Fisch oder stirb. Rudi Kost

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Название Fisch oder stirb
Автор произведения Rudi Kost
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748595441



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3D-Darstellung und allerlei sonstigem Schnickschnack, aber mit der gleichen, wenn nicht gar derselben Stimme wie bei meinem alten Gerät, das ich kürzlich entsorgt hatte, führte mich zielsicher übers Remstal ins Neckartal.

      Erinnerungen kamen auf. Die Nacht in Schnait, die romantisch gedacht gewesen war und in der mich urplötzlich eine so heftige Erkältung überfiel, dass ich zu nichts zu gebrauchen war. In Stetten im »Ochsen« hatten wir mal ein halbgares Kalbsbries gegessen, als das Halbgare gerade Mode war. Glücklicherweise war es zeitgeistgemäß nur eine winzige Portion gewesen. In den Streuobstwiesen über Strümpfelbach hatten wir einen Riesenkrach, wegen einer Nichtigkeit. Keine Ahnung mehr, worum es da ging. Es ging ja immer nur um Nichtigkeiten.

      Wann war ich zum letzten Mal in Esslingen gewesen? Ewig her. Roswitha und ich hatten ein neues Restaurant ausprobiert, über das man redete. Wir selber redeten nicht viel an diesem Abend, es gab nicht mehr viel zu sagen, außer dem einen, was keiner von uns laut auszusprechen wagte.

      Das war das letzte Mal gewesen, dass wir zusammen ausgingen. Am Essen konnte es nicht gelegen haben. Von da an ging es nur noch bergab. Bis zur Einsicht, dass Roswitha und ich uns besser trennten. Mein erstes Auto, mein erster Job, meine erste Scheidung. So hatte ich mir das vorgestellt, genau so.

      Ich war mithin nicht in heiterster Stimmung, wenn ich an Esslingen dachte. Gerechterweise muss man sagen, dass die alte Reichsstadt am Neckar für meine Gedanken nichts konnte. Doch deinen Erinnerungen entkommst du nicht, sie lugen hinter allen Ecken hervor und grinsen dich hämisch an. Die Vergangenheit, lärmten die Erinnyen, du musst dich ihr stellen, mach nicht die gleichen Fehler immer wieder. Alles ist in Ordnung, säuselten die Sirenen, du hast Nele, es ist gut so, wie es ist, es gibt keinen Grund, etwas zu ändern.

      Ob es wenigstens das Lokal noch gab? Mit Nele würde ich ganz bestimmt nicht hingehen.

      Argusaugen

      Ich begann meine Überwachung mit Madame Eulert, und dafür gab es nur einen einzigen, allerdings triftigen Grund: mein Gefühl. Außerdem war ihr Mann nicht greifbar, weil er noch bis Sonntag zum Golfspielen auf Mallorca weilte.

      »Spielen Sie auch Golf?«, hatte sie mich gefragt.

      Ich hatte den Kopf geschüttelt. »Ich halte es für einen bekloppten Zeitvertreib, einen kleinen Ball kilometerweit über eine Wiese zu dreschen, nur um ihn dann in einem kleinen Loch zu versenken.«

      »Ums Golfspielen geht’s ja gar nicht. Das ist doch nur ein Vorwand, um in aller Ruhe Kontakte zu knüpfen und Geschäfte zu machen. Deshalb sind bei diesem Mallorcatrip Begleiterinnen nicht erwünscht.«

      Das hatte vielleicht auch einen anderen Hintergedanken: Die Herren wollten ungestört einen draufmachen, man weiß ja, was auf Mallorca so abgeht.

      »Schade«, hatte sie gesagt, »vielleicht hätte ich Sie einschleusen können.«

      Dumm gelaufen. Ich hätte sie anlügen sollen, dann wäre ein kostenloser Kurzurlaub herausgesprungen. Malle im März: das hörte sich gut an. Fangfrischer Fisch in der warmen Sonne, im Hintergrund das Meeresrauschen, die Mädels, die sich am Strand entblättern …

      Manchmal ist Ehrlichkeit ganz schön bescheuert und wird umgehend bestraft. Zum Beispiel damit, dass man an einem grässlich kalten deutschen Märzmorgen in einer Esslinger Straße darauf wartet, dass irgend etwas passiert.

      Der Unternehmer Helmut Eulert residierte standesgemäß in bevorzugter Wohnlage, Halbhöhe, mit bemerkenswertem Blick ins Neckartal und bis hinüber zur Schwäbischen Alb, unterhalb eines hässlichen Betonklotzes, der irgendwelche Hochschulen beherbergte, wie ich im Vorüberfahren gesehen hatte.

      Es gab keinen Menschen in Esslingen, der mich kannte, außer Madame. Und gerade die durfte mich nicht sehen. Deshalb hatte ich mich getarnt, eine Mütze in die Stirn gezogen und mir einen mächtigen Schnauzer auf die Oberlippe geklebt. Außerdem trug ich eine schwarze Hornbrille, eines dieser Klugscheißergeräte, die als Nerd-Brillen gerade wieder schwer angesagt waren, wie ich einer Frauenzeitschrift entnommen hatte. Es dauerte offensichtlich einige Zeit, bis die Mode von der Provinz in die Weltstädte gelangte. Meine Nele trug so was schon lange.

