Bestatter sind auch nur Menschen. Günther Seiler

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Название Bestatter sind auch nur Menschen
Автор произведения Günther Seiler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738080513



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das Zeichen, auf das ich schon seit Jahren wartete. Ich hätte es eher von der anderen Seite erwartet. Dass ein Blitz den Kirchturm trifft und die Kirche in der Nacht des Gewitters völlig abbrennt. Du kannst es nicht wissen, aber mir erzählte meine Großmutter, dass auf Holmerdingermoor fast immer alle dreißig Jahre Ungemach zukommt. Das Unglück kommt aus dem Moor hinter dem Ewigen Meer und kündigt sich immer durch ein Zeichen von der Kirche an. Einmal fiel der Küster einer heimtückischen Krankheit zum Opfer, das war im Frühjahr und keiner nahm die Warnung meiner Großmutter ernst. Im Herbst desselben Jahres brannte der Hof vom Großbauern Hansen komplett nieder. Alles verbrannte, die Tiere im Stall und die Familie des Großbauern. Dann nach weiteren dreißig Jahren rafften die Blattern das halbe Dorf weg und nun fiel der Bestatter in das Grab von Maria. Maria war eine große Persönlichkeit. Eine Unternehmerin, wie es sie heute nicht mehr viele gibt. Es kommen dunkle Wolken auf uns zu! Ich sage es dir! Ich muss nachdenken. Lass mich bitte jetzt allein, Edda.“ Edda Oltmanns stand mühsam auf und verließ sie ohne ein Wort des Abschieds.

      Doris stand mit ihrer Freundin Gudrun Mertens vor dem Pfarrhaus und beide konnten durch die zugezogenen Jalousien etwas Licht bemerken. Etwas bewegte sich hinter dem Vorhang, so als würde ein Mensch nachdenkend hin und her laufen. Doris klingelte und es dauerte etwas, bis der Schlüssel im Schloss zu hören war. Der Pfarrer öffnete, er schien die beiden Damen nicht zu kennen. „Ja, bitte?“ Doris hatte sich schon auf der Fahrt überlegt, wie sie vorgehen wollte: „Herr Pfarrer, mein Name ist Doris Haber und das ist Frau Mertens. Wir sind von der Polizei Norden und haben eine Frage bezüglich des Vorfalles bei der Bestattung der Frau Maria Pohl.“ Doris und Gudrun wollten ihre Ausweise zeigen, doch der Pfarrer winkte ab: „Kommen Sie bitte herein, ich arbeite gerade an meiner Predigt für den nächsten Sonntag.“ Er trat beiseite und zeigte in sein Büro. Es roch hier merkwürdig, nach Kräuterbonbons oder frischem Kräutertee, der zu lange in der Kanne zog. Es war hier sehr unordentlich, alles lag kreuz und quer auf Stapeln, die in sich noch wie Treppen geschichtet waren.

      Doris, die immer sehr ordentlich und alles schon fast pedantisch an ihren Plätzen sowohl im privaten Bereich als auch auf der Dienststelle hatte, musste sich zusammennehmen. Es ging sie nichts an, wie Menschen lebten, sich nicht sortierten oder nach ihrem Gusto leben wollten, wie sie mochten. Gudrun stand unschlüssig vor einem Stuhl, der mit alten Zeitungen vollgepackt war. Sie wollte den Stapel nicht herunternehmen, wohin sollte sie diesen auch ablegen? Pfarrer Uphusen nahm, eine Entschuldigung murmelnd, den Stapel und warf ihn achtlos auf die Erde. Einen weiteren Stuhl zog er mit dem Fuß heran. Er selber setzte sich auf eine kleine Couch, die mit Videokassetten überhäuft war. Doris hätte gerne einmal die Titel gesehen. Sie dachte: „Von dem möchte ich nicht getraut oder beerdigt werden. Der wirkt irgendwie fahrig, unsortiert.“ Sie lachte innerlich über sich selber. „Herr Pfarrer Uphusen, wir möchten vorweg schicken, dass uns weder eine Strafanzeige noch eine Meldung in dieser Richtung erreichte. Es geht darum, dass, auch wenn Polizeibeamte privat unterwegs sind und von einem Ereignis hören, sei es Klatsch oder Gerüchte, dem nachgehen müssen, um sich im strafrechtlichem Sinne nicht schuldig zu machen. Ist an der Sache nichts dran, ist es erledigt. Das soll aber nicht heißen, dass wir, ich vermeide den Begriff Geschwätz, sondern jedem gesprochenen Wort aufklärungstechnisch gesehen nachgehen müssen.“

      Der Pfarrer hielt den Kopf etwas geneigt und hörte zu, dann meinte er leicht gereizt: „Wenn ich alle gesprochenen Worte auf die Goldwaage legen würde, käme ich hier zu nichts mehr.“ Doris drehte sich um und dachte: „Und wo wäre der Unterschied?“ Der Pfarrer schien irgendwie ihre Gedanken zu ahnen: „Ich war als Kind schon unordentlich und habe immer mit aller Verzweiflung versucht dagegen anzugehen, mit dem Resultat, dass ich nichts mehr wiederfand, meine Zeit im Abheften von Unterlagen in Ordnern vergeudet habe, die ich hinterher nicht wiedergefunden habe, weil diese falsch beschriftet oder aus anderen Gründen am nächsten Morgen verschwunden waren. Sie schienen sich auf die kleinen Ordnerbeine gemacht zu haben, um aus meinem Chaos zu entkommen. Und so habe ich das Ordnung halten aufgegeben.“ Doris musste grinsen und dachte nur lakonisch: „Kein Wunder, das würde ich bei dem als Ordner auch machen.“

