Название | Zwiebelsuppe à la Jules |
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Автор произведения | Louis Geras |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738041088 |
Britta brauchte ihren Freiraum. Und Julia brauchte viel Platz. Überall lagen ihre Kleidungsstücke herum.
Britta konnte keinen Schritt mehr machen, ohne dass sie über irgendetwas gestolpert wäre. Gerade stolperte sie über einen von Julias High-Heels. Was Britta wahnsinnig machte.
Leise Fluchend erreichte sie das Bad. Auch hier herrschte vollkommenes Chaos.
Britta räumte mit einer Handbewegung Julias Schminkutensilien zur Seite. Dann sah sie in den Spiegel, wobei sie sich auf den Rand ihres Waschbeckens abstützte. Entsetzt betrachtete sie ihr Spiegelbild. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Ihre Haut war regelrecht grau, und, oh Schreck, mehrere Fältchen bildeten sich um ihre Augen. Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge entgegen, was die Sache nicht besser machte, jedoch sie zwangsläufig zum Lächeln brachte. Wenn auch nur für einen Moment. Danach schloss sie die Augen und vermied es noch einmal ihr Faksimile zu betrachten.
Nach der Dusche fühlte sie sich besser. Sie schrieb Julia einen Zettel mit den Worten:
SUCH ENDLICH EINE WOHNUNG!!!!
DU HAST NOCH EINE WOCHE ZEIT!
Den klebte sie auf den Kühlschrank. Seit Julia eingezogen war, war der Kühlschrank ständig leer, egal wieviel Britta einkaufte. Dafür ging die Spüle regelrecht über und am Herd standen mindestens fünf benutzte Töpfe, obwohl er nur vier Heizplatten besaß
Danach ergriff Britta ihre Jacke und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Der Tag hatte schlecht begonnen und Britta hatte so das Gefühl, dass er nicht besser werden würde.
Als sie den Dessous-Laden am unteren Ende der Einkaufsstraße betrat, erwartete sie bereits Frau Widekind. Frau Widekind war die Filialleiterin. Eine Frau um die Fünfzig, deren dürre Gestalt von Wolfort-Strickmode, wie ein Kleiderständer behängt war. Unter den eng-anschmiegenden Kleidungsstücken zeichneten sich die hervorstehenden Knochen deutlich ab. Die bereits schütteren Haare leuchteten lila und legten sich in großen Wellen um den Kopf, so fest mit Haarspray fixiert, dass es sich nicht mehr bewegte. Um den Mund hatten sich tiefe Falten gebildet. Ihre Mundwinkel hingen frustriert hinunter und die Tränensäcke unter den Augen schienen heute besonders ausgeprägt, was sich offensichtlich nicht positiv auf ihre Laune auswirkte. Wobei ihre Haltung einer alten Krähe glich. Den Kopf nach vorn gereckt, wirkte ihre scharfe Nase, wie der Schnabel, der sich nun bedrohlich in Brittas Richtung senkte.
Britta arbeitete seit fast zwei Jahren für die Modekette. Sie hatte von Anfang an Frau Widekind nicht gemocht. Doch damals, als sie sich für die Stelle bewarb, führte noch Frau Jenner den Laden. Frau Jenner war im Herbst in Pension gegangen. Damals rückte Frau Widekind in der Hierarchie nach. Seit diese nun Filialleiterin war, hatte sich der Umsatz drastisch verringert. Viele der Stammkunden kamen nicht mehr, da Frau Widekind durch ihre brüske Art diese vergraulte.
Britta überlegte, ob sie Frau Widekind jemals lächeln gesehen hatte. Britta grüßte freundlich, und versuchte sich eilends an ihr vorbeizuschieben, um in den dahinterliegenden Personalraum zu gelangen. Jedoch räusperte sich Frau Widekind umständlich und forderte Britta auf zu warten. „Fräulein Britta“, begann sie mit ihrer unangenehm blechernen Stimme zu sprechen, „Ich muss mit Ihnen reden. Es tut mir leid, aber mit Ende des Monats ist ihr Dienstverhältnis beendet.“ Damit wandte sie ihr den Rücken zu und umrundete rasch, als hätte sie Angst von Britta angegriffen zu werden, den Verkaufstresen und postierte sich hinter der Kassa. Sie blinzelte kurzsichtig hinter ihrer Brille hervor und kniff ihren Mund zusammen, so dass sich die Falten noch verstärkten.
