Pit Summerby und die Magie des Pentagramms. Hans Günter Hess

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Название Pit Summerby und die Magie des Pentagramms
Автор произведения Hans Günter Hess
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738000382



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Ein Grund dafür, dass sie sich manchmal nur beim Abendbrot sahen. Jule war mit elf Jahren die Jüngere. Pit, demnächst vierzehn, liebte sie und trat in allen Notlagen als ein besorgter Beschützer auf. Trotzdem verzichtete er gerne auf ihre Gesellschaft. Sie nervte ihn mit den unmöglichsten Fragen, und immer sollte er ihre Spielwünsche erfüllen, falls sie zusammen waren. Wenn es um ihren Vorteil ging, spann sie oft Intrigen, um ihn auszubooten oder ihn bei den Eltern ins falsche Licht zu setzen. Gott sei Dank konnte er heute unbemerkt in sein Zimmer entkommen. Der Hund sprang von seinem Arm auf die Liege. Das Bettzeug lag unordentlich herum. Überhaupt sah es in seiner Behausung liederlich aus. Klamotten, Schuhe, Bücher und vieles mehr bildeten ein chaotisches Durcheinander. Auf seinem Schreibtisch, der auch einem alten Computer beherbergte, stapelten sich CDs, Stifte, Schulbücher sowie Chiptüten und vereinten sich zu einem wilden Haufen.

      Pits Mutter hatte es schon seit Langem aufgegeben, Ordnung zu schaffen. Selten und nur bei dringendem Bedarf betrat sie das Zimmer und kümmerte sich um das Notwendigste. Vorhaltungen wegen der Unordnung quittierte Pit stets mit der Bemerkung: „Nur das Genie beherrscht das Chaos.“

      An der Wand des Zimmers hing ein Bild, darauf war ein amerikanischer Jagdfliegerpilot zu sehen, der auf der Tragfläche eines der legendären P 51 „Mustang“- Jäger saß. Es handelte sich um seinen Großvater. Er streifte das Foto mit einem kurzen Blick. Ehrfurcht und Respekt kamen hoch, wenn ihm Dinge begegneten, die Pit an ihn erinnerten. Auch jetzt grübelte er darüber nach, wie wohl sein Opa reagiert hätte, wenn er sich nicht auf den morgigen Matheunterricht vorbereiten würde. Er wollte und konnte es ihm nicht antun, mit einer Drei in Mathe das Schuljahr zu beenden.

      Die Herleitung der binomischen Formeln gehörte zum letzten Thema in Mathe bei Lehrer Berg. Es fiel nicht schwer, ihre Nützlichkeit zu begreifen, wenn man aufmerksam seinen Erklärungen gefolgt war. Pit hatte in der abschließenden Zusammenfassung alle drei Formeln rot eingerahmt in sein Heft übertragen. Die Hausaufgabe bestand darin, selbige auswendig zu lernen. Nach Bergs Auffassung sollte sie jeder Schüler zu jeder Tageszeit ohne Stottern und Fehler aufsagen können. Pit fand das reichlich übertrieben. Wenn er sie bis zur nächsten Mathestunde beherrschte, würde das reichen. Er setzte sich aufs Bett und begann seine Aufzeichnungen mehrmals durchzulesen. Boldi machte es sich auf seinem Schoß gemütlich. Aufmerksam schaute er in das Heft, so als verstünde er auch etwas von der Materie.

      Pit versuchte sein Glück mit geschlossenen Augen. Es hakte, deshalb las er sie erneut durch und versuchte, sie gedanklich zu speichern. Schließlich, nach mehreren Fehlversuchen, konnte er sie im Kopf erstmalig fehlerfrei aufsagen. Als er sie danach vorsprach,

      (a +b)² = a² + 2ab + b²

      (a - b)² = a² + 2ab - b²

      (a +b) (a - b) = a² + b² ,

      merkte er beim Blick ins Heft, dass etwas nicht stimmte. Ein falsches Rechenzeichen! Irgendwann klappte es aber doch noch. Froh und unverkrampft registrierte er, fit zu sein und schloss erleichtert das Heft.

      Das Geheimnis

      Ein Blitz, gekoppelt an einen gewaltigen Donnerschlag, verscheuchte Boldi augenblicklich von seinem Schoß. Jaulend und mit eingeklemmtem Schwanz verkroch er sich unter der Liege. Es begann heftig zu regnen. Pit packte seine Schultasche für morgen. Eigentlich wollte mit dem Fahrrad noch eine Runde drehen. Das musste er wohl jetzt verschieben. Plötzlich klopfte es an der Tür. Gedankenverloren rief er: „Herein!“

      In der Tür stand seine Großmutter Gretel. Sie schlug die Hände bestürzt über dem Kopf zusammen, als sie das Chaos sah.

