Die Tote unter dem Schlehendorn. Dieter Landgraf

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Название Die Tote unter dem Schlehendorn
Автор произведения Dieter Landgraf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738048759



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erscheint ihr für den Verkaufserfolg jedoch zu einfach. Auf den englischen Namen verzichtet sie von vornherein wegen eventuell vorhandener Urheberrechte. Die dazu erforderliche Recherche erscheint ihr zu aufwändig. Außerdem möchte sie etwas Neues kreieren. Da der Gründer der Brennerei venezianische Wurzeln besitzt - deshalb der Zusatz in der Firmenbezeichnung „La Distillerie“ - beschäftigt sie sich auch mit der italienischen Sprache. Die Begriffe „Prugnola“ oder „Susina sevatica“ haben nach ihrer Auffassung aufgrund der vielen Vokale einen wunderschönen Klang. Fast ist sie geneigt, ihrer neuen Kreation einen solchen Namen zu geben. Doch eines Tages nimmt sie aus dem Probensortiment eine Flasche von dem neuen Likör mit zu sich nach Hause. Betört von dem bittermandelähnlichen Aroma und dem darin enthaltenen Wachholderbranntwein fühlt sie sich wie verzaubert. Dieses Gefühl wird dann auch der Name für das neue, nicht zu süße und nicht zu herbe Getränk. Jetzt hat sie die Bezeichnung gefunden und gibt ihrer Kreation den Namen „Schlehenzauber“. Die Entwicklung der letzten Jahre tendiert immer stärker zur Nachfrage nach regionalen Produkten. Diesen Trend will sie auch für ihren neuen Likör nutzen. In unzähligen Telefongesprächen der letzten Wochen hat sie Abnehmer für ihren „„Schlehenzauber““ gesucht. Dabei konnte sie in vielen Fällen ihre Begeisterung auf die potentiellen Käufer übertragen. Nicht wenige ihrer Telefonpartner fordern jedoch eine Warenprobe, bevor sie sich auf eine vertragliche Bindung festlegen. Dafür hat sie Verständnis. In der Lagerhalle stehen die Kartons für den Gratisversand bereit. Auch die ersten Chargen für den Verkauf sind bereits vom Band gelaufen. Und heute ist es endlich soweit. Der erste Kunde hat sich zum Verkaufsabschluss angemeldet. Ein Blick in den Spiegel, den sie öfters und sehr gern tut, erzeugt bei ihr ein angenehmes Wohlgefühl. Sie ist eine schöne und attraktive Frau. Die großen Augenlider und die schmale Nase verleihen ihrem Gesicht ein südländisches Flair - vielleicht so zum Griechischen oder zum Türkischen tendierend. So ganz sicher ist sie sich in ihrer stillen Betrachtungsweise nicht. Sanft streicht sie mit der Bürste durch ihr glänzendes Haar, dessen Fülle sie immer wieder von Neuem fasziniert. Also, eingebildet bin ich nicht, aber wenn ich es mir richtig überlege - ich könnte es durchaus sein - wägt sie beim Betrachten ihres Spiegelbildes nicht gerade uneitel ab. So zufrieden wie sie mit ihrem Äußeren ist, umso unglücklicher ist sie über Junggesellinnendasein. Dabei war es doch eine ganze Reihe von schönen Jahren, die sie mit ihrer großen Studentenliebe zusammen gewesen ist. Auch das verflixte siebente Ehejahr hatten sie überstanden. Aber die ständigen Eifersüchteleien ihres Mannes nervten sie zunehmend und ließen die Liebe und Zuneigung langsam erkalten. Oftmals schon hat sie sich die Schuldfrage gestellt. In der Regel unterbricht sie an dieser Stelle ihre Gedanken und wendet sich anderen Dingen zu. Heute sind es die Erinnerungen an die Studienzeit, die sie von den für sie mehr oder weniger unangenehmen Überlegungen ablenken.

      Kurzes Intermezzo aus der Studienzeit

      Gut, ja sehr gut erinnert sich Cornelia Nicolai an den Tag in der Mensa, als sie gemeinsam mit Anke wieder einmal die Kartoffelpuffer mit Apfelmus wie ein Festmahl zelebrierten. Und das ist nunmehr auch schon wieder 7 Jahre her. Ihr ist die kleine Episode niemals so richtig aus dem Kopf gegangen. Beide befinden sich im letzten Semester - Anke als Jurastudentin und sie hatte sich für Betriebswirtschaftslehre entschieden. Beide sind unsterblich verliebt - Anke in den gut aussehenden Medizinstudenten Andreas und sie in Bernd, der ein Semester unter ihr die gleiche Fachrichtung belegt. Lachend stößt Anke sie an und sagt: „Schau mal, da steht dein Traummann“, prustet sie los und nickt mit dem Kopf Richtung Einganstür, „bestimmt erstes Semester … du stehst doch auf jüngere Männer.“

      „Ist das wieder einmal eine deiner kleinen Anspielungen auf meinen Bernd? Er ist nun einmal nicht der Adonis der Männerwelt … dafür aber so liebevoll und zärtlich, dass ich ihn gegen keinen Anderen eintauschen würde … du kannst schon manchmal ziemlich gehässig sein … aber sonst bist du schon eine tolle Freundin“, fügt sie besänftigend hinzu. In den nächsten Wochen sehen sie diesen Studenten noch mehrmals. Cornelia Nicolai drängt es ungewöhnlich oft in die Mensa. Und immer zur gleichen Zeit.

