Dschungeltanz. Aurel Levy

Читать онлайн.
Название Dschungeltanz
Автор произведения Aurel Levy
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738046649



Скачать книгу

wegen ... du weißt schon.«

      Daisy nahm mich am Arm und sagte: »Komm, lass uns gehen.« Sie nickte Kai zu und hatte es auf einmal eilig.

      Die Miene des Mädchens hellte sich schlagartig auf. Sie griff erneut nach meiner Hand. Der Druck ihrer Händchen war erstaunlich fest.

      »Brangelina darf man sie nicht zeigen, da wird sie ruck-zuck wegadoptiert«, sagte ich zu Daisy. Ich hatte Mühe, der Kleinen zu folgen, die mich halb hüpfend, halb rennend hinter sich herzog.

      Wir überquerten das Fußballfeld. Wenn sich die Jungs über unser Auftauchen wunderten, dann ließen sie es sich nicht anmerken. Sie kickten unter lautem Gejohle weiter. Rötlicher Staub wirbelte auf, als die Spieler um den Ball rangelten, und verlieh der Szenerie einen Hauch von Wild West.

      Schon verschwanden wir im Gewirr der Hütten. Ich hatte Probleme, die vielen Eindrücke aufzunehmen. Frauen in bunten Gewändern saßen vor den Behausungen und bereiteten das Abendessen zu. Überall qualmte ein Feuerchen und verräucherte die Wäsche, die auf einer Leine darüber hing. Niemand schien von uns Notiz zu nehmen. Schließlich blieben wir vor dem Eingang einer violett gestrichenen Hütte in der sechsten oder siebten Reihe stehen.

      »Maman!«, rief die Kleine und verschwand durch den gemauerten Eingang. Tür gab es keine. Schon war das Mädchen wieder da und winkte uns hinein. Mit gemischten Gefühlen trat ich über die Türschwelle.

      Die Hütte maß keine vier Meter im Quadrat und umschloss einen einzigen, karg eingerichteten Raum. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm. Durch eine Fensteröffnung fiel das Licht der Abendsonne und zeichnete ein helles Viereck auf die gegenüberliegende Wand. Unter dem Fenster stand ein Bett aus grob zusammengezimmerten Holzlatten. Vor dem Bett auf einem bunten Teppich saß eine Frau. Ich konnte nicht sagen, was ich erwartet hatte, aber das nicht. Sie saß im Schneidersitz und war komplett in schwarze Tücher gehüllt. Auf dem Kopf trug sie einen hohen Turban aus demselben Stoff. Quer über ihren Oberschenkeln lag ein knotiger, uralt aussehender Holzstab. Auf diesem ruhten ihre Hände. Es waren sehnige Hände, deren Haut silbrig schimmerte. Die ganze Szenerie erinnerte mich an einen Italo-Western. Selbst die unvermeidlichen Fliegen waren da. Die Frau ließ nicht erkennen, dass sie unsere Ankunft bemerkt hatte. Sie verströmte eine eigenartige Ruhe. Jetzt erst sah ich, dass die Augen der Frau milchig-weiß waren. Ein seltsamer Kontrast zu ihrer dunklen Haut. Richtig unheimlich.

      Plötzlich ertönte ein Schnalzen. Ich zuckte zusammen. Die alte Frau hob den Stock vor ihre Brust, beschrieb damit eine Welle und ließ ihn wieder auf ihre Schenkel sinken.

      Die Kleine flüsterte etwas, das ich nicht verstand.

      »Wir sollen uns setzen.«

      »Ich dachte, sie braucht einen Arzt.« Ich warf Daisy einen fragenden Blick zu, den sie mit einem wenig hilfreichen Schulterzucken beantwortete.

      Wieder ertönte das Schnalzen. Während ich darüber sinnierte, wie die Frau bei geschlossenem Mund so laut schnalzen konnte, drängte mich das Mädchen, mich zu setzen. Mir fiel ein, dass es in manchen Kulturen als unschick angesehen wird, seinem Gegenüber die Fußsohlen entgegenzustrecken. Ich presste die Sohlen aneinander und bemühte mich um eine lockere Körperhaltung. Daisy saß in einem perfekten Lotussitz neben mir.

      Erst jetzt sah ich die Taschenlampe, die zusammen mit einem Würfelbecher neben der alten Frau lag. Es war eines jener Vorkriegs-Modelle, bei denen man aus dem weißen Licht durch das Verschieben von Knöpfen entweder ein rotes oder ein grünes Licht erzeugen konnte. Schnalzen. Ich fuhr hoch und blickte der Alten in die Augen. Sie fixierte mich. Ihr Blick war direkt, aber nicht unfreundlich. Trotzdem war ich froh, als das Mädchen eine Kerze brachte und anzündete. Irgendetwas vor sich hinmurmelnd, kramte die alte Frau in ihren Gewändern und zog einen Zweig hervor. Sie streckte mir das Ästchen mit drei vertrockneten Blättern entgegen.

