Название | Wo ist denn eigentlich dieses Glück? |
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Автор произведения | Katja Pelzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748599517 |
Mein Nein hatte jener Mann damals allerdings auch als ein Nein gegen sich selbst verstanden. Davon haben wir uns nicht mehr erholt. Auch wenn ich ihn gebeten habe, mir noch ein wenig Zeit zu lassen.
Er hat mich dann verlassen. Mit den Worten: „Du musst endlich Deine Eltern loslassen und erwachsen werden.“
Aber zurück zum „kleinen Apfelbaum“.
Beatas Vertretung ist Dana, eine junge Bulgarin.
Die Einrichtung sieht sich verstärkt im osteuropäischen Ausland nach Hilfe um. Beim deutschen Nachwuchs in der Altenpflege sieht es nämlich seit Jahren mau aus. Das kann ich aber auch irgendwie verstehen. Ich habe zwar immer das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, aber wie gesagt, es ist so schwierig hinterherzukommen mit allem. An manchen Tagen bin ich noch immer überfordert.
Dana kann erst wenig Deutsch, doch mit Englisch durchmischt, funktioniert die Verständigung ganz gut. Sie läuft an ihren ersten Arbeitstagen bei mir mit. Sie soll die Bewohner kennenlernen. So hat es die Oberschwester beschlossen und mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie ist die einzige Kollegin, mit der ich nicht so gut klarkomme. Aber was soll’s und was soll ich in diesem Fall schon dagegen haben? Dana ist total süß mit ihren großen, glänzenden braunen Augen, ihrem runden Gesicht mit den rosigen Wangen – so jung und hübsch und voller Energie.
Herr Schmitt ist auch ganz entzückt von ihr.
Seine Demenz äußert sich derzeit vor allem darin, dass er seinen Sohn nicht erkennt und ihn die drei dazugehörigen Enkelkinder zwar erfreuen, er sie aber nicht als seine eigenen ansieht und sie nicht einmal in die nähere Verwandtschaft einzuordnen weiß.
Er hat schon mehrmals versucht Dana an sich zu ziehen und nennt sie fortwährend „Mein Liebling“.
Ich nehme sie zur Seite und erkläre ihr, dass sein Verhalten sicherlich nicht hormonell sondern krankheitsbedingt ist. Dana hat nämlich eine auffallende Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau Inge, als diese noch jung war. Das weiß ich, weil Herrn Schmitts Hochzeitsfoto auf seinem Nachttisch steht. Die abgebildete Braut ist bereits zehn Jahr tot.
Als ich Dana das Bild zeige, streicht sie daraufhin Herrn Schmitt liebevoll über die Hand. Sie lächelt ihn an und verfolgt ansonsten aufmerksam meine Handgriffe, während ich Herrn Schmitt gegen seinen Willen untersuche, ihm den Blutdruck messe, ihn wiege und sein Herz abhöre, während er dafür immerhin kerzengerade auf seiner Bettkante sitzt.
Diese Untersuchungen sind nicht von allzu großer Bedeutung. Herrn Schmitts Herz ist schließlich schon vor zehn Jahren gebrochen und dennoch nicht seine Schwachstelle. Das sind die abgestorbenen Nervenzellen in seinem Gehirn. Und gegen dieses Leiden wächst bisher kein Kraut.
„Mein Liebchen“, murmelt der alte Mann. Und legt seinen Kopf gegen Danas, zierlich wie sie ist, sind sie so auf einer Höhe. „Wie gut, dass ich Dich wiederhabe.“
Dana lächelt nachsichtig. Macht sich dann aber rasch wieder frei, weil es noch andere Patienten im Haus gibt, die auf uns warten. Ich kann kaum mit ihr Schritt halten. Ich finde es wichtig, immer auch ein wenig Zeit mit jedem Menschen hier zu verbringen. Auch wenn die Ärzte das immer mal kritisieren. Sie finden, dass ich mir zu viel Zeit lasse. Sie befürchten, ich käme mit der Arbeit nicht hinterher. Keiner kann sich diese Zeit heute noch leisten. Zeit ist das höchste Gut. Mit Gold nicht aufzuwiegen.
Das sehe ich genauso und darum möchte ich den alten Menschen in meiner Obhut zeigen, dass sie mir Gold wert sind.
Und ja, das liegt noch immer daran, dass ich am liebsten meinen Eltern diese Wertschätzung entgegenbringen möchte. Aber sie sind nun mal nicht mehr da.
Eine Beziehung habe ich seit einiger Zeit auch nicht mehr gehabt. Und ich bin auch schon ein klitzekleines Bisschen über Vierzig, also genauer gesagt zweiundvierzig.
Mir fehlen einfach die Zeit und die Gelegenheit für eine Beziehung und vielleicht fehlt auch noch irgendetwas anderes. Auf jeden Fall der Mut.
