Название | Seine Sensible Seite |
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Автор произведения | Amalia Frey |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752916072 |
Sascha fuhr fort: »Ich weiß, Sie haben gerade das andere Projekt. Ich weiß, wie viel Freude es Ihnen bereitet, Ihrer Großmutter zu gedenken. Ich weiß, dass unsere Übereinkunft eine andere war. Aber sehen Sie mich an – wer weiß, wie viel Zeit noch bleibt?«
»Sagen Sie so etwas nicht.«
»Ich weiß, es ist viel verlangt …«
»Gar nicht, Herr Schneid«, unterbrach ich ihn und drücke diesmal mit beiden Händen seine Hand, »Es ist das Mindeste. Wir können sofort beginnen.«
»Liebes Fräulein Lux, Sie goldiges Wesen. Heute muss es nicht sein. Kommen Sie morgen und bringen Sie ihren Klappcomputer mit. Dann erzähle ich Ihnen alles.«
»Gut, so machen wir es.«
»Mit Richter ist das auch schon abgeklärt. Ich werde ihm Bescheid geben, dass der Vorschuss, den sie bereits erhalten haben, für meine Biografie gedacht ist. Wenn Sie mit dem Schreiben fertig sind, so werde ich es verfügen, bekommen Sie noch einen Bonus.«
»Das muss nicht sein, mir geht es gut. Lassen Sie mich das Buch so schreiben. Aus alter Freundschaft und Dankbarkeit.«
Da drückte er meine Hand fester und hauchte: »Sie wären mir eine gute Tochter gewesen …«
Will der mich verarschen?
Ein starker Geruch nach Rasierwasser stieg in meine Nase, so dass ich instinktiv aufsah. In der Tür stand der schnieke Anzugträger von vorhin und das offenbar schon seit einer Weile. War ich im falschen Film? Eine krasse Ader pochte an seiner Stirn, sein Hals färbte sich dunkelrot. Jeden Moment würde er explodieren. Stattdessen brummte er kalt: »Guten Tag, Frau Lux nehme ich an …«
Die Erkenntnis, wer er war, verschlug mir den Atem.
Sie nickte. Das konnte doch nicht wahr sein!
Mit den kurzen Haaren und den zusätzlichen Muskeln hatte ich sie nicht erkannt.
»Doktor Schneid«, gab ich mit einem Nicken zurück und lockerte langsam den Griff um Saschas Hand.
Im sonnendurchfluteten Krankenzimmer wirkte Doktor A in seiner Wut zwar furchterregend, doch er hielt lange genug still, so dass ich sein Gesicht genauer betrachten konnte. Maskulin und rosé war es, blass wohl vom Stress. Er hatte einen markanten Kiefer mit einem graden Mund, den zwei tiefe Falten umrundeten. Wegen der schlechten Rasur sah ich, dass sein Bart ebenso blond wie sein Haupthaar war. Er mochte Mitte vierzig sein. Und endlich erkannte ich die Ähnlichkeit: Er hatte die großen, dunkelgrünen Augen Saschas.
»Junge! Steh da nicht so wie ein Zinnsoldat«, rief dieser ungewohnt schroff.
Als Doktor A daraufhin auf uns zusteuerte, ließ ich endgültig die Hand seines Vaters los und rutschte vom Krankenbett.
Ich wollte höflichen Abstand wahren, so dass die beiden sich begrüßen konnten. Aber Doktor A blieb noch weiter entfernt vom Bett stehen als ich, stemmte die Hände in die Seiten und nickte seinem Vater zu.
»Das Fräulein hat eingewilligt«, stöhnte Sascha müde. Seine Stimme wirkte in Gegenwart seines Sohnes plötzlich viel brüchiger und schwächer. Hatte er vor mir stark sein wollen oder wollte er vor Doktor A kränker wirken? Oder machte er es gar nicht mit Absicht?
»Ich möchte, dass du sie bei allem unterstützt.«
Daraufhin drehte Doktor A sich zu mir herum und starrte mich noch böser an.
»Hmm«, knurrte er nach einer Weile, »soweit ich weiß, wird sie meine laienhafte Hilfe nicht brauchen. Sie ist doch wohl qualifiziert genug.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und wollte erwidern, dass er recht hatte, Sascha kam mir jedoch zuvor: »Hornochse, nun reicht es. Sie macht sich damit genug Umstände. Ich will, dass du ihr zur Seite stehst. Du wirst an unseren Treffen teilnehmen und evaluieren.« Dann wandte er sich an mich, seine Stimme klang deutlich sanfter: »Mein Gedächtnis ist in letzter Zeit etwas schlecht, es kann sein, dass er mich verbessern muss, wenn ich von früher spreche.«
»Sicher, ich werde einen guten Anstandswauwau abgeben«, rief Doktor A und ließ den Blick über meine Figur schweifen. »Wer weiß, wozu so ein junges Ding sonst …«
Ich ließ ihn nicht ausreden. »Ich darf doch wohl sehr bitten!«, donnerte ich. Und das so laut, dass der Pfleger seinen Kopf durch die Tür steckte und »Psst« machte.
