Die Lohensteinhexe. Kristian Winter

Читать онлайн.
Название Die Lohensteinhexe
Автор произведения Kristian Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738007985



Скачать книгу

auch wenn er in Gedanken das ‚Miserere‘ für sie klagte. Aber das tat er für jede verlorene Seele, obgleich er um dessen Sinnlosigkeit wusste. Sie waren dem Satan verfallen und bekamen ihre gerechte Strafe. Nur ein Wunder konnte sie noch erretten.

      Auf Geheiß ihres Defensors genannten Verteidigers, des ehrwürdigen Syndikus Knospe, wurde ihr Vater herbeigeholt, ein alter, kränklicher Mann in einer grauen Strumpfhose und ärmlicher Mantille, damit er sie gütlich stimmte. Dieser hustete schwer wie alle unter der Schwindsucht Leidenden und konnte sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Fassungslos starrte er auf sein Kind und wusste ihr nichts anderes zu raten, als ‚vernünftig‘ zu sein; Se. Cantorius und Dn. Consul - zwei Zeugen des Gerichts, die der Befragung beiwohnen - wären dann vielleicht gnädig gestimmt.

      Doch sie hörte gar nicht hin, stammelte immer wieder etwas von Unschuld und Verleumdung, und wenn es einen Herrgott gäbe, würde er sie erlösen. Das waren Sprüche, die man hier schon kannte und kaum noch jemanden rührten.

      „Hör auf zu jammern!“, erboste sich der Magister. „Wenn du unschuldig bist, wird es sich zeigen, ebenso, ob du Mitgefühl verdienst. Solltest du allerdings lügen, dann Gnade dir Gott!“

      Dann ordnete er die Blutprobe an. Dazu kam der Büttel herbei und stach ihr mit einer Nadel in die Hand. Doch sie zeigte keine Reaktion. Ebenso trat kein Blut aus der Einstichstelle, wie eine Nachschau mit dem Glas ergab. Die Anwesenden zeigten sich entsetzt.

      Damit nicht genug. Nun spreizte man ihre Schenkel und verwies vor den Zeugen auf jene wunde Grotte, in welcher der Teufel in schändlicher Buhlschaft gedrungen sei. Dazu drückte der Büttel ihre Scham auseinander und deutete auf ein bestimmtes Mal, das nicht natürlichen Ursprungs wäre. Zweifellos ein Stigma diabolicum (Teufelsmal), konstatierte Dn. Consul mit sachlichem Urteil. Besaß doch der Satan die Eigenart, sich nach jeder Kopulation durch ein Zeichen in sein Opfer ‚einzubrennen‘ und sich somit auf ewig mit ihm zu verbinden.

      Ihr Vater bat den Syndikus, für sie einzutreten, da dieses natürlichen Ursprungs sei. Schon ihre Mutter habe am Körper reichlich Male gehabt, das könne er bezeugen.

      Der aber wirkte unentschlossen, schien beeindruckt von den Beweisen und der Härte der Anklage. Vielmehr riet er ihm, besser zu schweigen, bevor er sich selber noch um Kopf und Kragen brächte. Oder wollte er vielleicht selbst visitiert und als Hexenmeister entlarvt werden?

      Verzweifelt sank der Alte vor dem Magister auf die Knie, umfasste den Saum seiner dunkelroten Schaube und stammelte etwas. Dabei war er kaum zu verstehen, denn ihn schüttelte ein erneuter Hustenanfall. Aber das war auch nicht nötig. Seine gebrochene Haltung und das jämmerliche Schluchzen verrieten seine tiefe Bestürzung.

      Er wusste, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb. Liebend gern würde er jetzt mit der Tochter tauschen, gab das auch zu verstehen, blieb aber unerhört.

      „Was soll das, alter Mann?“, wies ihn der Magister ab. „Wollte man jeder Bitte um Gnade nachkommen, bräuchte man keine Gerichtsbarkeit mehr. Die Welt wäre voller Chaos, und am Ende würde der Teufel triumphieren. Darum sage ich dir, wahre Gnade kann nur Gott allein gewähren. Aber man muss sie auch verdienen. Es liegt also nur an deiner Tochter.“ Dann aber wandte er sich dem Büttel zu, damit er ihr die Instrumente und deren Wirkung erkläre.

      Dieser trat auch gleich hinzu und fuhr sie barsch an: „Sieh her, Weib. Das hier sind die Daumenschrauben. Ich drehe sie langsam zu, bis dir das Blut aus den Fingerspitzen spritzt. Wie du sehen kannst, sind sie noch rot vom Blut der alten Liese, welche im vorigen Jahr gebrannt und zunächst auch nicht bekennen wollte. Willst du das ebenfalls nicht, so ziehe ich dir die spanischen Stiefel an, und sind sie dir zu groß, haue ich einen Keil hinein, dass dir das Blut aus den Füßen schießt. Genügt das immer noch nicht, werde ich dir heißen Schwefel auf den Leib streuen, auf dass du gebrannt wirst wie ein Stück Ochsenlende.“

      Der Scriba (Schreiber), ein kleines buckliges Männlein in grauen Pumphosen, saß auf einem Hocker zur Linken des Magisters Titius und notierte eifrig jede Äußerung. Dabei war er sehr genau. Die relevanten kennzeichnete er mit einem Strich, die vermeintlichen Lügen mit einem Punkt. So ergab sich am Ende ein klares Bild über die ‚Wahrhaftigkeit‘ ihrer Aussage, woran sich letztlich das Strafmaß bemisst. In Fällen wie ihrem stand es jedoch meist fest. Lediglich die Art der Vollstreckung blieb noch offen.

