Im Bann der Ziege. Marko Cornelius

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Название Im Bann der Ziege
Автор произведения Marko Cornelius
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738080193



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wenngleich ich mich abermals als unfähig erwies, eine vernunftorientierte Entscheidung zu treffen, was wenigstens bedeuten hätte sollen, dass ich in meinen Wagen zu steigen gedachte und auf und davon gefahren wäre. Wiederum kam es jedoch, wie es wohl kommen musste: irgendetwas hielt mich konsequent davon ab, mich zu entfernen. Alles missachtend, was gesunde Vernunft geboten hätte, suchte ich den verruchten Flecken Erde erneut auf, ahnte aber noch nicht den Schrecken, der mir bevorstünde. Aus der Deckung des Waldes heraus beobachtete ich, wie etwa ein Dutzend verhüllte Gestalten, von denen jede in der einen Hand eine Pechfackel trug und mit den Fingern der anderen Hand ein seltsames Zeichen formte, auf dem steilen Felsvorsprung, der unmittelbar neben dem Haus des Vinschgauers wie eine drohend erhobene Faust emporragte, Position bezogen. Alsbald stimmten sie einen sonoren Singsang an, währenddessen der Vinschgauer mit einem Widdergehörn auf dem Kopf sowie eine Frau, die ein übergroßes blitzendes Messer mit sich führte, den Felsen erklommen und sich zu den Verhüllten gesellten. Der unablässig aus dem verfallenen Schornstein quellende dichte Rauch versiegte und die Lichter im Hause erloschen; das war das Zeichen auf welches hin die unheilige Zusammenkunft sich mit dem Vinschgauer und der Frau an der Spitze in Bewegung setzte und in einer versteckten Öffnung im Gestein verschwand.

      Eisige Schwärze umfing mich, als ich abermals die fragwürdig im schneidenden Nachtwind klappernden Skulpturenreihen abschritt, das versteckte Anwesen diesmal unaufgefordert betrat, um schließlich den glitschigen Felsen empor zu klettern. Unterhalb seiner Spitze gelangte ich durch besagte Öffnung in den Berg hinein, den von mir Verfolgten dicht auf den Fersen. Der schmale Spalt weitete sich schnell zu einem breiten Korridor, an dem rundherum fluoreszierende Algen und Pilze wucherten und dessen schleimtriefende Wände in ein unirdisches grüngelbes Licht tauchten.

      Alsbald befand ich mich am Eingang zu einer ins Unendliche ausgedehnt scheinenden Höhle, deren gähnender Schlund mir mephitische Dämpfe äonenalter Abgründe entgegen atmete. Es war der Pestodem einer Welt, die ihre Fäden jenseits der uns bewussten Sphären spinnt; einer Welt, die unter den Gebirgen thront, die überdauert von Zeitalter zu Zeitalter.

      Schreckliche Rufe gesellten sich zu den unerträglichen Ausdünstungen. Sie verschmolzen mit dem tanzenden Lichte eines Feuers, um welches die eingeschworene Gemeinschaft vor meinen Augen in konvulsivischen Bewegungen stieb, zu einer unhaltbaren Einheit kaum fassbarer Konfusität, von der ich alsbald ergriffen ward und in deren Bann ich bewegungsunfähig ausharrte. Was ich weiterhin sah, lässt sich kaum in Worte kleiden, denn es war zu abartig, als dass ein Lebender dazu imstande sein könnte, sich in wachen Stunden all dessen gegenwärtig zu sein; vielmehr ist es wahrscheinlich nur in den schauerlichsten Nachtmahren einen Blick auf das Grauen zu erhaschen, welchem ich an jenem Orte ghoulischer Finsternis hoffnungslos ausgesetzt war.

      Ich stelle jedoch nochmals anheim, zu diesem unglücklichen Zeitpunkt aus freien Stücken mich diesem, noch näher zu bezeichnendem Schrecken ausgesetzt zu haben.

      Die verhüllten Gestalten warfen auf Geheiß des Vinschgauers hin die rauchenden Fackeln in das purpur lodernde Feuer, das von Pech und Schwefel überernährt zu sein schien, denn in seinen Abdünsten witterte ich die morbiden Gestade des Hades. Auch kamen aus den spukhaften Räumen des Berges Töne hervor, deren Ursprung keinesfalls von dieser Welt kündete. Da wünschte ich für einen Wimpernschlag, selbige wären niemals in mein verirrtes Ohr gelangt.

      Heute begreife ich es: es war die unendliche Stimme des unnahbaren und immerwährenden Chaos daselbst, welche mir jene totbringende Torheit aus den seelenlosen Räumen äonenalter Fäulnis zurief.

