Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski

Читать онлайн.
Название Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie
Автор произведения Jürgen Ruszkowski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686811



Скачать книгу

von der Trittleiter gefallen.

      Wenn wir mal einen Auftrag für das Cafe Lehfeld am Schulweg bekamen, freuten wir uns, denn vielleicht fiel ja mal ein Stück Kuchen für uns ab. Groß war die Enttäuschung, als der Chef in der Backstube uns nicht von der Seite wich, so konnte uns kein Geselle etwas zustecken. Einmal wurde uns diese Aufpasserei zu dumm. Als es Mittag wurde, gab mir der Geselle etwas Geld, um in einer naheliegenden Bäckerei einige Brötchen zu holen. Die verzehrten wir nun vor den Augen des alten Geizkragens.

      Wie ganz anders war der Chef in einer Schokoladenfabrik. Nach getaner Arbeit, bekam man ein Paket mit Bruchschokolade. Zu dieser Arbeitsstelle bin ich besonders gern gegangen, denn Süßigkeiten hatten es mir schon immer angetan. Wenn es das Taschengeld erlaubte, habe ich mir später sonnabends eine Tafel Schokolade gegönnt.

      Nun muss mal wieder die Rede vom CVJM sein. Unsere Eppendorfer Gruppe war sehr stark geworden. So kam der Plan auf, doch in Eppendorf eine Zweigabteilung zu gründen. Bis der Plan aber ausgereift war und sich ein Leiter fand, ging noch viel Wasser die Elbe runter. Für ein Ferienlager in Sarow am Müggelsee wurde geworben, und bald war eine Gruppe zusammen, die am Lager teilnehmen wollte. Es war eine Bibelfreizeit mit vielen anderen jungen Leuten. Nicht viel ist davon bei mir haften geblieben, nur ein neues Erweckungslied, das damals aufkam. Später wurde mit der Gruppe Berlin besucht. Wir fuhren mit einem Doppeldeckerbus und hatten von oben eine herrliche Aussicht. Natürlich wurde das CVJM-Haus in der Wilhelmstraße besucht, in dem der Rittmeister Rothkirch so segensreich gewirkt hatte.

      Nach den kurzen Ferientagen gab es im Beruf allerlei zu tun. Jetzt war ich im 3. Lehrjahr, und der Meister konnte mich schon allein zur Kundschaft schicken. Ein neuer Lehrling war eingetreten. Das war ein Windbeutel, der seine Ausbildung nicht ernst nahm, was sich dann nach 4 Jahren zeigte. Wenn ich ihm eine Arbeit in die Hand gab, war die so mies ausgeführt, dass man es noch einmal machen musste. Ich sagte ihm, wenn er sich keine Mühe gebe, könne ich ihn nicht zur Kundschaft mitnehmen.

      In der Schule wurde tüchtig auf die Gesellenprüfung hin gearbeitet. Unser Lehrer Meyer hatte immer einen besonderen Ausspruch: „Junge Leute, wir müssen die Prüfungshürde nehmen.“ Für die Prüfung gab es bestimmte Verordnungen. In der Schule wurde die Prüfung über vier Stunden abgehalten. In der Innungswerkstatt mussten dann unter Aufsicht eines Prüfungslehrers aus Abflussrohr und Wasserleitung besondere Sanitärteile hergestellt werden. Die Lötstellen auf dem Bleimaterial mussten besonders sauber gelötet sein. Und dann kam das Gesellenstück, das auch ansprechend sein sollte. Ich entschied mich für einen Dokumentenkasten aus Weißblech. Diese Arbeit durfte in der Werkstatt meines Meisters hergestellt werden. Manchmal werkte ich bis spät in den Abend an diesem Stück. Der Kasten musste ohne Fehler und Kratzer erstehen, damit er vor der Prüfungskommission bestehen konnte. In der Innungswerkstatt wurden meine Sanitärteile aus Blei, ein Abflussbogen mit T-Stück und eine Wasserleitungsabzweigung, gut zensiert.

      Dann kam der theoretische Teil der Prüfung. Bevor die Hefte mit den Prüfungsaufgaben verteilt wurden, sagte ein Lehrer: „Jetzt wird sich die Spreu vom Weizen scheiden.“ Nach der Prüfung zeigte sich, dass gerade seine Favoriten, die Meistersöhne, schlecht abgeschnitten hatten. In dieser Klasse war überhaupt nur ein Schüler mit dem ich guten Kontakt hatte, und der war auch der christlichen Botschaft gegenüber nicht ablehnend.

      Einmal hatten wir eine Auseinandersetzung mit einem anderen Schüler. Wir gingen zusammen durch die Michaelisstraße. Er wollte nicht einsehen, dass die Welt vergänglich ist und der Mensch mehr braucht, als das, was er sieht. Ich weiß noch heute, dass von mir der Einwand kam: „Und wenn dies alles einmal in Schutt und Asche fällt?“ Ich ahnte nicht, dass es 1943 die Michaelisstraße nicht mehr geben würde, die Bomben sorgten dafür.

      Als die Prüfungen abgeschlossen waren und das Gesellenstück bei der Innung hinterlegt war, hörten wir, die Prüfung sei bestanden. Die Auslieferung der Gesellenstücke würde noch vor dem 1. April 1927 geschehen.