Britta war wie angewurzelt stehen geblieben. Sprachlos starrte sie Frau Widekind an. „Das können Sie doch nicht tun?“, stieß Britta schließlich hervor. „Sie können mich doch nicht so einfach vor die Tür setzen. Ich brauche diesen Job. Wovon soll ich denn leben und die Miete bezahlen?“ Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Frau Widekind zuckte nur ihre hageren Schultern und sagte kühl: „Das habe ich nicht beschlossen, sondern die Konzernleitung. Ich muss eine Mitarbeiterin entlassen. Und dass sind Sie. Punkt um! Ich kann es nicht ändern. Nehmen Sie sich die restlichen Tage es Monats frei. Mehr kann ich für Sie nicht tun. Es tut mir leid, Frau Sanders.“
Die letzten Worte klangen emotionslos. Britta lief ein kalter Schauer über den Rücken. Frau Widekind klang, wie eine dieser Roboterfiguren in den alten Science-Fiktion-Filmen, die Britta gesehen hatte. Noch einmal öffnete sie ihren Mund um Einwände zu erheben, schloss ihn aber wieder, als sie Frau Widekinds abweisendes Gesicht sah. Die kalten Augen der Filialleiterin machten klar, dass jedes weitere Wort vergebens sein würde.
Langsam wandte sich Britta um. Sie bewegte sich traumwandlerisch auf die Tür zu, stieß sie auf und trat auf den Gehsteig hinaus. Dort blieb sie stehen. Die wärmenden Sonnenstrahlen streichelten über ihr Gesicht. Trotzdem war ihr eiskalt. Selbst im grellen Sonnenlicht erschien ihr die Umgebung seltsam grau und düster. Menschen drängten an ihr vorbei und stießen sie an. Minutenlang konnte sie keinen Schritt machen. Sie wusste nicht wohin. Dann begann sie zu gehen. Britta setzte einen Fuß vor den anderen.
Jules II
Wieder trieb der Hunger Alex in Jules’ Bistro. Als er den um diese Zeit gut besuchten Gastraum betrat, begrüßte Jules ihn, wie einen alten Bekannten. Sofort fühlte sich Alex wohler. Wenigstens hier schien man ihn nicht vergessen zu haben. Hier wurde er erfreut begrüßt und zu seinem ‚Stammplatz‘ geleitet, auch wenn er erst das dritte oder vierte Mal hier gewesen war.
Ohne lange zu fragen, stellte Jules ihm einen Cognac hin. Alex prostete ihm dankbar zu, obwohl er heute einem Bier den Vorzug gegeben hätte. Er kippte die scharfe Flüssigkeit hinunter und nach dem er sich mit geschlossenen Augen angewidert – unverkennbar die Nachwirkungen des Vortages - geschüttelt hatte, stellte er den Cognacschwenker ab.
Als er die Augen wieder öffnete und die Hand hob, um Jules um ein Bier zu bitten, sah er überrascht in ein Paar veilchenblauen Augen, die gerade verdächtig feucht wurden. Alex‘ Hand sank langsam wieder nieder. Hilflos sah er zu, wie die erste Träne sich den Weg über die Wangen der gegenübersitzenden neuen Nachtbekanntschaft suchte. Mehrmals schluchzte sie auf. Man sah ihr an, dass sie verzweifelt gegen die Tränen ankämpfte und … erbärmlich verlor.
Der Damm brach und Alex fand sich einem Wasserfall gegenüber, der von heftigem Schluchzen unterstützt wurde. Und … abermals machte Alex den gleichen Fehler wie am Tag zuvor. Er sprach sie an.
„Hat wohl wieder keine Zeit?“, erkundigte er sich hin und her gerissen zwischen mitfühlend und genervt sein. Und zwischen heftigen Schluchzen und einer neuerlichen Sturzflut von Tränen war so etwas wie ein Nicken zu erkennen. Dann hauchte sie noch ein „auch“ und presste das Taschentuch gegen das Gesicht.
Alex erkannte sofort, dass hier nur etwas Kräftigeres helfen konnte. Er winkte Jules, streckte zwei Finger in die Höhe und kurz darauf standen zwei fingerbreit gefüllte Cognacgläser vor ihnen.
Stammgast zu sein, hatte ganz offensichtlich beachtliche Vorteile. Es reichten Gesten und der Bistrobesitzer erkannte daran was und wie dringend man etwas brauchte beziehungsweise man wollte.
„Trinken Sie!“, forderte Alex sein Gegenüber auf, „Schmeckt zwar scheußlich und die Probleme werden nicht weniger, aber irgendwie schafft man den nächsten Tag“, fügte er tröstend hinzu und schob ihr einen der Schwenker zu. Er hatte inzwischen doch schon etwas Erfahrung mit Frust, Trauer und Einsamkeit. Mit zitternder Hand griff sie danach, während sie mit der anderen ein Taschentuch über die Nase rieb, und führte den Cognacschwenker zum Mund. Hier hielt sie kurz inne und hob Alex leicht ihr Glas entgegen, lächelte mühsam und nahm dann einen kleinen Schluck, verzog den Mund und leerte dann mit todesverachtender Verzweiflung das Glas.
Den Rest des Abends erfuhr Alex von Brittas Entlassung, ihren erfolglosen Versuchen Giovanni, ihren Geliebten, telefonisch zu erreichen