      Als hebe er an zu einem Memento mori, kniete sich der Vinschgauer vor der züngelnden Lohe nieder; er setzte scharf skandierte Verse in einer toten Sprache ab, die ich etwa als Altpersisch glaubte identifizieren zu können. Den Beschwörungsformeln awestischer Priester gleich, hallten sie von den ungeometrischen Wänden der zyklopischen Höhle wider, wobei sie so unnatürlich klar zu mir herüberdrangen, als käme ihr Echo aus den lichten Höhen von Fonthill Abbey, deren exzentrischer Erbauer William Bechford nach dem Einsturz jenes zu Stein gewordenen Traumes, sich unter einer allegorischen Phantasmagorie eigener Vermessenheit begraben fand, aus deren gewaltsamen Klauen ihn endlich nur der erlösende Tod zu befreien vermochte. Dann musste ich einen Schrei unterdrücken, als die blanke Klinge des riesigen Hackmessers in den Händen der seltsamen Frauengestallt kurz aufblitzte. Wie von Sinnen führte sie es gegen den scheinbar teilnahmslosen Kapuzenträger zu ihrer Rechten und hieb diesem mit roher Gewalt den linken Fuß über dem Knöchel ab. Jene Gestalt zuckte kurz zusammen, stürzte alsdann zu Boden und wälzte sich stumm in ihrem eigenen Blute, während schon das nächste Opfer widerstandslos dieselbe Behandlung erduldete, bis die ganze Runde wie eine Handvoll Würmer um den Feuerkreis herumkroch. Sodann warf das erschreckliche Weib die Klinge ins Feuer und schickte ein Handzeichen entgegen dem Abgrund, auf welches hin der Vinschgauer sich, wie zu einer Huldigung ausgestreckt, flach auf den Boden drückte, indes er beschwörend in die brodelnde Feuerkuhle hinabrief: »Vispe ratavo daevo viddar aka manah paridaescha!« (Ihr Dämonenfürsten öffnet die Pforten des höllischen Paradieses!)

      Sogleich warf sich die Frau neben ihn, wonach sie den Ruf gemeinsam immer wieder und wieder von sich gaben. Als sie so dalagen, erschauderte ich bis ins Mark, als ich erkannte, dass sie beide jeweils anstatt eines gesunden menschlichen Fußes einen schartigen Bockhuf besaßen, mit dem sie im Rhythmus der Beschwörungsformel über den besudelten Boden scharrten, während sie allem Anschein nach in spannungsgeladener Erwartung die hypnotisierende Feuersglut betrachteten. Mit ihren Blicken schienen sie nach und nach ein amorphes Etwas daraus hervor zu ziehen, welches schon gleich tentakelartige Gliedmaßen nach ihnen reckte. Obschon ich ein weit entferntes Gurgeln oder ein dergleichen grässliches Gezischel aus fernen Tiefen zu vernehmen glaubte, daraus ich schloss, der Kopf des unbeschreiblichen Dinges müsse sich abgrundfern von dessen gestaltlosen Körperfortsätzen befinden.

      Mit frenetischem Gezucke begannen diese nun die Körper der verstümmelten Vermummten zu betätscheln, deren abgehackte Gliedmaßen unter saugendem Geschmatze aufzusammeln und zogen sich dann auf schlingernden Bahnen, gleich Phobos und Deimos, in den Feuerpfuhl zurück, so schnell sie daraus aufgetaucht waren.

      Für eine unbestimmte Zeit darauf vernahm ich nur eisige Stille; das Feuer hatte sich zu einem kraftlosen Glimmen unter der Erde zurückgezogen. Erst nachdem der Vinschgauer und das krude Weib erneut Fackeln angezündet hatten, gewahrte ich auf´s schlimmste - und jener unfassbare Anblick verfolgt mich seither zu jeder bitteren Stunde meines nunmehr ruhelosen Daseins -, dass die Verhüllten, von denen sich nun einer nach dem anderen erhob, ebenfalls jeweils einen Fuß gegen einen blasphemischen Huf aus stygischen Abgründen eingetauscht hatten. Humpelnd und stampfend setzte sich die Meute wieder in Bewegung, um mit dem verstörerischen Zeremoniell fort zu fahren, während ich überstürzt die Flucht antrat, einzig danach trachtend, jenem chimärenhaften Alptraum zu entkommen.

      Jemand musste mir auf die Schulter getippt haben. Ich schlug die Augen auf und hob den Blick; vor mir stand mit in die Hüften gestemmten Armen die Wirtin des Tibeth.

      »Wachen´s schon auf, die Sonn kommt raus!«, forderte sie energisch.

      Noch etwas benommen von einem Schlaf, in dessen zeitlich nicht einzuordnende Fänge ich anscheinend geraten war, bezahlte ich traumschwankend die Zeche, verließ meine Gastgeberin verdutzt, setzte mich weiter unten auf dem Parkplatz in meinen Wagen und jagte, ohne zu verstehen was eigentlich vor sich gegangen war, die engen Kurven im bedrängenden Lichte der untergehenden Sonne nach Bormio hinab. Beim dortigen Hotel angekommen, entriegelte ich den Kofferraumdeckel, um mein spärliches Gepäck vom Portier befördern zu lassen.

      »Schönes Souvenir ham der Herr da erstanden!«, lobte dieser mit verhaltenem Lächeln und sobald ich genauer hinsah, erkannte ich zwei schwarze Spitzen an der Ladekante hervorlugen. In diesem Moment verlor ich für immer den Verstand, denn vor mir lag der Ziegenkopf und glotzte mich aus seinen leeren lebensfeindlichen Augenhöhlen an.

      »Es ist der unterweltliche Wind, der aus mir spricht. Gemeinsam enthüll´n wir jetzt die Dunkelheit!«, drang sein hämisches Gemecker laut und deutlich an meine Ohren; genau wie der sonderbare Vinschgauer es an jenem unbekannten Orte vorausgesagt hatte.