Название | Wo ist denn eigentlich dieses Glück? |
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Автор произведения | Katja Pelzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748599517 |
Als ich die Wache betrete, sehe ich sie sofort. Frau Meier sitzt umringt von ihren drei Enkelkindern auf einem unbequemen Polizeibeamtenstuhl. Ihre Enkelsöhne sind fünf und sieben, ihre Enkeltochter neun Jahre alt, das hat Frau Meier mir kürzlich erzählt. Ich kenne die beiden Jungen und das Mädchen auch schon von Fotos und von Besuchen mit ihren Eltern.
Sie und ihre Oma schauen mich jetzt erleichtert und erwartungsvoll an.
„Schwester Alice, ich habe nichts Schlimmes getan, das können Sie mir glauben!“, sagt Frau Meier inbrünstig, bevor ich oder der Polizist, der ihr gegenüber hinter dem Schreibtisch sitzt, etwas sagen können.
Der Polizist nimmt eine Pistole vom Schreibtisch, zielt auf mich und ich reiße reflexartig die Arme hoch.
Der Beamte, der bestimmt zehn Jahre jünger ist als ich, verzieht keine Miene.
„Was soll das? Was tun Sie da?“ frage ich. Meine Stimme klingt schrill und angespannt, aber das ist noch gar nichts gegen die Anspannung in meinem Innern. Gleichzeitig kann ich mir aber auch nicht wirklich vorstellen, dass der Typ abdrücken würde. Schließlich ist er ja naturgemäß auf meiner Seite und müsste schon ein Wolf im Schafspelz sein um mir etwas antun zu wollen.
„Wie fühlt sich das an?“, fragt er jetzt und schaut mich dazu auch noch streng an.
Wie unverschämt! Wie soll sich das schon anfühlen? Sehr, sehr ungut natürlich!
Ich schaue ihm direkt in die Augen und versuche deren Ausdruck zu entschlüsseln.
Der Polizist sieht eigentlich ganz sympathisch aus. Er hat freundliche, sehr blaue Augen und einen netten Mund, den er allerdings gerade nicht zum Lächeln benutzt.
„Sie machen mir Angst“, sage ich wahrheitsgemäß. Und lasse trotzdem jetzt meine Arme sinken.
„Sehen Sie“, sagt der Mann triumphierend zu Frau Meier, lässt die Waffe sinken und wendet sich mir zu.
„Sie müssen nämlich wissen, dass diese nette Dame und die drei sympathischen Kinder die Waffe in der Straßenbahn mit sich geführt haben.“
Entgeistert fällt mein Blick auf Frau Meier.
Diese schüttelt entrüstet den Kopf. „Nun machen Sie aber mal halblang! Das ist doch bloß eine Spielzeug-Pistole! Außerdem habe ich damit auf niemanden gezielt. Ich habe sie nur für meine Enkelin Anni gehalten! Der gehört sie nämlich. Und Anni hier, möchte Polizistin werden.“
„Das mag ja sein. Aber Sie haben eine komplette Straßenbahn damit in Angst und Schrecken versetzt“, kontert der Polizist.
Mir wird ganz schwindelig und ich muss mich auf den Schreibtisch stützen.
„Oh, Verzeihung“, sagt der Beamte jetzt und schiebt mir einen Stuhl hin. Ich lasse mich erleichtert darauf fallen.
„Stimmt das?“, frage ich den Polizisten. „Ist das wirklich nur eine Spielzeugpistole?“
Ich hatte sie tatsächlich für echt gehalten. Ich ärgere mich darüber, dass der Kerl mir bewusst so einen Schrecken eingejagt hat.
„Ja, ist es“, antwortet er. „Aber eine täuschend echte. Frau Meier hatte sie auf dem Schoß liegen und ein paar Jugendliche haben sie gefilmt und den Fahrer alarmiert. Wir haben sie dann an der nächsten Station in Empfang genommen.“
„Schwester Alice, ich habe nichts getan. Glauben Sie mir bitte! Das ist doch alles maßlos übertrieben“, sagt Frau Meier. Sie ist sichtlich echauffiert.
Ich möchte ihr schon Recht geben, da schaltet sich wieder der Beamte ein.
„Nicht ganz“, sagt er wichtigtuerisch. „Sie haben gegen das Waffengesetz verstoßen!“
„Wie das?“, frage ich, „Wenn es sich doch um keine echte Waffe handelt?“
„Das gibt eine Anzeige für das Führen einer Anscheinswaffe“, poltert der Polizist ungebremst weiter.
„Ist das denn wirklich nötig? Seien Sie doch froh, dass es nur ein Spielzeug ist! Sie hat doch niemanden damit bedroht“, wende ich genervt ein.
