Abschied mit schwarzer Rose. Benno Wunder

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Название Abschied mit schwarzer Rose
Автор произведения Benno Wunder
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752904758



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in Hoboken“, log ich. „Vielleicht finde ich in dem Ordner mit den alten Dokumenten eine Kopie meines Arbeitsvertrags mit Sternfeld & Son.“

      Von meiner Antwort beruhigt ging Heidi zurück in die Küche zu der Maispoularde, die im Backofen schmorte.

      Wie kann die Kripo nach zwanzig Jahren mich verdächtigen?, fragte ich mich, als ich auf der Terrasse meine Gartenschuhe anzog. Auch während ich das letzte Stück Rasen mähte, ging mir diese Frage ständig durch den Kopf. Wie sollte ich mich verhalten? Ich könnte den Naiven spielen und lügen. Oder sollte ich die Wahrheit sagen und endlich einen Schlussstrich unter den verdammten siebten April neunzehnhundertsiebenundachtzig ziehen. Oh je, das wird nicht gut enden.

      Beim gemeinsamen Abendessen überspielte ich meinen Kummer, lobte Heidi überschwänglich für die köstliche Maispoularde und erzählte dann eine lustige Geschichte aus meiner Schulzeit: „Als wir in der Physikstunde den Antrieb von Raketen behandelten, sollten wir mit Luftballons den Rückstoß demonstrieren. Wir bliesen die Ballons auf und ließen sie frei. Die ausströmende Luft trieb sie durch das Klassenzimmer. Es war eine Gaudi; einige Schüler johlten, andere kreischten. Auf einmal schwebte ein aufgeblasenes Kondom durch den Raum.“

      Heidi und Julia lachten.

      „Ehrlich?“, fragte Heidi, „oder machst du einen Scherz?“

      „Kein Scherz“, antwortete ich.

      „Hast du das Kondom aufgeblasen?“, fragte Julia.

      „Nein, dazu fehlte mir der Mut. Meine Mutter hätte mich umgebracht. Mein Freund Bernhard war der lustige Vogel; der schreckte vor nichts zurück.“

      „Wie alt ward ihr damals?“, fragte Heidi.

      „Sechzehn, siebzehn“, antwortete ich. „Leider fand Herr Hornschuh, unser Physiklehrer, das Kondom überhaupt nicht lustig. Bernhard bekam einen Eintrag ins Klassenbuch und musste wegen sittlicher Verfehlung zum Schulrektor. Der schiss ihn zusammen, brummte ihm vier Stunden Arrest auf und einen Hausaufsatz über das Thema Anstand und Sitte.“

      Julia verging das Lachen. „Das ist ziemlich hart“, meinte sie.

      „Damals ging es in der Schule strenger zu als jetzt“, erklärte ich. „Die älteren Lehrer kamen aus einer Zeit, in der die Menschen nicht so frei leben konnten wie wir heute.“

      Nach dem Essen räumten wir zusammen den Tisch ab. Da Heidi gekocht hatte, musste ich das Geschirr abspülen, die Spülmaschine füllen und die Küche in Ordnung bringen. Wer kochte, hatte nach dem Essen frei; so hatten Heidi und ich das vereinbart. Nur an Festtagen und wenn Gäste zu Besuch kamen, kochten Heidi und ich gemeinsam und erledigten nach dem Mahl den Abwasch zusammen.

      Oh je, oh je; sobald ich allein war huschten wieder schwarze Gedanken durch mein Gehirn. Was wussten die beiden Polizisten? Hatte mich am siebten April neunzehnhundertsiebenundachtzig jemand gesehen? Jemand, der meinen richtigen Namen kannte. Ich verkehrte dort doch als Joachim aus Heilbronn.

      Julia kam in die Küche und fragte: „Musizieren wir noch?“

      „Was?“, fragte ich zurück. Langsam kroch ich aus meinem Tunnel. „Entschuldige bitte.“

      „Du warst gedanklich weit weg“, stellte sie fest. „Musizieren wir noch zusammen?“

      „Aber ja, ich bin hier gleich fertig.“

      Seit Julia einigermaßen gut Klarinette spielen konnte, begleitete ich sie mit der Geige. Fast jeden Abend übten wir eine halbe Stunde lang. Zurzeit probten wir eine Passage aus dem Adagio von Mozarts Klarinettenkonzert KV 622. Wir liebten diese Musik. Unser Spiel spornte Julia an und beruhigte mich nach einem aufreibenden Arbeitstag. Selbst nach den bangen Stunden, die ich heute durchlebte, ließ Mozarts Musik keinen Platz für trübe Gedanken. Doch nach dem letzten Ton kamen meine Sorgen zurück. Verdammter Mist.

      Ich täuschte Kopfschmerzen vor, bat Heidi um eine von ihren Schlaftabletten und legte mich früh ins Bett.

