Motorcycle Memories. Carl Bloem

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Название Motorcycle Memories
Автор произведения Carl Bloem
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752908749



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Sitzbank. Das Monstrum deckte sich nicht mal annähernd mit meinen romantischen Tagträumen letzter Nacht. Aber so gar nicht.

      „Willste mal ne Runde drehen?", fragte Will.

      „Klar", sagte ich.

      Als ich mit dem Prügel ohne Helm die famose Schlaglochpiste entlang bretterte, verlor der Anblick seinen Schrecken. Der Wind griff nach meinem Haar und ich fühlte in mir die Euphorie mit zunehmender Drehzahl ansteigen. Der Weg schüttelte mich ordentlich durch. Die Felder, die an mir vorbei eilten, wiegten sich im Wind und die Maisonne sowie das Adrenalin wärmten mich wie ein samtener Mantel.

      „600$? Vergiss es", antwortete ich Will, als wir beide vor der Scheune in die Verhandlung einstiegen.

      Will musterte mich und wog ab. Mein Gesicht war wie ein Stein. Der Hobel hatte so viele Spinnweben angesammelt, dass ich gelassen in die Verhandlung einsteigen konnte. Als Nächstes versuchte er, mir den ganzen Rotz wie den zweiten Spiegel und die Sissybar als Extras zu verkaufen.

      „Das ist das Erste, was ich von dem Moped runterschraube. Kannst du gleich hier behalten", entgegnete ich. "Мach mir mal einen vernünftigen Preis, nicht diesen Touristenquatsch.“

      Er tänzelte, kaute auf seiner Unterlippe herum und brachte halb fragend eine 500 heraus.

      Ich sah den Haufen Eisen, wieder als das, was es war. Ein Albtraum aus Dreck und Schmiere. Ich schüttelte den Kopf.

      „Entschuldige, dass ich deine Zeit in Anspruch genommen habe, aber ich dachte David hätte zu dir gesagt, dass ich höchstens 300 anlegen kann.“

      „Sorry", legte ich nach, schaute auf den Boden und schob ein bisschen Dreck mit der Fußspitze hin und her. David war nicht da und Will wurde langsam nervös. Sein Kopf drehte sich hilfesuchend nach rechts und links und sah aus wie ein Wetterhahn an einem stürmischen Tag.

      „300 300 300", wiederholte er wie ein Mantra. Als ließe sich damit irgendetwas beschwören. Aber er kam nicht weiter und ich merkte, wie er auf der Stelle trat. Er brauchte einen kleinen Schubs.

      „Hör zu", sagte ich nach einer längeren Pause, mein Onkel hat mir heute morgen noch 50 Dollar zugesteckt, damit ich mir neue Kleidung kaufe, aber ich finde meinen Kram eigentlich völlig in Ordnung."

      Ich drehte mich im Kreis, als würde ich versuchen, ihm meine zerbeulte Jeans anzudrehen und grinste blöde.

      „Also", klärte ich, "50 bringe ich. Deal?“

      Und er fiel. Ich hatte nun ein Motorrad und bereits die Hälfte meines gesamten Geldes auf den Kopf gehauen. Ich fühlte mich großartig.

      Während ich mit dem Wagen meiner Tante den kleinen Weg zurück eierte, überlegte ich angestrengt, wo ich jetzt noch den ganzen nebensächlichen Kram wie Helm, Handschuhe, Jacke, Zelt und Schlafsack herbekam, ohne meine restlichen Mücken zu verbraten, kam aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.

      Als ich in Pitt Meadows das Haus meiner Tante erreichte, war bereits Essenszeit. Zumindest das Problem konnte ich kurzfristig in den Griff kriegen. Mein Magen hatte schon während der gesamten Rückfahrt mit dem quietschenden Stoßdämpfer um die Wette gebellt. Es war Samstag und die komplette Familie war da. Es gab Fleisch vom Grill, Salat und Brot. Da es von allem reichlich gab, war mein Magen kurzfristig beruhigt.

      Nach Rücksprache mit meinem Onkel eröffnete ich den Anwesenden meine Reisepläne und wies gleich am Anfang auf das Problem mangelnder Ausrüstung für die Fahrt hin. In den nächsten zwei Stunden wurde fleißig telefoniert und in den darauf folgenden drei Tagen fand sich allerhand Ausrüstung für die Fahrt im Hause meines Onkels und meiner Tante ein. Es war der Wahnsinn. Soviel Pioniergeist und Hilfsbereitschaft verschlug mir die Sprache. Jeder, der kam und etwas vorbei brachte, fragte mich neugierig nach meinen Plänen, bezeugte Hilfsbereitschaft beim Start und gab ein paar Ratschläge für das Leben auf der Straße dazu. Auf meine Frage, wann die jeweiligen Verleiher ihre Stücke wieder zu haben wünschten, wurde mir nur lapidar entgegnet:

      "Wenn du wieder da bist. Gute Fahrt und viel Spaß"

      Es war der Hammer. Ich bekam ein Zelt, einen Schlafsack, einen Kocher, diverse Kleinteile für die Essenszubereitung, Werkzeug, einen Australian Duster und einen Tankrucksack. Dazu kaufte ich mir in einem Gebrauchtwarenladen einen ausgemusterten Helm des Seattle Police Department, eine verspiegelte Sonnenbrille und ein paar hellbraune Lederhandschuhe. Ich war fertig. Es konnte losgehen. Aber wohin? Wo wollte ich eigentlich hin?

