Das Erbe im Keltengrund. Ariane Nasskalt

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Название Das Erbe im Keltengrund
Автор произведения Ariane Nasskalt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738004045



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der Fünfzigerjahre erbaute Haus lag direkt gegenüber dem Friedhofseingang. Beim Einparken wurde Konrad Schmieg bewusst, dass er noch nie an Klaras und schon lange nicht mehr am Grab seiner Schwiegereltern gestanden hatte. Er mochte keine Orte, über denen geballte Todesatmosphäre lag. Auch deshalb war es für ihn nie eine Option gewesen, ins Kriminalkommissariat zu wechseln.

      Der Polizist war nicht sonderlich erstaunt über das Sammelsurium in Irmgard Mayers Garten. Allen im Ort war die fast schon affig anmutende Tierliebe der beiden Hausbewohner bekannt, manche schrieben diese allerdings nur ihrem Sohn Raimund zu. Überall standen mit Wasser gefüllte Pfannen, Schüsseln und Tontöpfe, selbst ein Blechnapf aus der Vorkriegszeit diente als Vogeltränke. Wenige Schritte entfernt, entlang der efeuberankten Hauswand, waren Fressnäpfe, die Trockenfutter für Katzen enthielten, aufgereiht. „Nur einen Katzensprung entfernt“, schoss es ihm durch den Kopf. Der Polizist griff mit beiden Händen hinter seinen Rücken und zog, mit Daumen und Zeigefingern den Hosenbund fassend, seine Diensthose nach oben. Seit er etwas zugesetzt hatte, war ihm dieser Handgriff in Fleisch und Blut übergegangen.

      Irmgard Mayer kam nach dem Klingeln überraschend schnell an die Tür. Ihre graue Naturkrause trug sie wie immer leger hochgesteckt und wie immer standen im Nacken unzählige feine Haarsträhnchen ab. Der an ihrem Blusenausschnitt angenähte Gazeeinsatz bedeckte den Busenansatz nur notdürftig, was bei Konrad Schmieg lediglich Unverständnis hervorrief. Als ob es bei einer Frau ihres Alters noch auf die Zurschaustellung solch weiblicher Attribute ankam! Die Mittfünfzigerin setzte eine überraschte Miene auf.

      „Oh, amtlicher Besuch!“, begrüßte sie ihn süffisant lächelnd. “Was verschafft mir die Ehre?“

      Konrad Schmieg rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. „Frau Mayer, ich würde mich gerne mit Ihnen über verschiedene Dinge unterhalten!“, begann er. „Sie waren doch mit Klara Reimann befreundet?“

      „Nun ja, ich würde eher sagen wir waren gut miteinander bekannt!“, antwortete sie etwas überakzentuiert und stierte ihn mit ihren eulenartigen Augen an.

      Konrad Schmieg lupfte seine Dienstmütze und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Ich würde mich mit Ihnen aber trotzdem gerne über Klara Reimann unterhalten.“

      „Gern, aber das können wir ja sicherlich auch in meinem kühlen Wohnzimmer tun?“

      Der Polizeibeamte war überrascht, dass sie ihm eine Erfrischung anbot. Während sie den Drink in der Küche zusammenmixte, sah er sich um. Typisch Achtziger! Damals hatten viele die ausrangierten Möbel der Großeltern vom Speicher geholt und stolz im eigenen Wohnzimmer präsentiert. Heutzutage bevorzugte man einen anderen stereotypen Einrichtungsstil. Merkwürdig sinnierte er, da hatte man endlich die Affinität zu Uniformen bezwungen und auf Individualität gesetzt und nun glich man sich bei Stielfragen den anderen an. Frau Mayers Rückkehr riss ihn aus seinem Gedankengespinst. Mit einer Handgeste bat sie ihn, sich auf den zugewiesenen Sessel zu setzen und begann ungefragt zu sprechen:

      „Ja, bei der Klara steckte ein feiner Kern in der rauen Schale. Ich durfte meine Flohmarktartikel in ihre Scheune stellen. Nicht einen Cent wollte sie dafür annehmen.“

      „Ganz umsonst?“, fragte der Polizist höchst erstaunt.

      „Na ja, Sie hat mich gefragt, ob mein Sohn ihr ab und zu zur Hand gehen könne.“

      „Lohnt sich der Verkauf von Flohmarktartikeln noch?“

      „Früher habe ich mein Einkommen damit aufgebessert. Als teilzeitbeschäftigte Bibliothekarin habe ich nicht übermäßig viel verdient.“

      Konrad Schmieg wunderte sich immer mehr. Was verband nur diese Bildungsbürgerin mit der bäuerlich geprägten Klara Reimann? Schon beim Betreten des Wohnzimmers hatte er sich über die vielen Bücher gewundert, die übereinander getürmt in den Regalen lagen. Trotz dieser brennenden Frage verließ er die Ebene eines Dienstgesprächs nicht.

