Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski

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Название Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie
Автор произведения Jürgen Ruszkowski
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847686811



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Wir freundeten uns an und spielten zusammen, bauten hinten in seinem Garten eine Erdhöhle und hatten so unser Vergnügen. Eines Tages erzählte er mir, er sei in einer Jungengruppe in der Esplanade 12, im dortigen CVJM. Da ginge es toll her, Geschichten würden erzählt, Brettspiele gebe es und zum Schluss würde eine Andacht gehalten. Der Leiter, Herr Bock, wäre ein prima Mann. Nun, ich sollte doch einmal mitkommen und mir das ansehen, es wäre ein schönes Haus, sogar mit einer Turnhalle. Ich habe meine Mutter dann bedrängelt, bis ich mit Kurt den weiten Weg in die Innenstadt machen durfte. Das Vereinshaus war ein großes Gebäude, als Eingang eine große Doppeltür mit einem gekachelten Flur, der nach hinten zur Turnhalle und zu einem großen Saal führte. An den Tischen saßen Jungen in unserem Alter und spielten Brettspiele. Außerdem standen in dem Zimmer ein Bücherschrank und ein Klavier. Wir wurden von dem Leiter sehr herzlich begrüßt und konnten erst mal spielen. Später wurden die Spiele eingesammelt, und der Leiter erzählte eine spannende Geschichte, von der wurde für später eine Fortsetzung angekündigt. Zum Schluss wurde eine Andacht gehalten. Das Thema war die Sturmstillung. Noch heute, nach fast 70 Jahren klingt mir das Lied im Ohr: „Mächtig tobt des Sturmes Brausen, um ein kleines Schiff, Jesus kommt, um uns zu erretten, er führt dich nach Haus.“ Ohne zu wissen, was diese Einführung für mein Leben bedeuten sollte, gingen wir beide, Kurt und ich, seit 1923 immer wieder in den Verein.

       Schäferhof

      Eines Tages gab uns Hans Bock einen Zettel mit einer Einladung zu einem Jungenlager in Schäferhof bei Appen. Natürlich habe ich meine Eltern gelöchert, mir die Teilnahme zu erlauben. Endlich ging Mutter mit zum CVJM, um auch die finanzielle Seite zu klären, wir hatten es ja nicht so dicke. Dann kam der Tag der Abfahrt. Mit einer großen Gruppe ging ich mit meinem kleinen Gepäck zum Dammtorbahnhof. Von dort fuhren wir dann für 14 Tage mit dem Bummelzug nach Pinneberg. An der Kirche sammelten wir uns dort mit anderen Jungengruppen, und dann ging der Marsch auf der Landstraße Richtung Appen-Schäferhof. Hier auf dem Gelände der Arbeiterkolonie hatte der CVJM schon seit Jahren sein Freizeitgelände. Einige Männer wie von Stockhausen, Hermann Geißler und Sechinger hatten diesen Platz gepachtet. Im Wald war ein großes Zeltlager mit tollen Hauszelten. Die waren innen abgeteilt zu Schlafstätten, die mit Stroh gefüllt waren. Etwas höher gab es dann eine Ablage für das Gepäck. Leider war für uns Jüngere dort keinen Platz, vielleicht war das Zeltlager überbelegt, jedenfalls mussten wir in die geräumten Jungtierställe. Dort hatten wir unsere Strohsäcke, und wir schliefen auch hier prima. Abends kam ein Leiter des Lagers, wir sangen ein Abendlied, und er sprach das Nachtgebet.

      Morgens wurden Waschschalen mit Pumpenwasser gefüllt und sich gewaschen, puh, war das Wasser kalt. Unser Strohlager wurde aufgeschüttelt, Ordnung musste sein. Dann ging es zur großen Buche. Da waren Tische und Bänke aufgestellt. Am Küchenhaus stand ein langer Tisch, an dem die Lagerleiter saßen, daneben auf Böcken die Töpfe mit Suppe. Meistens gab es Haferflockensuppe und eine große Semmel. Nach dem Tischgebet wurde das Essen ausgegeben.

      Aus Kiel und Umgebung hatten wir Realschüler, die schon 14-16 Jahre alt waren. Die schliefen in den Zelten, mussten zeltweise die Nachtwache stellen. Der jeweils Verantwortliche einer Gruppe musste dann einen Wachbericht über die Nacht schreiben. Das wurde oft in Gedichtform geschrieben und nach einer bekannten Melodie gesungen. Hermann Geißler spielte dann dazu auf der Klampfe. Nach dem Essen saßen wir auf einer Wiese hinter dem Wald und hielten eine Bibelarbeit, die für uns sehr verständlich dargebracht wurde. Überhaupt hat uns das Lagerleben viel Spaß gemacht. Wenn es zu heiß war, ging es zum Karpfenteich, dort gab es ein altes Rettungsboot, auf dem wir herumtollten, meistens mehr unter Wasser als darüber.

      Wir erlebten viele Überraschungen. Einmal wurden Spaten und Schaufeln ausgegeben, und es ging zu einer nahe gelegenen Sandkuhle. Da war ein sogenannter Burggraben, vor dem Gelände ein Sandturm und in der Mitte des Burggrabens ein Hügel. Dies Gelände hatte den Namen Treuburg. Draußen vor diesem Gelände gab es einen Gedenkstein mit dem Namen seines Gründers, von Stockhausen. Dieser war auch 1912, der Erbauer des Elbtunnels. Leider ist er schon gleich zu Beginn des ersten Weltkriegs gefallen.

