Prospekt über mich und meine Leistungen, schaltete Annoncen im Wirtschaftsteil von lokalen Zeitungen und hielt Vorträge in Technologiezentren und Industrie- und Handelskammern. Mein Thema Staatliche Förderung betrieblicher Forschung stieß bei Geschäftsführern und Betriebsleitern auf Interesse. Sie wollten über Förderprogramme umfassend informiert werden.
Ideen für neue Produkte schlummerten in manchem Unternehmen und warteten darauf, geweckt zu werden. Ein Zuschuss vom Staat diente als Wecker. Da in Betrieben selten jemand Zeit hatte Fördermittel zu beantragen, war meine Hilfe gefragt. In den ersten vierzehn Monaten fuhr ich kreuz und quer durch Bayern. Danach musste ich nur noch selten reisen. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda zufriedener Kunden, bekam ich genügend neue Interessenten.
Kapitel 3: Blumentopf mit Ventilator
Wenn ich nur besser schlafen könnte. Auch in dieser Nacht hatte ich wieder geschrien, zweimal hintereinander ein langgezogenes „nein“. Von den eigenen Schreien hochgerissen saß ich verwirrt und nass geschwitzt in meinem Bett. Ein paar Sekunden später, als ich begriff, worum es in meinem Traum gegangen war, schüttelte ich mich und sagte: „Du schon wieder.“ Es war kein wirrer Traum, keiner von der Sorte, den ich mit den Worten „das Gehirn ist ein Chaot“ hätte abtun können. Nein, ich hatte wieder von einer Ohrfeige mit fatalen Folgen geträumt.
Der Mond, der in seinem monatlichen Wechsel vier Tage vor Vollmond stand, leuchtete schief grinsend in mein Schlafzimmer. Ich schob mich aus dem Bett, tastete mit den Füßen nach meinen Schlappen, fand einen sofort, den anderen erst nachdem ich die Nachttischlampe anknipste. Aus dem Wäschefach meines Kleiderschranks nahm ich einen frischen Schlafanzug und schlurfte ins Badezimmer. Dort streifte ich die nassen, an meinem Körper klebenden Pyjamateile ab. Nackt vor dem Waschbecken stehend drehte ich den Kaltwasserhahn auf, klatschte mir Wasser ins Gesicht und wusch mit einem Waschlappen den Schweiß von Armen, Brust und Schultern. Ein trauriges Gesicht blickte mich im Spiegel an. Ich sah, wie meine Lippen sich zum Sprechen formten und mir das Wort „verdammt“ entgegen schleuderten; mehr gab es nicht zu sagen. Vom Spiegel abgewandt trocknete ich mich mit einem Frottiertuch ab. Danach schlüpfte ich in den frischen Schlafanzug. Die nassen Pyjamateile hob ich vom Boden auf und hängte sie zum Trocknen an eine Wäschestange außen an der Duschkabine.
Auf dem Weg zurück zum Bett fühlte ich eine nervöse Unruhe in meinen Kopf steigen, spürte mein Herz hämmern und meine Hände zittern. In diesem Zustand würde ich keinen Schlaf finden, das war mir klar. „Ruhig, ruhig, ruhig“, sagte ich vor mich hin, ging zu meinem Arzneischränkchen im Schlafzimmer und verordnete mir fünf Milligramm eines Beruhigungsmittels, das mein Psychiater mir verschrieben hatte; das sei gut gegen Angst, Spannung und Erregung, sagte er. Ich brauchte dringend noch ein paar Stunden Schlaf, denn am Morgen musste ich fit sein für das Gespräch mit Herrn Winterkraut, dem Inhaber eines Gartenbaubetriebs in Nürnberg, der mir am Telefon die Ohren voll geschwärmt hatte von einem neuartigen Luftreinigungsgerät mit Pflanzen, das er erfunden habe.
Als Wirtschaftsingenieur hatte ich ein breit gefächertes Wissen, das zwar nirgends in die Tiefe ging, mich aber befähigte technische Probleme und wirtschaftliche Chancen zu erkennen. Man kann sagen, ich war im guten Sinne ein Universaldilettant. Vornehmlich kleine und mittelgroße Unternehmen suchten meine Hilfe, die im Wesentlichen darin bestand, die Geschäftsführer über die Geldtöpfe des Freistaats Bayern, der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zu informieren, das passende Programm zu wählen und den Antrag zu schreiben.
Antrag schreiben klingt einfach, ist aber in Wahrheit ein zeitraubender Prozess. Trotz der Routine, die ich erworben hatte, arbeitete ich nicht selten zweihundert Stunden, um ein Vorhaben in allen Einzelheiten zu beschreiben. Da es um viel Geld geht, um einen Zuschuss von fünfzigtausend Euro und mehr, wollen die Geldgeber genau wissen, wofür ihr Geld ausgegeben wird. Fragen über Fragen sind zu beantworten: Was ist neuartig an diesem Produkt? Welchen Mehrwert bringt es dem Käufer? Wie groß ist der Markt für diese Innovation? Welcher Umsatz lässt sich damit erzielen? Wie viel neue Arbeitsplätze werden entstehen?
Herr Winterkraut läutete pünktlich um zehn Uhr. Bislang hatte ich mit ihm nur telefoniert, ihn aber noch nicht getroffen. Neugierig öffnete ich die Eingangstür und lächelte. Mein erster Blick fiel auf eine braune Hornbrille, die ein freundliches Gesicht dominierte. Mit „hallo“ und „guten Tag“ streckte ich ihm meine Hand entgegen und bat ihn herein. Das schüttere, grau melierte Haar und die Falten im Gesicht ließen vermuten, dass dieser schlanke, mit einer schwarzen Hose und einer anthrazitfarbenen Lodenjacke gekleidete Mann nicht mehr der Jüngste war; sechzig schätzte ich. Er