Liebesblues. Christine Jörg

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Название Liebesblues
Автор произведения Christine Jörg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847619611



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Hochtouren. Zunächst kommt jedoch kalte Luft aus der Belüftung. Doch bald wird es warm. „Schließlich wollen wir nicht, dass Sie sich erkälten“, erklärt er ihr mit einem freundlichen Lächeln.

      Was geht ihn ihre Gesundheit an? Er ist schließlich auch nass geworden und ihr ist dies im Grunde genommen vollkommen egal. Diese Gedanken schießen Marianne durch den Kopf.

      Während er fährt kann Marianne es nicht unterlassen, ihn von der Seite zu mustern. Eigentlich sieht er gar nicht übel aus. Der erste Anblick aus dem Stadel bestätigt sich. Sein Haar ist leicht ergraut und auf der Stirn haben sich ein paar Falten eingeprägt. Seine Augen, das hat sie vorhin gesehen, sind bernsteinbraun. Schöne Augen, findet sie. Er ist eher schlank und hat für ihre Begriffe unwahrscheinlich schöne Hände. Ja, hässlich ist er nicht. So viel zu dem Thema.

      Sie sind beinahe in Immenstadt angekommen, als er das Schweigen bricht: „Haben Sie Lust heute Abend mit mir Ihre Rettung aus den Fluten des Platzregens zu feiern?“ Er schaut kurz zu ihr hinüber.

      Zuerst starrt Marianne ihn erstaunt von der Seite an, dann wird sie rot, das fühlt sie und schließlich antwortet sie: „Tut mir leid, aber ich habe noch einiges zu erledigen. Da sind die Kinder zu versorgen, die sicherlich auch durchnässt vom Fußball nach Hause kommen werden und dann muss ich trotz des Wetters den Hund spazieren führen. Aber vielen Dank für das Angebot.“ Weshalb ihm Marianne etwas von Kindern, die sie gar nicht hat, vorgaukelt, weiß sie nicht. Sie nimmt einfach an, dies soll zur Abschreckung dienen. Welcher Mann interessiert sich schon für eine Frau mit Anhang?

      Dafür erklärt sie ihm, wie er sie in die Nähe des Hauses bringen kann. Als sie dort ankommen, macht sie sofort Anstalten auszusteigen, als er ihr sagt: „Vielleicht können wir uns ein andermal treffen.“ Er lehnt sich zu ihr hinüber. Marianne nimmt schon das Schlimmste an. Die rechte Hand liegt bereits auf dem Griff um die Türe zu öffnen. Trotzdem wartet sie ab, als er das Handschuhfach aufmacht, nach einem Etui greift, ihm eine Visitenkarte entnimmt und diese Marianne in die Hand drückt. Sie greift nach ihr, hat jedoch nicht die Zeit, die Karte anzusehen und steigt sofort aus. Er tut es ihr gleich und holt ihr Fahrrad aus dem Kofferraum.

      Währenddessen sagt er: „Rufen Sie mich doch bitte an, wenn Sie etwas mehr Zeit haben.“

      „Werde ich machen“, verspricht Marianne leichtfertig, „und nochmals vielen Dank fürs Nachhause bringen.“

      „Nehmen Sie gleich ein heißes Bad“, rät er ihr, „sonst erkälten Sie sich richtig.“

      „In Ordnung“, antwortet sie, „Auf Wiedersehen!“ Damit verschwindet sie im Haus ohne sich nochmals umzudrehen.

      *

      Schnell schiebt sie ihr Fahrrad in den Keller. Dort schaltet sie das Licht an und liest die Karte, auf der steht „Dr. Gerd Malmann, Pharmazeut, geschäftliche und persönliche Anschrift und Telefonnummer in Kempten und Waltenhofen.“ Der Mann leitet eine Apotheke in Kempten. Auch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie sich nicht bei ihm melden wird. Weshalb auch? Auf der anderen Seite ist für Marianne klar, dass sie Franzi nichts von der Begegnung erzählen kann und will. Diese Eifersuchtsszenen möchte sie sich ersparen. Immer noch weiß sie nicht, weshalb sie etwas von Kindern erzählt hat. Sie muss vollkommen verrückt geworden sein. In Wirklichkeit kann sie mit Kindern nicht umgehen und auch gar nichts mit ihnen anfangen. Für sie ist es jedes Mal schlimm, wenn jemand aus Franzis Familie mit Kindern zu Besuch kommt. Na ja, auf der anderen Seite spielt das auch keine Rolle, denn sie hat nicht vor, diesen Mann anzurufen.

      Langsam steigt Marianne die Treppe zur Wohnung hoch. Als sie die Tür aufschließen will, öffnet Franzi ihr. Sie wird sofort umarmt und geküsst. Gleich wird sie gefragt, wo sie so lange geblieben ist, und weshalb sie nicht schon früher zurückgekehrt ist. Dass sie fürchterlich nass ist und so weiter. Dazwischen rast der Hund wie verrückt hin und her und hört nicht auf zu bellen. Franzi regt sich auf und blafft den Hund an. Marianne ärgert sich, weil sie genau weiß, dass Mäxchen Franzi ein Dorn im Auge ist. Ein Gewitter ist im Anzug. Es knistert in der Luft der Wohnung. Die Spannung lädt sich spürbar auf!