      Zu seinen weiteren Aufgaben gehörte die Überwachung der Sanduhr. Sie wurde zu Beginn der Befragung umgestülpt, und nach Ablauf von etwa fünfzehn Minuten folgte ein Ruf zur Unterbrechung, wie es das Protokoll vorschrieb. Der Angeklagten blieb dann Zeit zur Besinnung.

      Diese war ganz starr vor Entsetzen und begann erneut um Gnade zu flehen, als der Sand zu verrinnen begann. Doch der Magister blieb unbeeindruckt. Die Beweise seien erdrückend und jedes Leugnen zwecklos. Sie solle endlich bekennen. Dann könne man von weiterem absehen. Das wäre die letzte Ermahnung.

      „Nein!“, schrie sie und versuchte, sich aufzubäumen.

      „Also willst du dich der Marter unterziehen?“

      „Die Wahrheit, die ihr hören wollt, ist eine Lüge! Ich aber kann nicht wider der Wahrheit reden!“

      „Wie erklärst du dir dann die Blutprobe?“, setzt er unerbittlich nach.

      „Das weiß ich nicht! Ich habe nichts gespürt! Aber da war auch nichts. Ich schwöre es, bei meinem Leben! Untersucht das Gerät!“

      „Das können wir gern tun.“ Und schon führte man auf sein Zeichen eine Magd herein. Man hatte ihr die Augen verbunden, damit sie der Anblick der Hexe nicht verschreckt. An ihrem Arm führte der Büttel die Probe durch. Sie schrie laut auf und aus der Einstichstelle quoll Blut. Zum Beweis wurde ihr Arm den Zeugen gezeigt.

      „Was sagst du nun?“

      Die Angeklagte blieb daraufhin stumm.

      „Und was ist mit dem Mal in deiner Scham?“, warf ihr der Magister weiter vor.

      „Das habe ich schon immer, edler Camerarius, seit meiner Geburt“, beschwor sie unter Tränen.

      „Seit deiner Geburt? Das ist seltsam, zumal solche Male bei Kleinkindern noch nicht beobachtet wurden, wie mir der ehrwürdige Medicus Gregorius in diesem Schreiben glaubhaft attestiert.“ Dazu hielt er es hoch und zeigte es den Zeugen. Der Schreiber machte einen weiteren Strich.

      „Ich, ich kann es nicht sagen, Dominus“, stammelte sie.

      „Aber wir können es! Niemand hat dort ein Zeichen! Das ist völlig ungewöhnlich, es sei denn, es wurde auf schändliche Weise eingebrannt, wie es nur der Teufel kann.“

      „Wie kommt es eigentlich, dass dein Vater davon nichts weiß?“, mischte sich Se. Cantorius in gespielter Einfalt ein - ein hoffärtiger Mann mit dickem Bauch, großem Hut und stutzerhaften Silberschnallen an den Waden. Er war es auch, der sich bei ihrer Visitation viel Zeit ließ und mit dem Finger in sie eindrang, um ihn danach einer Geruchsprobe zu unterziehen.

      „Mein Vater ist ein rechtschaffender Mann“, verteidigte sie sich. „Er hat mich niemals so betrachtet, geschweige untersucht. Woher sollte er das also wissen?“

      „Aber es ist doch hinlänglich bekannt, dass Hexen mit ihren Vätern buhlen“, ergänzte Dn. Consul verschmitzt und fühlte sich durch ihr Erröten bestätigt. Auch ihn erregte ihre Verlegenheit sehr, und er würde noch viel lieber ins Detail gehen, wagte es aber nicht.

      Selbst der Magister war nicht wie sonst. Noch immer schien es ihm unmöglich, ihren Blick länger als zwei Sekunden zu ertragen, vor allem nach solch widerwärtigen Attacken.

      Wieder spürte er eine tiefe Betroffenheit. Hinzu kam sein Wissen um die Haltlosigkeit einiger Beweise wie der Nadel, die bei leichtem Druck tatsächlich in den Schaft zurückglitt, durch eine Sperre aber arretiert werden konnte. Das war zwar nicht legal, als zusätzliches Druckmittel aber erlaubt.

      Das heilige Tribunal duldete keine Schwächen. Es verlangte nach der Wahrheit, wenn nötig mit allen Mitteln. Nichts war schwerer, als einen Dämon zu überführen, der sich mit tausend Gesichtern tarnt. Daher es war nur legitim, ihn zu überlisten.

      „Edler