      In der Nacht schrie ich zweimal hintereinander ein langgezogenes „nein“. Die lauten Schreie weckten nicht nur mich sondern auch Heidi, die sich sofort aufrichtete und das Licht anknipste. Ihren entsetzten Blick werde ich nicht vergessen.

      „Was ist mit dir los?“, fragte sie. „Was hast du Schlimmes getan? Warum interessiert sich die Kripo für dich? Erzähl‘ mir, was damals passierte, und lüg‘ mich nicht länger an.“

      Stockend gestand ich: „Möglicherweise bin ich Schuld am Tod einer jungen Frau.“

      „Was bedeutet möglicherweise?“, fragte sie. „Wer war diese junge Frau?“

      „Sicher bin ich nicht. Ich habe all die Jahre gehofft, dass Marie überlebte.“

      „Was denn für eine Marie?“

      Ich zögerte; es fiel mir schwer meiner Liebsten die Wahrheit zu sagen. „Marie arbeitete in einem Bordell in Stuttgart.“

      „Du gingst zu Huren?“, fragte Heidi ungläubig. „Ein hübscher Junge wie du?“

      „Lass es mich dir erklären und unterbreche mich bitte nicht. Ich hatte damals eine Erektionsstörung, dank meiner prüden Mutter. Sie hatte mir gedroht: Wenn du ein Mädchen benutzt, um deine wüste Lust zu befriedigen, werde ich dich hassen.“

      „Der einzige, mit dem ich über mein Erektionsproblem reden konnte, war mein Freund Bernhard.“

      „Weiß Bernhard von Marie?“, fragte Heidi.

      „Nein, wir redeten über Sex. Ich erzählte ihm, dass ich Frauen liebe, sie aber nicht benutzen wolle. Bernhard schüttelte den Kopf. Ich hätte eine zu hohe Meinung von Frauen, sagte er und empfahl mir, es mit einer Hure zu versuchen. Das will ich nicht, war meine erste Reaktion. Sein Vorschlag nagte jedoch so lange in meinem Gehirn, bis sich mein ablehnendes ‚das will ich nicht‘ in ein neugieriges ‚warum nicht‘ verwandelte. Im Bahnhofskiosk in Stuttgart trank ich mir Mut an, bevor ich mich auf den Weg zu dem Bordell machte, das im Reutlinger Anzeigenblatt annonciert hatte. Mit wackligen Knien öffnete ich die Tür des Hurenhauses und trat in das erste Zimmer auf der linken Seite. Dort empfing mich ein freundliches Lächeln. Sie heiße Paulina, sagte sie und fragte mich nach meinem Namen.“

      „Vorhin hieß sie Marie, jetzt heißt sie Paulina“, wandte Heidi ein. „Was denn nun?“

      „Warte, gib mir Zeit, es begann mit Paulina. Nachdem ich mir die Hände und sie mir meinen Penis gewaschen hatte, legten wir uns auf ihr Bett. Zärtlich strichen ihre Hände über meinen Körper zu meinem Penis, den sie lange drückte und rieb. Da er schlaff blieb, fragte sie mich, was mit mir los sei. Ich erzählte ihr von meiner Mutter, die mir eingetrichtert habe, dass ich Frauen verehren müsse und sie nicht benutzen dürfe.

      Ich müsse sie nicht verehren, sagte Paulina, sie sei ein geiles Luder. Wenn ich sie nicht ficke, ficke sie sich selbst. Ich solle gut aufpassen. Als sie einen Dildo mit Speichel befeuchtete und dann nach unten führte, spürte ich, wie Blut in meinen Penis schoss. Dank Paulina hatte ich mit zweiundzwanzig zum ersten Mal Sex. Es war wundervoll. So oft meine Finanzen es erlaubten, besuchte ich Paulina; ja, selbst am Tag meiner Abreise nach Hoboken wollte ich noch ein letztes Mal mit Paulina zusammen sein.

      Mit einem kleinen Abschiedsgeschenk betrat ich ihr Zimmer und stutzte, denn da war nicht Paulina sondern eine andere Frau, die sich mir als Marie vorstellte. Paulina mache eine Pause, sagte sie und behauptete, was ich mit Paulina getan habe, könne ich genauso gut mit ihr tun. Nein, ich konnte es nicht. So sehr mich Marie auch bearbeitete, mein Penis blieb schlaff. Leider klappe es nur mit Paulina, sagte ich, stand auf und zog mich an. Vielleicht war sie von sich selbst enttäuscht und wollte dieses bittere Gefühl an mich weiter geben, als sie spöttisch lächelnd auf meinen Penis blickte und mich Schlappschwanz nannte. Wenn Marie mich nicht beleidigt hätte, wäre mir die Hand nicht ausgerutscht. In meiner Erinnerung war es kein starker Schlag. Nur weil sie im gleichen Moment einen Schritt zur Seite machte und nicht stabil auf beiden Beinen stand, verlor sie das Gleichgewicht und stürzte. Zu allem Übel knallte sie