      Also, unter Beratung unserer Leiter wurde die Treuburg wieder für einen großen Burgenkampf hergerichtet. Der Sandturm wurde mit Grassoden befestigt, die Burg und der Wall neu aufgeschüttet. Auf dem Hügel errichteten wir einen Turm mit Stangen und verkleideten ihn mit Zeltbahnen. Als alles fertig war, sah das Ganze recht imposant aus. Vorher wurde mit Speeren, die ich noch nicht kannte, geübt. Wir waren ca. 150 Jungen im Lager, diese wurden in zwei Abteilungen, mit je einem Heerführer, eingeteilt. Eine Abteilung bekam die Farbe blau, die andere rot. Als wir dann ins Gelände marschierten sangen die einen: „Rot ist die Liebe und blau kriegt die Hiebe.“ Die anderen sangen: „Blau ist die Treue und rot bekommt Bläue.“

      Eines Tages wurden wir wieder in zwei Abteilungen, rot und blau eingeteilt. Jede Abteilung nahm am Haus aus der Kammer, wo viele Gerätschaften aufbewahrt wurden, die Speere entgegen, zwei für jeden. Diese Speere waren aus Bambusstangen und hatten an der Spitze ein dickes Polster, damit man sich nicht verletzen konnte. Dann gab es auch noch ein Stück Kreide. Bevor nun der Kampf gegen die andere Abteilung losging, wurde das dicke Ende des Speers mit Kreide eingerieben und dann der Speer gegen den Gegner geschleudert. Wer auf seiner Kleidung einen Kreidefleck hatte, musste aus dem Kampfgetümmel ausscheiden, was der Kämpfer ungern tat. Aber der Schiedsrichter holte ihn heraus und stellte ihn an die Seite. Da machten dann die „Toten“ dann das meiste Geschrei, um ihre Mannschaft zum Sieg anzuspornen. Die Abteilung mit den meisten Überlebenden hatte gewonnen und durfte geschmückt mit Eichenlaub ins Lager einziehen. Dort gab es einen Jubelempfang, und der Sieg wurde noch lange gefeiert.

      Beim Essen sang Hermann Geißler oft Lieder zur Laute. Und dann im Chor der Ruf nach Post, die immer mit großem Hallo ausgeteilt wurde.

      Ein Höhepunkt des Lagers war der Treuburgkampf. Schon früh am Tag rückten beiden Gruppen aus, die einen als Verteidiger, die anderen als Angreifer. War das eine Aufregung, denn die Angreifer durften sich nicht von den Verteidigern überraschen lassen. Diese waren auf der Hut und hatten im Gelände kleine Trupps im Hinterhalt. Bis wir endlich das Vorwerk genommen hatten, waren schon etliche auf der Strecke geblieben und waren nun Zuschauer. Es war ein hartes Ding, bis wir die Burg geknackt hatten, da mussten noch viele ausscheiden. Selten geschah es, dass die Verteidiger gewannen. Nach dem Kampf zogen wir staubbedeckt zum Karpfenteich, um uns zu säubern. Nach diesem Kampftag konnten wir dann bei schönstem Sonnenschein mit Kaffee und Kuchen Abschied feiern.

      Für mich war dieses Schäferhofer-Lager ein großes Erlebnis. Als wir nach den Ferien in der Klasse bei unserem Lehrer Prätorius, den wir sehr schätzten, unsere Ferienerlebnisse zum besten gaben, staunten alle über meinen Bericht, so etwas hatte man noch nicht erlebt. Etwas ist mir von diesem letzten Tag besonders im Gedächtnis geblieben. Als wir vom Dammtorbahnhof zum Vereinshaus marschierten, sah ich auf dem Weg eine Obstkarre. Dort war der Preis für ein Pfund Pflaumen mit 1000 Mark verzeichnet. Ich konnte es nicht fassen, wie konnten nur die Preise so klettern. Im Vereinshaus nahmen wir dann Abschied von den Lagerleitern. Dies war eine der schönsten Erinnerung meiner Kindheit.

      Danach kam wieder der Alltagstrott, Schule, Konfirmandenunterricht, leider war der Pastor oft krank.

      Es kam nun die Frage, was nach der Schulzeit werden würde. Vater meinte, ich solle doch auch Klempner und Mechaniker werden, denn beim Großvater in der Bankstraße hätte ich mich beim Löten ganz gut angestellt. Damals war mein Vater schon bei einer Firma Schmidt in der Hansastraße, und dort war eine Lehrstelle frei. Vater nahm mich mit zur Vorstellung, und ich wurde angenommen. Jetzt wurde Arbeitszeug gekauft, ein Klempnerkittel und eine blaue lange Hose. Stolz bin ich mit der Büx durch die Straßen marschiert. Wir trugen ja sonst bis zur Schulentlassung kurze Hosen.

      Der Konfirmationstag stand fest, es sollte der 23. März 1924 sein. Vorher war in der Turnhalle der Schule die Entlassungsfeier. Die war sehr feierlich, der Chor sang: „Nun zu guter Letzt, geben wir dir jetzt...“ Ansprachen wurden gehalten, Mutter war ganz gerührt. Dann kam der 23. März. Ich zog den Konfirmandenanzug an und musste dazu einen Hut aufsetzen, der mir gar nicht passte. Ich weiß heute noch, wir gingen die Eppendorfer Landstraße bis zur Bogenstraße. Die Pfützen waren gefroren. In der Kirche waren viele Eltern mit ihren Sprösslingen. Als