      Doch für mich kam erst der 15. März 1927. Vater war krank, er wollte aber doch zur Arbeit gehen. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er aus dem Bett kam und in der Küche versuchte, seine Arbeitshose anzuziehen, was ihm aber nicht gelang. Mutter machte sich große Sorgen und schickte mich zu unserem Hausarzt Dr. Meyer, der seine Praxis in der Eppendorferlandstraße hatte, er solle schnell kommen.

      Von dort ging ich weiter zur Arbeit. Ich bekam den Auftrag, in der Bornstraße das Treppenlicht nachzusehen. Wie ich feststellte, hatte es einen Kurzschluss durch eine Glühbirne gegeben. In der 2. Etage ließ ich mir von einem Nachbarn eine Trittleiter geben und schraubte die Glaskuppel ab. Ich stellte sie fest auf die oberste Sprosse der Leiter und schraubte eine neue Glühbirne ein. Ohne die Glaskuppel berührt zu haben, fiel sie runter und zersprang. Meine Uhr zeigte Punkt 11 Uhr. Ich fegte die Scherben zusammen und fuhr wieder in die Werkstatt.

      Dort kam mir die Meisterin entgegen und sagte, es wäre angerufen worden, ich solle schnell nach Hause kommen. Im Haus fand ich Mutter und Schwester in einem aufgelösten Zustand. Vater war tot. Er hatte plötzlich einen Schlaganfall bekommen und hatte sich davon nicht erholt. Als Mutter mir erzählte, dass Vater um 11 Uhr eingeschlafen war, dachte ich an die heruntergefallene Glaskuppel. Auch meine Schwester erlebte, dass unsere Stubenuhr um 11 Uhr stehen geblieben war. Als es Vater am Morgen so schlecht ging, konnte ich ihm noch sagen, dass ich die Gesellenprüfung bestanden hatte. Ob er das noch aufgenommen hat, weiß ich nicht.

      Vaters Tod war für unsere Familie besonders tragisch, denn am drauffolgenden Sonntag sollte die Konfirmation meiner Schwester in der Andreaskirche sein. Es wurde eine bedrückende Angelegenheit. Wir waren erleichtert, als am 19.03.1927 die Beerdigung überstanden war. Es war eine große Trauergemeinde in der Kapelle 1 auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Viele Freunde und Arbeitskollegen waren gekommen. Vater hatte ja bei der Firma Oldenburg und Hengstler eine Vorarbeiterstellung innegehabt.

      Aber alles, was Mutter an Zuspruch entgegen gebracht wurde, konnte die tiefe Wunde nicht heilen. Sie litt unendlich unter dem Verlust ihres Mannes. Es kam zu einer Gemütskrankheit, die sich noch zu einem dauerhaften Verhängnis für sie entwickeln sollte.

       1927-1937, Gesellenzeit

      Von meinen ehemaligen Klassenkameraden hörte ich, die Feier zur Ausschreibung zum Gesellen sei schon vorbei, und ich war nicht dabei gewesen. Durch meinen Meister erfuhr ich dann, weil meine Lehrzeit erst am 1. Mai begonnen hatte, bekäme ich den Gesellenbrief auch erst am 1.05.1927. Mein Meister war aber so anständig, mir schon ab April den Gesellenlohn auszuzahlen. Die Löhne waren damals niedrig. Als Junggeselle hatte ich einen Stundenlohn von 87 Pfennigen. Das Schlimmste war, dass die Wirtschaft darniederlag. Man musste auf Kundschaft warten. Die Zahl der Erwerbslosen wurde immer größer.

      Im Betrieb hatten wir ein Auftragsbuch, in das wir schauten, den Auftrag erledigten und unseren Namen dann dahinter setzten. Eines Tages stand kein Auftrag mehr in dem Buch. Weil ich der jüngste Geselle war und den Altgesellen nicht verdrängen wollte, bat ich den Meister um meine Entlassung. Über die Antwort vom Meister und seiner Frau war ich sehr erstaunt. Sie sagten: „Nein Hugo, dich entlassen wir nicht, wir haben hinten im Büro noch Aufträge, von denen die anderen nichts wissen.“

      Wenn ich dann oft in der Werkstatt wartete, bis ein Auftrag kam, so war mein Wochenlohn nicht groß, aber wir konnten davon leben. Mutter hat versucht, eine Rente zu bekommen. Weil Vater schon mit 41 Jahren gestorben war, hatte er nicht genügend Beiträge für die Rentenversicherung gezahlt und so wurde ihr Antrag abgelehnt. Später bekam sie im Eppendorfer Krankenhaus eine Arbeitsstelle in der Küche. Wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit konnte sie dies aber nicht lange durchhalten.

      Meine Schwester versuchte, eine Lehrstelle zu bekommen, was aber wegen der schlechten Wirtschaftslage nicht gelang.

      Mein Leben war bestimmt vom CVJM. Es wurde nun eine Zweigabteilung in Eppendorf gegründet. Georg Andresen, ein Kaufmann, war bereit, die Leitung zu übernehmen. Wir nahmen Verbindung zum Volksheim Tarpenbekstraße auf. Der dortige Hausmeister konnte uns für sonntags ein großes Zimmer zur Verfügung stellen und außerdem einen Kellerraum für die Jungschararbeit.

      Den Kellerraum hatte eine Jugendgruppe von der KPD gestaltet. Er war ganz in blau gehalten