Daraufhin drehte ich mich nur um, erklärte noch: »Herr Schneid, ich werde die Hilfe Ihres Sohnes nicht brauchen. Ich wünsche ihn nicht morgen, nicht übermorgen und zu keiner Zeit hier vorzufinden, wenn wir an Ihrem Buch arbeiten.« Und damit wetzte von dannen.
Dieser Hintern …
°°°
Der nächste Morgen kündigte bereits einen sauheißen Tag an. Die Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase und ließen mich lächelnd aus meinen bewegten Träumen erwachen. Um mich auf Touren zu bringen, rutschte meine Hand noch einmal ins Höschen und katapultierte mich kurz ins Engelsreich. Ich erstickte mein Stöhnen. Hier war niemand, den ich damit anfeuern könnte. Dann streckte ich alle Glieder und erhob mich. Entgegen meiner Gewohnheit schlief ich nicht bis 12:00 Uhr, sondern musste um 8:00 Uhr aus dem Bett und ins Bad. Zähneputzend und mit verquollenen Augen starrte ich in den Spiegel. Mein Gesicht war wohl das Einzige an mir, dem man die Dreißig ansah. Spitz war es geworden, meine Züge ergaben ein fast perfektes Herz. Ich mochte die vollen Lippen meines Vaters und die hellbraunen Augen meiner Mutter. Meine Haut war eine vollendete Symbiose dieser Mischehe: ein kühles Mittelbraun. Mit 27 fielen mir die zarten Furchen auf, die meine Stirn waagerecht schmückten, und schließlich folgte die tiefe Denkfalte, die sie oberhalb meiner flachen Nase genau teilte. Als sich mir mein Schwarzes naturkrauses Haar noch chemisch glätten ließ, trug ich einen Pony, der die Falte auf meiner Stirn passabel verdeckt hatte.
Ich spuckte aus und sah wieder in den Spiegel. Den Stirnfalten hatte ich anfangs versucht, mit Cremes und Peelings entgegenzuwirken. Doch jeder kleine Erfolg wurde durch den nächsten nächtewährenden Schreibmarathon zerstört. Ich entschied mich fürs Mit-Würde-Tragen. Eine Gesellschaft, die Denk- und Lachfalten mit Nervengift wegspritzte, musste ohnehin ihre Werte überdenken, so ging ich mit gutem Beispiel voran. Dazu kam die Entscheidung, meine schwarzafrikanischen Wurzeln nicht mehr mit Tonnen von Chemie zu zerstören und meine Haare ganz einfach schneiden zu lassen, wenn mir die Mähne zu voluminös wurde. Als Ma meinen Kurzhaarschnitt sah, erklärte sie mir, dass ich ihr ein Brief mit sieben Siegeln sei. Ich verkniff mir schon länger Bemerkungen in die Richtung, wie verletzend ihr Verhalten war.
Sie merkte nicht einmal, wie sexistisch und rassistisch sie sein konnte. Mit Sprüchen wie diesen konnte ich Bücher füllen - was ich dann ja auch getan hatte. Sowohl sie als mein Dad waren noch nie mit meinem eigenen Kopf klargekommen und hatten ihre liebe Not mit mir, wie sie es nannten. Ich denke, sie folgten vor über dreißig Jahren nur einem hippen Trend, mich nach einer Autorin zu benennen, die ihrer Zeit voraus gewesen war. Und wunderten sich dann, dass aus mir tatsächlich ein Freigeist wurde. Immerhin sorgten sie, kaum dass ich lesen konnte, dafür, dass ich mich vor der realen Welt in Büchern verkroch. Sie hörten auch nicht auf, sich zu wundern, als ich mit 18 auszog. Meine Erziehung und Ausbildung hatten ursprünglich darauf abgezielt, dass ich in das Unternehmen einstieg. Während sie sich zwar nie mit meiner linksliberalen Grundeinstellung identifizieren konnten, hatten sie mir doch nie Bildung verwehrt und mich lesen lassen, was ich wollte. All das hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Aber für sie war es ebenfalls verwunderlich, dass sie das Ganze bei meinem Bruder Woolf wiederholten, sodass aus ihm politisch eine jüngere, männliche Version von mir wurde und er lieber bei mir leben wollte.
Sie hatten uns gelassen. Uns freigelassen. Wir hätten es elterntechnisch schlechter treffen können. Obwohl wir gebrochen hatten, unterhielten