      Auf ein Schnalzen sprudelte es aus der Kleinen heraus.

      »Du musst die Blätter anzünden und mit beiden Händen löschen. Dann zwischen den Handflächen zerreiben.«

      »Was genau wird das jetzt?«

      Daisy rollte die Augen. »Hast du es noch immer nicht begriffen? Die gute Frau wird dir gleich aus der Hand lesen. Dann schüttet sie Tierknöchelchen aus dem Becher und sagt dir die Zukunft voraus.«

      »Woher ...?«

      »Zeig mir die ersten fünf Minuten eines Films und ich sage dir, wie er ausgeht. Das hier ist wirklich nicht schwer.«

      »Echt?«

      »Mach schon. Sonst kommen wir heute gar nicht mehr raus.«

      Ich hielt den Zweig über die Kerze. Zögernd bildeten sich an den Blattspitzen bläuliche Flämmchen. Ich bekam einen Puff in die Seite. Die Kleine deutete mir mit gebieterischem Gesichtsausdruck, dass ich nun löschen müsste.

      Es ist nicht so einfach, etwas mit beiden Händen auszuklopfen, während man es in einer Hand hält. Ich legte den glimmenden Zweig in die eine Handfläche und schlug sofort mit der anderen darauf. Schnell rieb ich meine Hände hin und her. Offenbar waren alle mit mir zufrieden, denn die Alte schnalzte und die Kleine setzte eine heitere Miene auf.

      Als ich genug gerieben hatte, nahm die Frau meine Hände und öffnete sie. Meine Handinnenflächen hatten Farbe angenommen, sie schimmerten silbrig-grau, beinahe metallisch. Die Alte faltete meine Hände, betrachtete sie von allen Seiten und öffnete sie wieder. Mit Daumen und Zeigefinger betastete sie jeden einzelnen Finger, drückte hier, zog dort. Mit dem überlangen Nagel ihres kleinen Fingers fuhr sie sämtliche Linien nach. In ihrem Mienenspiel fand ich keine Anzeichen dafür, wie die Diagnose lautete.

      Würde ich den nächsten Morgen noch erleben? Oder war es aus und vorbei?

      Plötzlich warf sie den Kopf nach hinten und heulte los.

      »Ujujujujujuiiii!«

      »Was ist, stirbt sie?« Erschrocken sah ich zuerst Daisy an, dann das Mädchen.

      Die Kleine zuckte mit den Achseln.

      »Wohl kaum«, murrte Daisy. »Sie kann nichts mehr erkennen.«

      »Und was sollen wir jetzt machen?« Ich schaute auf die Alte. Sie wand sich und jaulte immerfort ihr Ujujujujujuiiii. Wie eine Sirene. Es ging mir durch Mark und Bein.

      Die Kleine zuckte erneut mit den Schultern. »Weiß nicht.«

      Da kam mir der rettende Einfall: »Vielleicht braucht sie Geld?«

      »Kann sein.«

      Ich sah zu Daisy und erntete einen Mach schon!-Blick. Ich quetschte meine Hand in die Hosentasche und fummelte einen 1000-Franc-Schein hervor.

      »Zuviel!«, zischte Daisy. »Die Hälfte reicht.«

      Ich kramte weiter. Die Kleine nahm mir das Geld ab und steckte es in den Würfelbecher. Augenblicklich verstummte Oma. Sie nahm die Taschenlampe und schaltete das rote Licht ein. Im Schein der Lampe inspizierte sie den Verlauf meiner Lebenslinien.

      »Es war einmal ein König ...«, murmelte die Alte und schaltete die Lampe auf grün. Wieder gab sie sich größte Mühe, jede einzelne meiner Handfalten auszuleuchten.

      »... der hatte drei Söhne ...«

      Wie kamen wir aus dieser Nummer wieder raus?

      »Der König sagte zu seinem ersten Sohn ...« Sie stockte. Dann zog sie meine Hand nah an ihr Gesicht und schnupperte mit geschlossenen Augen an meinem Handballen. Ich hab kein Problem mit Anfassen. Aber irgendwann ist gut.

      Daisy hatte die Hand über die Augen gelegt und schüttelte den Kopf. »Daisy Maria Renger«, murmelte sie, »du bist zweiunddreißig Jahre alt. Wie alt willst du eigentlich noch werden, damit du nicht mehr in solche Touri-Fallen läufst?«

      Die Alte ließ ihr keine Zeit für weitere Selbstbetrachtungen. Daisy musste übersetzen.

      »Ich sehe eine alte Frau. Sie ist krank. Ich sehe auch eine junge, schöne Frau. Sie kreuzt deinen Weg und ... oh, das ist nicht gut!«, flüsterte sie mit getragener Stimme.