Angsthase gegen Zahnarzt. Christine Jörg

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Название Angsthase gegen Zahnarzt
Автор произведения Christine Jörg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847605423



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Augenblick lang vergessen, dass du zu Hause arbeitest. Ganz klar, manchmal muss man unter Menschen gehen. Hast du schon gegessen?“

      „Ja, gleich als ich nach Hause kam. Und du?“, will ich wissen. Er kann doch machen was er will. Was soll denn dieses sinnlose Gerede?

      „Nein, ich noch nicht. Bin gerade erst nach Hause gekommen. Aber heute gehe ich ohne Abendessen ins Bett. Ich bin einfach zu müde.“

      „Der Linie wegen musst du nicht fasten“, glaube ich sagen zu müssen und dann, „na, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Geh ins Bett und schlaf dich aus, damit du morgen fit bist.“

      „Mach ich“, meint Markus. „Gute Nacht, Angelika, und träume was Schönes. Morgen also wie besprochen. Nicht?“

      „Ja, Markus, und gute Nacht. Ruh dich gut aus“, wünsche ich und lege auf. Immer noch weiß ich nicht wie ich diesen Mann einschätzen soll und was ich von ihm will.

      Nachdem ich mich nochmals in meine griechische Grammatik vertieft habe, gehe ich um halb elf ins Bett und lese bis Mitternacht.

      Donnerstag, 5. November

      Am Donnerstag ist Heimarbeit angesagt. Ich habe noch viel Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen. Zumindest die dringenden Dokumente muss ich jetzt erledigen. Mittags dusche ich mich und wasche die Haare, schließlich will ich abends ordentlich aussehen.

      *

      Um fünf Uhr lasse ich die restliche Arbeit liegen. Ich muss mir überlegen, was ich für das Konzert anziehe. Schließlich können zwei Möglichkeiten auftreten. Die erste ist, Markus holt mich ab. In diesem Fall kann ich elegante, aber unbequeme Schuhe oder Sitzschuhe anziehen, denn ich muss nicht viel gehen. Im zweiten Fall, er holt mich nicht ab, gibt es A und B. A, ich rufe ein Taxi und brauche auch nicht viel zu gehen. Hier gilt das Gleiche wie im ersten Fall. Das heißt ich ziehe elegante, aber unbequeme Sitzschuhe an. Im Punkt B gehe ich zu Fuß zur Münchner Freiheit und nehme die U-Bahn. In diesem Fall wären bequeme Treter angeraten. Auch um kalte, schmerzende Füße zu vermeiden. Das Glück will es, dass es nicht regnet. Obwohl, so gesehen, hätte der Regen gewisse Vorteile, denn ich würde auf jeden Fall ein Taxi rufen, sollte Markus mich nicht abholen. Mit dem eigenen Auto zu fahren kommt nicht in Frage. Wie soll er mich sonst nach dem Konzert nach Hause fahren? Will ich das? Für eine Minute gehe ich in mich. Schnell komme ich zur Feststellung: Ja, ich möchte, dass er mich nach Hause fährt.

      Schließlich entscheide ich mich für den Fall zwei B vorzubereiten. Ich ziehe meinen schwarzen Hosenanzug an, die silbergraue Seidenbluse, schwarze, bequeme Treter und meinen Mantel darüber. Das kleine, schwarze Lederhandtäschchen bestücke ich. Ja, ich glaube so müsste es gehen. Normalerweise schminke ich mich wenig, doch heute mache ich eine Ausnahme und verteile Farbe um die Augen. Nun noch ein wenig Rouge auf die Wangen, Lippenstift und fertig bin ich. Schmuck besitze ich nicht viel. Die schlichte Goldkette lege ich um und die goldene Uhr schmückt mein Handgelenk. Das muss reichen!

      Mit den Vorbereitungen habe ich so lange getrödelt, dass ich erst um viertel vor sieben fertig werde. Ich merke schon, ich bin ganz aus der Übung. Das letzte Date liegt schon eine gewisse Zeit zurück.

      Komischerweise sagt mir mein siebter Sinn, dass Markus keine Zeit haben wird, mich abzuholen. Und nicht nur das, ich habe auch das dumme Gefühl, er wird überhaupt nicht kommen. Das wäre wenigstens ein Grund ihn nicht mehr zu sehen. Höre ich jedoch in mich hinein, sagt mir mein Herz und mein Bauchgefühl, dass es schade wäre, wenn die ganze Geschichte jetzt im Sand verliefe. Nun ja, abwarten und Tee trinken.

      Meine Vorahnung hat mich nicht betrogen. Markus ruft bis viertel nach sieben nicht an. Ich stapfe zur U-Bahn. Ein paar Leute in der U-Bahn schauen mich interessiert von der Seite an. Vielleicht hätte ich doch das Auto herausholen sollen. Aber in der Stadt ich fahre nicht gerne mit dem Auto. Um ganz ehrlich zu sein, das Fahren in der Stadt ist nicht das Problem, sondern vielmehr das Parken. Einparken ist meine Schwachstelle. Deshalb steht mein Auto die meiste Zeit in der Garage. Manchmal frage ich mich weshalb ich überhaupt eines habe. Aber bei Terminen außerhalb von München ist ein fahrbarer Untersatz mit vier Rädern außen und einem Rad zum Lenken innen doch praktisch.