      „ Das ist ja ein gewaltiger Saustall“,

      rief sie entrüstet. Doch kurz darauf sagte sie in liebevollem Ton:

      „Peterle, du solltest mit deinen Sachen ordentlicher umgehen. Viele Menschen haben sich bemüht, dir diese Dinge zu geben. Du weißt, sie wären sehr enttäuscht, wenn sie sehen würden, wie du sie behandelst.“

      Pit stutzte einen Moment und beschämt antwortete er:

      „Omi, ich werde mir Mühe geben. Gleich nachher räume ich auf, das verspreche ich dir.“ Versöhnt setzte sie ich auf den Stuhl. Um ihr zu zeigen, dass er auch anders konnte, bot er ihr an, das Gelernte aufzusagen. Aufmerksam hörte sie ihm zu, was er ziemlich fließend vortrug.

      „Das klingt gut, und ich glaube auch, dass es richtig ist",

      lobte sie.

      „Weißt du, Peterle, früher haben wir auch mit Buchstaben in der Schule gerechnet. Wir nannten es auch das ‚Buchstabenrechnen'. Eine Formel weiß ich sogar noch. Sie heißt a² + b² = c².“

      „Oma, das ist der Satz des Pythagoras, und das Buchstabenrechnen heißt heute Algebra.“

      „Da bin ich aber froh, dass ich jetzt nicht mehr zur Schule muss. Das moderne Zeug würde mich verrückt machen“,

      entgegnete sie und lachte. Pit erwiderte zustimmend:

      „Das moderne Zeug brauche ich auch nicht, aber in der Schule wird uns immer was anderes eingeredet.“

      Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er seine Schultasche, um sie in den Flur zu stellen. Doch er hielt inne. Seine Oma hatte doch einen Grund, wenn sie ihn allein aufsuchte.

      „Was hast du auf dem Herzen, Omi?“

      fragte er neugierig gweworden.

      „Setz dich, Peter!“,

      sagte sie feierlich.

      „Du weißt, dass die ganze Verwandtschaft deines Großvaters im Süden der USA lebt. In meinem Alter hat man nicht mehr viel Zeit, um Versäumtes nachzuholen. Man braucht auch Hilfe, wenn man ein großes Vorhaben plant. Ich möchte im nächsten Jahr zu ihnen reisen und dich deshalb fragen, ob du mich begleiten würdest.“

      Erschrocken und gleichzeitig hoch erfreut jubelte Pit:

      „Selbstverständlich, mit dem größten Vergnügen, Omi. Ich werde mich gleich an die Vorbereitungen machen.“

      Sie winkte beschwichtigend ab.

      „Das hat noch Zeit, und außerdem überlasse mir alles, was nötig ist. Zunächst wollte ich nur deine Zustimmung. Ich bitte dich aber, vorläufig mit Niemandem darüber zu sprechen.“

      Aufgeregt versprach er, nicht eine Silbe zu verraten. Beim Weggehen legte sie nochmals den Finger symbolisch auf den Mund. Pit konnte nur überglücklich nicken. Seine Oma war die Einzige, die ihn Peter oder Peterle nennen durfte. Für alle anderen hieß er Pit, einschließlich seiner Eltern samt Schwester, da blieb er kompromisslos. Mit ihr konnte er auch über alles reden. Seine Sorgen und Probleme, aber auch die fröhlichen und schönen Dinge besprach er oft mit ihr. Er wusste, dass er immer auf ihr Verständnis stieß und sie ihm häufig auch nützliche Ratschläge gab. Besonders liebte er ihre Geschichten von früher. Entschlossen nahm er sich vor, endlich sein Zimmer aufzuräumen, denn seine Oma schien über die herrschende Unordnung sehr enttäuscht zu sein. Sofort, bevor sein Entschluss kalte Füße bekam, begann er mit der Umsetzung. Da es draußen in Strömen regnete, gab es sowieso nichts Besseres zu tun. Als Erstes rückte er das Bettzeug zurecht, danach beabsichtigte er den Schreibtisch aufräumen.

      Zunächst sortierte er aber die herumliegenden Klamotten nach Gutdünken. Was nach seiner Meinung schmutzig war, warf er auf einen Haufen. Die anderen Sachen versuchte er in seinem Kleiderschrank zu verstauen. Verwundert folgte der Hund dem Treiben. Er hüpfte hin und her, begriff offenbar nicht, was sich hier abspielte. Mit einem Packen zusammengeraffter Schmutzwäsche verließ Pit seine Bude und beförderte das Bündel stöhnend ins Bad. Seine Haare föhnende Mutter unterbrach interessiert ihr Vorhaben. Die seltsamen Aktivitäten ihres Sohnes erregte sichtliche Aufmerksamkeit. Sie lobte ihn vorsichtshalber.

      „Ist doch selbstverständlich, Mutz“,

      entgegnete er, als täte er das Normalste in seinem Leben. Das erstaunte sie noch mehr, aber sie schwieg.

      „Ich will nachher eine Runde mit dem Fahrrad drehen, wann gibt