„Tja, Gesetz ist Gesetz. Hundert Euro kostet das, bitte“, fordert der Mann.
Was soll ich sagen? Frau Meier zahlt ihre Strafe und sie, ihre verängstigten Enkel und ich fahren gemeinsam im Taxi – das sie natürlich ebenfalls bezahlt – ins Seniorenheim zurück.
Ich darf mit ihnen auf den Schreck dann noch kalte Hundeschnauze essen und warmen Kakao trinken. Beides sehr köstlich. Ich fühle mich auf eine wunderbar geborgene Art an meine Kindheit erinnert.
Plötzlich prustet Frau Meier heraus und der Kakao spritzt durch die Gegend. Das bringt wiederum die Kinder zum Lachen und die Tischdecke ist total ruiniert.
„Was für ein beklopptes Land!“, sagt Frau Meier. „Da schießen die Polizisten mit Kanonen auf Spatzen.“
Ich muss jetzt auch lachen. Sie hat ja so Recht! Wie völlig übertrieben. Dass die Menschen nicht weggucken ist ja gut. Aber die Strafe ist wirklich völlig überzogen. Frau Meier hat schließlich nichts Schlimmes getan.
Leider kann ich natürlich nicht länger bleiben. Genaugenommen hätte ich gar nicht bleiben können. Die anderen alten Leutchen warten und ich habe ein schlechtes Gewissen. Aber Frau Meier hat ja jetzt netten Besuch und braucht mich ohnehin nicht mehr.
Die meisten Senioren hier bekommen regelmäßig Besuch. Außer Frau Eberhard. Sie hat keine Familie. Aber sie hat ja Herrn Arnold.
Kapitel Neun
Frau Eberhard kommt hier im Heim mit allen Menschen gut aus. Ich mag sie eigentlich auch von allen am liebsten.
Irgendwann mal, nachdem ich mich oft gewundert habe, dass sie nie Besuch bekommt, habe ich sie gefragt, woran das liegt.
Sie hat gelächelt, den Kopf geschüttelt und geantwortet, dass ihre Freundinnen schon alle verstorben sind. Ihre Geschwister auch. Und Kinder hatte sie keine.
„Ich war das jüngste von drei Geschwistern“, hat sie mir dann erzählt. „Mein großer Bruder war schon als Junge der reinste Gentleman. Es gab einen Jungen, der mich mochte. Ich ihn aber nicht. Er hat mir einmal am Kaugummiautomaten aufgelauert, an dem ich immer vorbeimusste. Er hat mir Kaugummi geschenkt und wollte dann einen Kuss dafür haben, als ich den Kaugummi aber schon längst im Mund hatte. Ich habe den Kopf geschüttelt. Und denken Sie sich! Da hat er mich am Arm gepackt und versucht mich auf den Mund zu küssen. Da war ich gerade acht.“
Sie schüttelt sich vor Lachen, in Erinnerung an die Situation.
Ich muss auch lachen – „Sie scheinen ja ein richtiger Feger gewesen zu sein!“
Da haut Frau Eberhard mir gespielt empört leicht mit einer Hand auf den Unterarm. „Warten Sie, die Geschichte ist noch nicht zu Ende!“
„Ich konnte mich jedenfalls losreißen und bin weggerannt. Was hat mein Herz wild geschlagen! Ich hatte von da an schreckliche Angst vor diesem Jungen und dass er den Kuss weiter einfordern würde. Ich habe das meinem Bruder erzählt und er hat mich seitdem immer bis zur Schule gebracht, obwohl er und unsere Schwester schon auf dem Gymnasium waren, als ich in die Grundschule kam und ganz woanders hinmussten. Mein Bruder und ich sind dann immer besonders früh losgegangen. Der Junge hat mich seitdem in Ruhe gelassen. Und mein Bruder war mein Leben lang mein Held. Er ist später Bauingenieur geworden und hat in Afrika Brücken gebaut. Ich habe ihn sehr geliebt. Leider ist er schon so früh gestorben. Und meine Schwester auch. Tja, nun wissen sie, warum ich nie Besuch bekomme.“
Dieses Gespräch hat irgendwann während meines ersten Jahres hier im Seniorenheim stattgefunden. Damals war Frau Eberhard noch keine Achtzig gewesen und ihr Gesundheitszustand wesentlich besser. Aber eigentlich ist sie noch immer ganz gut beieinander. Ihr Geist kann auch heute noch zu Höchstform auflaufen. Nur eben nicht mehr so häufig. Aber es ist einfach rührend, Frau Eberhard