      „Und ist Ihr Sohn seiner Verpflichtung nachgekommen?“

      Irmgard Mayer antwortete mit einer Gegenfrage: „Weshalb fragen Sie?“

      „Ich versuche mir nur einen Überblick zu verschaffen, wie Klara Reimanns Leben ablief. Heute Morgen hat mich nämlich der Neffe von Frau Reimann aufgesucht und mir einige Fragen gestellt, die ich ihm leider nicht beantworten konnte. Unter anderem war jemand so nett und hat ihm ein Frühstück hingestellt“,

      „das er für vergiftet hielt“, unterbrach sie ihn.

      „Dann war er also schon hier?“

      „Ja, er ist ungefähr vor einer halben Stunde wieder gegangen. Und um Ihre Neugier zu befriedigen: Ja, mein Sohn hat ihm ein Frühstück hingestellt.“

      Obwohl der Polizist fragend die Augenbrauen hochzog, und bereits mit einem „Ehm“ zur nächsten Frage ansetzte, sprach sie weiter:

      „Er war zufällig in der Nähe, als die Notariatsangestellte auf den Hof kam. Weil sie nicht wollte, dass er sieht, wo sie den Hausschlüssel versteckt, bat sie ihn, das Grundstück zu verlassen. Ja und da bekam sie es mit der Hartnäckigkeit meines Sohnes zu tun. Erst als sie ihm vorschlug, am nächsten Tag wieder zu kommen, weil er da auch gleich die Frühstücksbrötchen für Herrn Reimanns mitbringen könne, lenkte er ein. Natürlich hoffte sie, dass er dies wieder vergessen würde. Zum Glück hat sie mich dann doch noch informiert, sodass ich meinem Sohn einschärfen konnte, Herrn Reimann nicht zu wecken und auch nicht so lange im Haus zu bleiben, bis er aufsteht.“

      „Ah ja, dann war das also Ihr Sohn!“,

      „der ihm das Frühstück hingestellt hat, ja!“, fiel sie ihm nochmals ins Wort und formte ihre Lippen wieder zu einem Lächeln. „Aber da ich die Sachen besorgt habe, mein Sohn wäre damit überfordert gewesen, weiß ich, dass die Wurst weder vergiftet noch verdorben war!“

      „Ich würde gerne auf Ihren Sohn und seine Arbeit auf dem Hof zurückkommen. War er oft dort!“

      „Das kann man so sagen, ja!“

      „Wie kam Ihr Sohn eigentlich ins Reimannsche Haus?“

      „Vermutlich wie immer – über die Waschküche! Klara hat ihre Außentüre nie abgeschlossen. Keine Ahnung, ob es überhaupt noch einen Schlüssel für diese Türe gibt.“

      Konrad Schmieg standen Schweißperlen auf der Stirn. Kühl war es hier auch nicht gerade. Eigentlich kein Wunder, wenn man die Fenster nicht abdunkelte. Obwohl das Getränk abscheulich schmeckte, nippte er nochmals an seinem Glas. Der alkoholfreie Cocktail hinterließ einen bittersüßen Geschmack auf seiner Zunge. Während des Trinkens hingegen wies die weißlich-gelbe Flüssigkeit eine eher erfrischende Komponente aus, die aber nicht lange anhielt. Dass es zudem wenig geeignet war, den Durst zu stillen, merkte er verstärkt nach dem Verlassen des Hauses. Sein Gaumen fühlte sich klebrig und schal an, glich sich geschmacklich dem Eindruck an, den er von der Hausherrin gewonnen hatte. Heute hatte er es gleich mit zwei Egoisten zu tun. In ihrer Ichbezogenheit stand Irmgard Mayer dem jungen Reimann in nichts nach. Obwohl sie oft auf dem Hof und auch Nutznießerin von Klaras Gutmütigkeit gewesen war, hatte sie auf seine Frage:

      „Können Sie mir sagen, was mit den Hühnern der Verstorbenen geschehen ist?“, – schon wieder süffisant lächelnd – geantwortet:

      „Da müssen Sie Notar Haussmann fragen. Er ist der Testamentsvollstrecker und war deshalb auch zuständig für solche Dinge. Seit ich von Klaras Tod erfuhr, bin ich nicht mehr auf dem Hof gewesen“.

      Auch Notar Haussmann wusste nichts über die Hühner zu sagen. Als er einen Tag nach Klaras Tod auf den Forchenrain gekommen war, hatte er ein leeres Geflügelgehege vorgefunden. Ungefragt hatte er dies – genau genommen könnte man es auch Diebstahl nennen – der Frau zugeschrieben, die Frau Reimann gefunden hatte. Hans Haussmann lockerte den Krawattenknoten und knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf.

      “Ich wollte keine Pfennige glauben, schließlich hat es die Haselbäuerin ja auch als ihre Christenpflicht