      Die U-Bahn hält am Odeonsplatz und ich steige aus. Von hier bis zum Herkulessaal ist es nur ein Katzensprung. Um zwanzig vor acht bin ich da. Wie üblich viel zu früh! Trotzdem schaue ich alle zwei Minuten auf die Uhr. Von Markus keine Spur. Weshalb wundert mich das nicht? Im Gegenteil, es bestärkt nur meine dunklen Vorahnungen. Bis kurz vor acht Uhr lasse ich ihm Zeit. Das muss ich ihm zugestehen. So fair will ich sein. Sollte er nicht rechtzeitig erscheinen, werde ich seine Eintrittskarte an der Kasse hinterlegen. Aber noch muss ich nicht handeln. Nervös laufe ich hin und her, schaue abwechselnd zum Eingang und auf die Uhr. Ich kann ihn nicht anrufen. Mein Handy liegt zu Hause. Das habe ich toll hinbekommen. Ich war so darauf fixiert, die Eintrittskarten mitzunehmen, dass ich das mobile Telefon, das daneben lag, einfach nicht einpackte.

      Inzwischen ist es zehn vor acht. Ich beginne wie auf heißen Kohlen zu stehen. Jetzt bin ich froh, dass ich mich für die bequemen Schuhe entschieden habe. Es steht sich leichter. Warum bin ich nur immer so nervös? Markus hat noch zehn Minuten.

      Fünf Minuten bis zum Konzertbeginn. Kommt er oder kommt er nicht? Meine Vorahnungen bewahrheiten sich bestimmt wieder einmal. Es ist nicht das erste Mal. Schon eigenartig, dass ich mich meist auf meinen Bauch verlassen kann. Ich beschließe nicht länger zu warten und will mich dem Eingang zuwenden. Da sehe ich ihn heranstürmen. Ich vermute, alle um mich herum haben den Stein gehört, der soeben von meinem Herzen auf den Boden fällt.

      Markus ist noch ganz außer Atem als er sich mir im Eilschritt nähert. Wie ganz selbstverständlich nimmt er mich an den Schultern, küsst mich auf beide Wangen und wünscht mir guten Abend. Leise murmle ich etwas von schön, dass du kommst und will ihm meine rechte Hand entgegenstrecken. Er ignoriert sie. Dann war die Umarmung am Montag also doch kein Ausrutscher. Auch recht!

      Während Markus mich zur Garderobe lotst, erklärt er mir: „Tut mir wirklich Leid, Angelika. Heute hatte ich nicht nur einen Patienten in letzter Minute, sondern zwei. Und als Tüpfelchen auf das I habe ich nicht sofort einen Parkplatz gefunden. Na ja, ich hab’s ja geschafft. Das ist wohl die Hauptsache.“

      Gerade haben wir es uns in unseren Sesseln bequem gemacht, als das Licht gelöscht wird und das Konzert beginnen kann. Wir geben uns ganz den Klängen der zauberhaften Musik aus der spanischsprachigen Welt hin.

      Plötzlich stupst Markus mich an. Ich bin so in das Konzert vertieft, dass ich erschreckt zusammenfahre. Habe ich ein schlechtes Gewissen? Ich muss lächeln.

      Nun flüstert er mir kaum hörbar ins Ohr: „Gut siehst du aus, Angelika.“ Dabei drückt er sanft meinen rechten Oberarm.

      Noch bevor ich etwas erwidern kann, hat er sich schon wieder in seinem Sitz zurückgelehnt. Ich hoffe nur, er bemerkt nicht wie ich erröte. Und das in meinem Alter! Schon lange hat mir niemand mehr Komplimente gemacht. Erstaunlicherweise wirkt es immer. Ich zumindest bin sehr empfänglich dafür. Auch wenn ich es nicht eingestehen will.

      In der Pause folgen wir den anderen Zuhörern ins Foyer. Markus hängt sich bei mir ein und führt mich in die Nähe des Buffets. „Möchtest du etwas trinken?“, will er wissen.

      „Ein Mineralwasser. Aber ein ganzes Fläschchen ist mir zu viel“, antworte ich wahrheitsgemäß.

      „Wir werden uns eins teilen. Die Luft ist ein bisschen trocken hier drin. Warte doch da drüben auf mich“, schlägt er vor und zeigt auf eine Stelle in meinem Rücken.

      Gehorsam gehe ich zu dem angedeuteten Ort, während er sich in der Schlange am Buffet einreiht.

      In dieser Zeit kann ich ihn unbemerkt beobachten. Gut sieht er aus! In dem dunkelblauen Anzug, dem weißen Hemd und der dunkelblau und silbrig gestreiften Krawatte. Ja, allgemein bestätigt sich der Eindruck, den ich gewonnen habe. Ein fescher Mann! Aber was nützt mir ein äußerlich ansehnlicher Mann? Sonst muss es passen. Na ja, ich will nicht mit ihm anbandeln. Das ist der letzte Stand meiner Entscheidung.

      Schließlich kommt er