      Es war ein Mittwoch, als ich mich auf den Weg machte. Die Wolken, denen ich Richtung Westen entgegen fuhr, waren monströs. Ich fuhr auf der 7, überquerte den Pitt kurz bevor er mit dem Fraser River zusammenstieß, vorbei an Coquitlam und Port Moody Richtung Vancouver. Ich fuhr durch die Stadt. Ich hatte es nicht eilig.

      Nachdem ich das Nummernschild besorgt und das Moped abgeholt hatte, hatte ich mich erst einmal mit meiner neuen Reisebekanntschaft vertraut gemacht. Das Motorrad lief verlässlich. Der windgekühlte Motor bot wenig Überraschungen beim Punch, aber das Baujahr konnte bereits einen elektrischen Starter vorweisen. Die Trommelbremsen taten ihren Job und durch den hohen Lenker war die Sitzposition für mich erträglich, obwohl ich aber auch weniger Gefühl für die Straße hatte.

      Ich legte einen hohen Gang ein und fuhr mit mäßiger Drehzahl zwischen dem Berg, auf dem die Universität lag und dem Südufer des Burrard Inlet durch, folgte dann der Hastings weiter Richtung Westen, durchquerte letztlich den Stanley Park und verließ das Gewirr der Straßen über die Lions Gate Bridge, von der Douglas Coupland in ein oder zwei Jahren schreiben sollte, sie sei wie aus flüssigem Zucker gesponnen. Vielleicht hatte er es aber auch bereits geschrieben und es lag irgendwo in seiner Schublade herum und wartete mit den anderen Geschichten darauf, endlich von Harper Collins in New York verlegt zu werden.

      Ich hatte Glück. Zwei der drei Spuren waren für die Pendler stadtauswärts freigegeben. Ich spürte das Salz mit einem leichten Kribbeln auf meiner Haut und kniff die Augen etwas zusammen, als ich den Gashahn langsam drehte und die Maschine mit einem verbindlichen Zug nach vorne strebte. Es war 1994 und es wurde bald Sommer.

      Der Zyklop von Ruby Beach

      Sure Shot von den Beastie Boys dröhnte aus meinen Kopfhörern, als ich die Horseshoe Bay erreichte. Ich hatte mir die Kassette am Tag der Veröffentlichung frisch aus dem nächstgelegenen Musikladen geholt und mein Walkman hatte die Bandlaufrichtung nun schon ein halbes Dutzend mal gewechselt. Der Sound lief einfach die ganze Zeit durch und ich bekam gar nicht genug davon. In meinem begrenzten Gepäck befand sich noch das Album Dookie von Green Day, Ritual de lo Habitual von Jane's Addiction und Gish von den Smashing Pumpkins. Mehr war nicht drin. Mehr Platz hatte ich nicht.

      Die Fähre legte gegen drei Uhr nachmittags ab und brachte mich in etwa eineinhalb Stunden nach Nanaimo auf Vancouver Island. Meine erste Nacht verbrachte ich außerhalb von Port Alberni am Beaver Creek. Ich hatte auf das Zelt verzichtet und fand mich am nächsten Morgen etwas klamm und wahllos zerstochen beim Frühstück wieder. Die Wolken hatten sich zu einer geschlossenen Decke ausgebreitet und als ich am Vormittag Richtung Mount Underwood aufbrach, lag bereits Regen in der Luft. Die Karten der BCAA (British Columbia Automobile Association), die mein Onkel mir noch vorsorglich zugesteckt hatte, wiesen in der Gegend südwestlich von Mount Hooper wenige Straßen mit Asphalt aus, was ich auf meinem Weg zum Cowichan Lake leidig erfahren musste. Mehr als einmal sprang mir der Bock auf der Schotterpiste aus der Bahn und ließ sich nur unter Mühen wieder in die gewünschte Spur lenken. Als ich gegen Abend Victoria erreichte, war ich froh, dass ich noch halbwegs geradeaus schauen konnte und erwischte nur knapp die letzte Fähre nach Port Angeles. Auf der kurzen Überfahrt setzte dann der graugrüne Regen ein.

      Regen. Nichts als Regen. Ich lenkte meine Maschine von der Straße in ein flaches Waldstück. Meine Sicht endete im Lichtkegel des Scheinwerfers. Es regnete nun schon seit mehreren Stunden und wenn es noch eine einzige trockene Stelle an mir gab, so hatte ich keine Idee, wo diese sein konnte. Im Nordwesten des Washington State befand ich mich und hatte doch nicht die geringste Ahnung, wie es dort aussehen mochte. Bäume, noch mehr Bäume, eine Straße und Regen in allen Variationen. Dicke