      Anke bleibt das eigenartige Verhalten ihrer besten Freundin nicht verborgen und so sagt sie eines Tages unverhofft zu ihr: „Wirst langsam alt … meine Liebe“

      Was soll den dieser blöde Spruch?“, erwidert Cornelia Nicolai, „werden bei mir schon die ersten Fältchen sichtbar … das ist gemein von dir.“

      Lachend entgegnet ihr Anke: „Hab dich mal nicht so … hat nichts mit deinem Aussehen zu tun.“

      „Nun sag schon … was du mir damit Großartiges mitteilen willst?“

      „Hm … mir ist aufgefallen, dass wir uns in den letzten Tagen immer zur gleichen Zeit zum Essen verabreden … das kenne ich nur von meinem Großvater … da muss das Essen auch täglich zur gleichen Stunde auf dem Tisch stehen … Punkt zwölf.“

      „Ach so … ist mir gar nicht aufgefallen“, bedient sich Cornelia Nicolai bewusst einer kleinen Notlüge. Sie hat sich selbst dabei ertappt, wie sie um die Mittagszeit öfter auf die Uhr schaut - immer in der Hoffnung, dass sie den Student wieder zu Gesicht bekommt. Obwohl sich beide Freundinnen sonst eine Menge erzählen, schweigt sie dieses Mal über ihre eigenen heimlichen Wahrnehmungen. Das kleine Zwischenspiel ist rasch vorbei. Leider gelingt es Cornelia Nicolai trotz äußerst akribischer Zeitplanung nicht, diesen Studenten nochmals zu sehen. Und dann gibt es kein Atemholen mehr. Der Studienabschluss und die bevorstehende Hochzeit mit Bernd bestimmen jetzt ihren Tages- und Wochenablauf. Da ist kein Platz für romantische Träumereien oder bestimmte Wunschvorstellungen nach dem Motto: Was wäre wenn?

      Mit einem Blick auf die Uhr wird sie jäh aus den Gedanken an die Studienzeit herausgerissen und sagt leise vor sich hin: „Verdammt, jetzt muss ich mich aber beeilen.“ Hastig trinkt sie ihren Kaffee aus, ergreift ihre Handtasche und den Aktenkoffer und geht schnellen Schrittes die Treppe hinunter zum Parkplatz.

      Der Werbespruch am Heckfenster ihres Autos - „einfach riesig, der Kleine“ - findet sie immer wieder witzig. Sie denkt: Wirklich einer der wenigen Slogans, die man auch im Kopf behält - so etwas Ähnliches müsste mir für meinen „Schlehenzauber“ einfallen. Mit gekonntem Schwung landen Tasche und Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz und sie nimmt hinter dem Lenkrad Platz. Beim Schuhwechsel fällt ihr Blick auf die Ablage unterm Armaturenbrett und die Innentaschen der Türen.

      „Könnten mal wieder eine Aufräumaktion vertragen“, spricht sie leise vor sich hin.

      Sie ist sich jedoch sicher, dass es wieder einmal nur eine nicht erfüllte Absicht bleiben wird. Bevor sie startet kommt ihr flüchtig der Gedanke, ob der junge Mann wohl mit bei der Besprechung dabei sein wird? Damit meint sie Tim Sander, einen Angestellten der Marina. Wie es der Zufall im Leben so manches Mal will - es ist der unbekannte Student aus der Mensa.

      Das Wiedersehen

      Erstmals hat Cornelia Nicolai ihn an der Anlegestelle im Hafen der Marina wiedergesehen. Eigentlich hat sie nur Appetit auf einen Eisbecher - einen „After Eight.“ Den gibt es in solch einer hervorragenden Qualität nur im Cafe am Hafen, welches zur Marina gehört. Es ist der einzige Grund, weshalb sie den zwanzig Minuten dauernden Fußmarsch von ihrer Wohnung zum Hafen in Kauf nimmt. In Vorfreude auf die herrliche Erfrischung mit Pfefferminzlikör und den Schokoladenstückchen schlendert sie ungezwungen auf der Kaimauer entlang. Fast wie angewurzelt bleibt sie plötzlich stehen. Schon von weitem ist ein junger Mann mit kahl geschorenem Kopf und schwarzer Kleidung zu erkennen. Da ist er ja wieder - hätte sie fast laut gerufen. Auf dem Anlegesteg steht Tim Sander. Er lehnt lässig an den Elektroaufladekasten für Bordbatterien und unterhält sich angeregt mit einer ihr unbekannten männlichen Person. Entsprechend der Gesten zu den großen Yachten im Hafen scheint es sich um einen Bootsbesitzer oder einen Charterkunden der Marina zu handeln. Die erste freudige Verblüffung ist vorbei und sie nähert sich langsam dem Bootssteg. Jetzt ist er deutlich zu erkennen. Sein Gesicht und die nackten Arme haben eine wunderbare bronzene Färbung. Man sieht ihm an, dass er sich viel an der frischen Luft bewegt. Mit dem Goldkettchen um den Hals, dem schwarzen T-Shirt und den schwarzen Shorts ist er eine interessante Erscheinung. Lässig schnippt er die Zigarettenkippe