      Marianne hat keine Lust auf irgendwelche Zärtlichkeiten einzugehen und verzieht sich sofort ins Badezimmer. Die Türe verschließt sie ausnahmsweise mit dem Riegel. Jetzt will sie allein sein. Franzis Gehabe geht ihr im Augenblick auf die Nerven. Noch bevor sie sich auszieht, lässt sie das Wasser in die Badewanne plätschern. Während warmes Wasser einläuft, setzt sie sich schon in die Wanne. Sie liebt es, wenn das Wasser langsam in der Wanne ansteigt und ihren Körper mit dem warmen Nass umhüllt. Es ist eine Wohltat. Ob Gerd jetzt wohl auch ein Bad nimmt.

      Sie erschrickt über den Gedanken. Was interessiert sie dieser Kerl überhaupt. Weshalb geht er ihr nicht aus dem Kopf. Schließlich ist es sicher, dass sie sich nicht bei ihm melden wird. Sie kann nur hoffen, er kommt nicht auf die Idee, hier zu erscheinen.

      Als sie den Wasserhahn zudreht, hört sie Franzis Gezeter vor der Tür laut und deutlich. Am liebsten hätte sich Marianne die Ohren zugestopft, doch sie hat nichts bei der Hand. Sie versucht einfach nicht hinzuhören, das ist jedoch ziemlich schwierig. Weshalb kann sie nicht eine Viertelstunde ihre Ruhe haben? Langsam wird ihr das alles zu viel. Das Wochenende ist versaut, durch Franzis Erkältung und nun auch noch dieser Affenzirkus!

      Der Gedanke kommt ihr ab und zu, aber vielleicht sollte sie tatsächlich die Konsequenzen ziehen und sich von Franzi trennen. Seit einem Jahr sind es mehr Streitereien, als Liebe. Was ist aus ihrem Verhältnis geworden? Ein Alltagstrott. Genau das was Marianne verurteilt. Nach fünf Jahren sind ihre Liebe und Zuneigung abgenutzt und sie kann fast behaupten, verflogen. Was hindert sie also an einer Trennung? Es muss die Angst sein! Die Angst alleine zu sein, trotz allem! Die Angst vor Franzi selbst und die Angst dann ohne Wohnung dazustehen. Diese Wohnung gehört schließlich Franzi. Sie ist damals hier eingezogen. Aber von nun an wird sie Wohnungsanzeigen durchsehen. Das ist jetzt beschlossene Sache.

      Vielleicht kann sie über ihren Arbeitgeber, die Bank, eine neue Bleibe finden. Weshalb nicht? Gleich am Dienstag wird sie sich darum kümmern.

      Marianne ist noch ganz in Gedanken vertieft, als Franzi gewaltsam die Türe öffnet, ins Badezimmer stürmt und weiter wettert. Selbst hier hat sie kein Anrecht auf Zurückgezogenheit. Es ist nicht mehr zu ertragen und mit anzuhören. Wie hat sie das nur so lange ausgehalten? Franzis Dominanz wird von Tag zu Tag belastender. Ja, es ist nicht Mariannes Wohnung, doch sie bezahlt ihren Teil an der Miete. Aber immer hält Marianne den Mund und lässt die Vorwürfe über sich herunterprasseln. Sie fühlt sich nur unendlich müde und will ins Bett, doch das wird Franzi in diesem aufgewühlten Zustand sicher nicht zulassen. Marianne weiß das.

      Auch der Hund hat sich mit seinem Gebell in die Tiraden eingemischt und will offensichtlich ein Wort mitreden.

      Was soll sie jetzt unternehmen um ihre Ruhe zu bekommen?

      Marianne steigt entnervt aus der Wanne und lässt Franzi einfach schimpfen. Scheinbar taub greift sie nach dem Handtuch, das ihr normalerweise immer gereicht wird und trocknet sich ab. Auch auf diese Hilfestellungen scheint sie heute verzichten zu müssen.

      Die Auseinandersetzungen mit Franzi werden in letzter Zeit zu häufig. Marianne muss diesem grausamen Spiel ein Ende bereiten. Der Gedanke an eine Trennung bietet sich an. Schließlich sind sie nicht verheiratet und es wird bei einer Trennung keine gravierenden Streitpunkte geben. Jeder hat sein eigenes Einkommen. Marianne muss sich allen Ernstes mit der Angelegenheit einer Wohnung befassen. Es ist dringlicher denn je.

      Nackt, so wie Gott sie geschaffen hat, geht sie ins Schlafzimmer, holt sich einen Schlafanzug aus dem Schrank und legt sich, ohne ein weiteres Wort, ins Bett. Auch hier ist Marianne heute nicht vor Franzis Wut sicher. Weiterhin muss sie sich dieses fürchterliche Schimpfen und Toben anhören.

      Sie steht wieder auf, zieht sich über den Schlafanzug einen Jogginganzug und beschließt mit dem Hund eine Runde zu gehen. Vielleicht ist danach wieder Ruhe.

      Wie kann ein Mensch, den man geliebt hat, so launisch und böse werden? Inzwischen ist sich Marianne sicher, die Liebe ist erloschen. Sie weiß jetzt, dass sie mit Franzi einen gewaltigen Fehlgriff getan hat.

      Draußen regnet es zwar noch,