Kapitel Sieben
Die Tür zu Piets Werkstatt steht weit offen, als ich auf unseren Hinterhof trete. Ich husche hinein, um ihm einen schönen Abend zu wünschen.
Er trägt seine übliche Kluft. Armeegrüne Hosen und ein dunkelblaues Hemd. Seine langen braunen Haare hat er in einen Dutt nach oben gedreht, genau wie ich, damit sie ihm bei der Arbeit nicht in die Augen fallen.
Er ist über etwas gebeugt gewesen, als ich hereinkam, hat sich jetzt aber mir zugewendet.
Ich schaue auf das Brett, das da vor ihm liegt und stelle fest, dass es ein Schild zu sein scheint, dass er mit Hilfe eines Pinsels mit roter Farbe beschriftet.
Darauf steht: „Füttern Sie die Enten oder die Ratten?“
Ich stutze. „Was machst du da?“, frage ich. Und versuche seine Botschaft zu verstehen.
„Das will ich an den Teichen im Hofgarten aufstellen. Jeden Sommer kippt dort das Wasser um, weil die Leute immer noch die Enten mit Brot füttern und nicht kapieren, dass die Tiere gar kein Brot vertragen. Vielleicht kapieren sie es, wenn man ihnen sagt, dass die Ratten sich am meisten über das ganze Zeug freuen. Sie vermehren sich wie... wie die Karnickel.“ Er lacht über seine Formulierung.
Ich staune immer wieder über Piets Energie. Er kann sich über alles aufregen, was nach Ungerechtigkeit oder Dummheit riecht. Allein mit dem Aufregen ist es aber nicht getan. Er begehrt auch auf. Wird aktiv.
Piet schaut mich forschend an. „Ach Alici! Du bist so süß. Das ist Dir alles zu aufgeregt. Oder? Ich kenne niemanden, der so ein gutes Herz hat wie du.“
Ich seufze, widerspreche aber nicht. Was soll ich darauf auch entgegnen. Ein bisschen Recht hat er ja. Ich muss nämlich jetzt gerade auch wieder an die rührenden Großeltern denken, die sich freuen, wenn ihre Enkelkinder sich darüber freuen, dass die Enten sich über das Brot freuen. Aber „Alici“ lasse ich mich nicht nennen. Ich habe mal Italienisch gelernt, als ich noch von Italien geträumt habe. Bevor meine Eltern gestorben sind, war das. Und ich weiß, dass Alicci – so spricht er es nämlich aus – Sardellen sind. Das habe ich Piet schon tausendmal gesagt. Aber es prallt an ihm ab.
„Ich kann kein Italienisch, Alici“, sagt er dann nur und lacht. Ich mag ihn, auch wenn er mir manchmal zu viel ist.
Kapitel Acht
Manchmal wünschte ich, ich hätte drei Paar Hände. Am nächsten Tag beispielsweise. Ich habe Spätschicht und muss um 16 Uhr anfangen.
Frau Engels hat ein Nagellackfläschchen in ihr Handwaschbecken fallen lassen, als sie sich mal schnell die Nägel lackieren wollte. Schnell geht in dem Alter eben kaum noch etwas. Ihre Hände zittern außerdem ziemlich, da ist das gar keine so einfache Angelegenheit, sich die Nägel zu lackieren und schon mal gar nicht schnell. Jetzt ist die weiße Beckenoberfläche jedenfalls über und über mit roten Flecken bespritzt, die ich kleinteilig mit Nagellackentferner herausreiben muss.
Das tut Frau Engels furchtbar leid. Mir wiederum tut es furchtbar leid, ihr zerknirschtes Gesicht zu sehen. Und ich beruhige sie, dass es doch gar nicht so schlimm ist. Auch wenn es echt schwierig ist, das Zeug wegzukriegen. Aber es gibt ja wirklich Schlimmeres.
Gleichzeitig erreicht mich der Notruf einer anderen Bewohnerin. Sie wollte Kaffee kochen, in ihrer Espressokanne. Und hat vergessen, Wasser hineinzufüllen. Der Geruch, der mir aus ihrem Appartement entgegenschlägt, ist eine Mischung aus verbranntem Gummi und reinstem Nikotin. Die zarte Dame ist ganz geknickt. Die Kanne war ein Geschenk ihrer Tochter zum Einzug.
Als ich gerade den geschmolzenen Dichtungsring vom Gewinde gekratzt und die Kanne mühsam mit Akkopaz geschrubbt habe, piepst mich Christel vom Empfang an und bittet mich, nach Vorne zu kommen.
Hier erfahre ich, dass Frau Meier auf der Polizeiwache sitzt. Sie ist verhaftet worden.