      Der Verkäufer hatte skeptisch geschaut, als ich das Ding mit Fensterglas wollte. »Ich finde, die Brille macht mich intellektueller«, hatte ich das begründet. Er war so klug, darauf nicht einzugehen.

      Ich sah vielleicht doof aus, und der Bart juckte, aber Susanne Eulert würde mich wenigstens nicht auf Anhieb erkennen, sollte sich eine Begegnung nicht vermeiden lassen.

      Es war kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Die Schwierigkeit war eher, dass zu wenige Autos am Straßenrand standen. In dieser Gegend brachte man die zweifellos edlen Gefährte in Doppel- oder Dreifachgaragen unter. Ich konnte mir schon mal eine halbwegs glaubwürdige Erklärung ausdenken, falls mich jemand schräg anquatschte. Und das würde sicherlich geschehen, wenn ich länger hier ausharren musste. Ich war ungefähr so unauffällig wie ein Eisbär in der Wüste.

      Mein Timing war gut. Kaum hatte ich es mir in Sonjas Sardinenbüchse etwas gemütlich gemacht, hielt ein Auto mit der Aufschrift eines Fitnessstudios. Ihm entstieg ein widerlich gut gebauter Typ im Sportanzug und verschwand im Hause Eulert. Auf sein Klingeln hin war ihm sofort aufgemacht worden, als sei er erwartet worden. Wenn er nicht Energiedrinks ausfuhr, wonach es nicht aussah, war er wohl Madames Personal Trainer, schloss ich messerscharf.

      Es war neun Uhr. Ich hatte nicht gedacht, dass man in solchen Kreisen zu dieser frühen Stunde überhaupt schon aus den Federn war.

      Wenn meine Mutmaßung stimmte, woran ich nicht zweifelte, hatte ich jetzt eine Weile Zeit und konnte mir die Beine vertreten. Ich nahm einen Schluck heißen Tee aus der Thermoskanne, die ich vorsorglich eingepackt hatte, wand mich aus Sonjas Blechgefängnis und nahm das Eulertsche Anwesen näher in Augenschein.

      Viel war nicht zu sehen. Eine breite Garage, in der mindestens drei Autos Platz fanden, daneben das pompöse Eingangsportal. Büsche und Bäume verdeckten Haus und Grundstück, konnten allerdings nicht verbergen, dass beide von beträchtlicher Größe waren. Zwei Überwachungskameras, warnend überm Garagentor angebracht, deckten den gesamten Eingangsbereich ab.

      Wer fällt in einer solchen Gegend mehr auf? Ein Mann, der unmotiviert im Auto sitzt und ein Buch liest, oder einer, der ziellos lustwandelt und die Häuser intensiv beäugt? Das sollte ich gleich erfahren.

      Sie waren ein ungleiches Paar und passten deswegen hervorragend zusammen. Den Hund hatten sie auf die Größe einer Ratte heruntergezüchtet, damit er besser ins Prada-Handtäschchen passte. Bei seinem Frauchen war die gegenteilige Entwicklung geschehen. Zu viel gutes Leben hatte sie aufgeplustert wie eine gekochte Bratwurst kurz vorm Platzen. Wenigstens musste sie sich keine Gedanken darüber machen, ob sie sich mit Botox aufspritzen sollte. Sie war so gut gepolstert, dass nirgendwo Falten entstehen konnten.

      Sie watschelte mir entgegen, mühelos Schritt haltend mit der Missgeburt von Hund, und zeigte unverhohlenes Misstrauen. Da war einer, den sie nicht kannte und der deshalb nicht hierher gehörte. Ich nickte ihr höflich, aber distanziert zu, murmelte ein »Grüß Gott« und schlenderte weiter. Das Hündchen knurrte mich böse an und zerrte an der Leine.

      Nach ein paar Schritten drehte ich mich um. Die Frau stand fest wie eine Tonne und starrte mir nach. Ich widerstand der Versuchung, ihr zuzuwinken. Die Teppichratte an der Leine hatte sich zu etwas aufgerafft, das mit viel gutem Willen als ein Kläffen zu interpretieren war. Himmel, ging mir die Muffe!

      So schlägt man ungebetene Eindringlinge in die Flucht: ein herrischer Blick im Verein mit einem blutgierigen Löwen, den man im Notfall auch von der Leine lassen konnte.

      Einige Schritte weiter wiederholte sich das Spiel. Ich drehte mich um, sie stand immer noch an derselben Stelle. Sollte das jetzt so weitergehen? Aber der Löwe kackte ihr jetzt beherzt vor die Füße. Damit war der Grund für den morgendlichen Spaziergang eigentlich hinfällig.

      Glücklicherweise machte die Straße eine sanfte Biegung, und ich war bald aus dem Blickfeld der beiden verschwunden. Allerdings das Haus Eulert auch aus meinem. Das war nicht