      Es klingelte an der Tür und der Pfarrer stand auf: „Einen Augenblick, bitte.“ Als er aus dem Raum gegangen war, blickte Doris ihm kurz nach, ging zu seinem Platz und drehte die Videokassetten um. Sie hatte Pornofilme erwartet, warum wusste sie auch nicht. Aber sie fand Titel wie: Die Kräuterhexe, Hexen aus dem Mittelalter, Sind sie noch unter uns? Als sie sich die Filme genauer ansah, flüsterte sie Gudrun zu: „Das sind Horror und Gewaltfilme!“ Sie hörten Schritte, Doris legte alles schnell zurück und setzte sich auf ihren Platz. Der Pfarrer schien sich überlegt zu haben, seine Taktik zu ändern, um sie schnell los zu werden. „Also meine Damen, die Pflicht ruft, meine Kirche ist auch letztendlich ein Dienstleitungsunternehmen. Fragen Sie bitte schnell, ich muss dringend in die Kirche. Eine arme Seele sitzt schon im Beichtstuhl.“

      Gudrun konnte eine derartig herablassende Behandlung von Menschen überhaupt nicht ertragen: „Herr Uphusen, Sie sind uns schnell wieder los, wenn Sie uns sagen, was Sie im Grab der Frau Pohl bemerkten, als der Bestatter dort lag. Also, kurz und knackig.“ Doris musste sich zusammen nehmen. Die Situation war so komisch, dass sie laut gelacht hätte. fand Gudrun richtig gut. Es kam wieder die alte Ermittlerin bei ihr durch. Das Amt der Polizeipräsidentin schüttete leider so einiges an Potential zu.

      Der Pfarrer war auf dem falschen Fuß erwischt worden, er dachte, dass er zwei unbedarfte Neulinge der Polizei vor sich hatte: „Wieso? Der Herr Doktor von der Reben stolperte, als er am Grab nach dem Rechten sehen wollte, verlor das Gleichgewicht und fiel unglücklicherweise in das Grab und war tot. Das stellte nachher der Notarzt fest. Es lag ein Herzinfarkt vor, weiteres weiß ich nicht. Ich kenne den Herrn von der Reben auch nur beruflich und nur flüchtig.“ Er nickte bei jedem Satz, um diesen noch zu unterstreichen. Gudrun zückte ihr Notizbuch: „Welcher Arzt war hier?“ „Doktor Wennerstein, der Chef der Neurologie.“ Doris wunderte sich, dass ein Neurologe gleich die Symptome eines Infarktes feststellen konnte. Gudrun notierte sich den Namen: „Sagen Sie, bitte, wie war das mit Ihrer Feststellung, dass der Bestatter aus dem Mund nach Mandeln roch?“ Der Pfarrer wurde blass: „Woher wissen Sie das?“

      Wenn sich bei Gudrun eine bestimmte Falte oberhalb der linken Augenbraue bildete, kündigte sie damit ihren kurz bevor stehenden Ärger an: „Herr Pfarrer Uphusen, Sie wollen doch schnell in Ihre Kirche, also nochmals, die Antworten kurz und präzise. Wie war das mit dem Mandelgeruch?“ Er rutschte unruhig auf seinem Sitz herum: „Ja, ich bin in das Grab geklettert, die Frau Pohl in ihrem Sarg war ja noch nicht dort. Ich wollte dem von der Reben helfen. Was ich in der Aufregung gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Mandeln? Lassen Sie mich überlegen. Damit meinte ich, wenn ich das überhaupt gesagt habe, die gebrannten Mandeln vom Jahrmarkt.“

      Doris sah ihre Freundin Gudrun an und versuchte zu ergründen, ob die Stirnfalte wie ein Seismograph ein Donnerwetter ankündigte, wenn sie gleich alleine im Auto waren. Aber es zeichnete sich nichts ab, nur ein Unverständnis, das konnte aber durchaus mit dem Herrn Geistlichen zu tun haben. Gudrun fasste nach: „Aber Herr Uphusen, dass ist doch ungewöhnlich, Ihre Aussage, meine ich. Wenn ich mir vorstelle, vor mir rutscht oder stolpert der Herr Bestatter in das Grab seiner Kundin, Sie bemühen sich hinein, was naturgemäß keiner der Trauergäste sich sofort heraus nehmen möchte. Sie knien in dem ausgehobenen Grab vor dem Bestatter und sprechen von gebrannten Mandeln. Wieso, in welchem Zusammenhang soll das denn passen? Die Aufregung ist groß, der Vorfall auf dem Friedhof einzigartig und Ihnen fällt bei der Erstuntersuchung nichts anderes ein. Ich wiederhole mich, wenn ich es nochmals sage.“ Der Pfarrer sah auf seine Uhr: „So war es, gebrannte Mandeln vom Jahrmarkt, die esse ich, solange ich denken kann. Als Kind habe ich mir an einer harten Mandel einmal einen Zahn herausgebissen, einen Milchzahn, der sowieso heraus musste.“ Gudrun klappte ihr Notizbuch zu und sah Doris an: „Wenn Sie keine Fragen mehr haben, sollten wir gehen.“

      Doris stand auf und gab dem Pfarren überschwänglich die Hand: „Sie haben uns sehr geholfen, das ist leider nicht immer bei allen Bewohnern hier in unserem Dienstbezirk so. Was haben Sie für schöne Videokassetten! Ich bin ein Fan von diesen Dingern und habe meinen ganzen Schrank voll damit. Was sammeln Sie, darf ich mal sehen?“ Der Pfarrer stand schon: „Ein anderes Mal, ich muss nun aber wirklich. Das sind Heimat- und Tierfilme.“ Doris schüttelte ihm nochmals übertrieben die Hand: „Ich komme