Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog

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Название Einen Verlängerten bitte
Автор произведения Elisa Herzog
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021011



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      Es war ein netter, aber vergeblicher Versuch der Tarnung, denn schon Sekunden später drang ein „Schön zu sehen, dass Sie wieder Appetit haben, Fräulein Wallner“, an ihr Ohr. Es folgte ein Grinsen und der Spruch: „Jetzt kann ich Sie doch noch ein wenig beobachten.“

      Sie hatte zwar keinen Spiegel, aber sie spürte auch so, dass sie noch nie in ihrem Leben so rot geworden war. Sie nickte kläglich und war froh, als er wieder zu seinem Tisch zurückging.

      „Wollen wir nicht langsam fahren?“, fragte sie in die Runde. Auf einmal schien Hallstatt gar nicht mehr so schlimm zu sein.

      „Ich bin doch mit dem Essen noch gar nicht fertig“, antwortete Mike. „Und die Zwei da drüben auch nicht.“ Er deutete auf Stefan und Vanni, die Dart spielten und nicht den Eindruck vermittelten, als hätten sie es eilig.

      Sue schob den Teller von sich weg und ging auf die Toilette. Schämen funktionierte am besten alleine. Als sie zurück kehrte, hatte sich die Situation nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, denn zu ihrem Entsetzen sah sie, wie sich der Arzt und sein Begleiter zu Stefan und Vanni gesellt hatten.

      „Susi, komm, spiel auch mit!“, rief Vanni sie zu sich.

      Sue seufzte, aber sie hatte wohl keine andere Wahl, wenn sie nicht alleine am Tisch sitzen wollte, denn auch Mike suchte sich inzwischen Dartpfeile aus.

      Nach zwei Stunden hatte sie die Scharte mit den Schuhen wieder ausgewetzt, indem sie souverän gegen Terence, so hieß der Arzt und einzig ernsthafte Konkurrent ihrer Runde, gewann.

      Und sie war verliebt. So was von verliebt. Es folgten lange Telefonate, der Schock ihres Vaters angesichts der horrenden Telefonrechnung, die Entscheidung, die Fotografenlehre sausen zu lassen und stattdessen Hotelfachfrau in London zu lernen, da Terence inzwischen dort war und in einer Frauenklinik arbeitete. Und fünf Jahre später schließlich die spontane Hochzeit in Gretna Green, an einem verregneten Wochenende, an dem Terence ihr eigentlich nur Schottland hatte zeigen wollen. Ihre frischgebackene Schwiegermutter hatte getobt, ihr Vater geschmollt, und selbst die verständnisvolle Hilde war etwas eingeschnappt gewesen. Aber Terence und sie hatten alle Kritiker Lügen gestraft. Sie waren immer noch zusammen, nach siebzehn langen Jahren.

      „Siebzehn Jahre.“ Sie seufzte leise, drehte sich um und war irgendwann doch eingeschlafen, begleitet vom Rauschen des Windes und den tiefen Atemzügen von Terence. Irgendwann fühlte sie, wie etwas ihren Oberschenkel entlang strich. Ein Krabbeltier? Angewidert schlug sie mit der Hand dagegen und landete auf der ihres Mannes.

      „Sue?“, flüsterte er.

      „Ja?“, hauchte sie zurück.

      „Ich wollte nur wissen, ob du wach bist.“

      „Hm“, murmelte sie und spürte, wie seine Finger mit professioneller Geschicklichkeit ihren Venushügel erkundeten. „Was hast du vor?“ Eine dumme Frage, aber angesichts der Uhrzeit (2 Uhr 37) vielleicht auch nicht.

      „Das fragst du noch?“

      Ein zweites Mal? In einer Nacht? Wie lange war das her? Die Entwickler der kleinen blauen Pille hatten offenbar ganze Arbeit geleistet. Sue drehte sich auf den Rücken. Nun ja, sie sollte nehmen, was sie kriegen konnte.

      Fünf Minuten später, um 2 Uhr 42, lag Terence bereits wieder auf seiner Seite des Bettes. Sue war verwirrt, und irgendwie … unerfüllt. Quickies zeichneten sich in der Regel nicht durch besondere Raffinesse aus (zumindest nicht nach ihrem Wissensstand), aber das gerade eben war schon ein bisschen schnell gegangen. Gut, es war hart, drängend und leidenschaftlich gewesen, aber sie selbst wäre auch gerne auf ihre Kosten gekommen. Andererseits, Terence einmal so entfesselt zu sehen, hatte sie total angemacht. Sie seufzte und kuschelte sich in ihre Decke, fand jedoch keine Ruhe. An Schlaf war nicht zu denken, so aufgewühlt, wie sie war. Wie von selbst glitt ihre Hand nach unten und streichelte ihre Klitoris. Wie gut das tat! Sie gab sich dem gleichmäßigen Rhythmus ihrer Hand hin und sank mit einem befreiten Stöhnen auf die Seite, als der Höhepunkt kam. Jetzt konnte sie endlich schlafen.

      Als Sue die Toilettenspülung hörte, war es 4:18 Uhr. Sie wollte sich gerade umdrehen, um die gut zwei Stunden auszukosten, bis der Wecker klingeln würde, als er sich zu ihr setzte.

      „Hm?“ murmelte sie schläfrig.

      „Sorry, Darling.“ Terence strich ihr über die Wange. „Der da unten macht mich noch ganz verrückt. Ich muss einfach, sonst dreh ich durch.“

      Sue riss die Augen auf.

      Schon wieder? Selten hatte sie ein unattraktiveres Angebot bekommen. Bei ihr regte sich nichts, sie fühlte sich nur unendlich müde und ausgelaugt. Sie war eben keine zwanzig mehr. Der Penis ihres Gatten offenbar schon. Terence sah so unglücklich aus, dass sie ihre Decke zurückschlug und ihm Platz machte. Lust sah definitiv anders aus. Und genauso fühlte sich der anschließend durchgeführte Sex auch an. Als er ihre Beine spreizte und in sie eindrang, durchzuckte sie ein wunder Schmerz. Sie stöhnte kurz auf, was Terence völlig falsch interpretierte: Zu ihrem Entsetzen legte er noch einen Zahn zu. Irgendwo hatte sie die Gleitcreme verpackt, aber dazu war es jetzt zu spät. Morgen würde sie gehen wie auf rohen Eiern.

      Wie hatte sie sich nach einem Moment wie diesem gesehnt, nach diesen langen Monaten ohne das, was man nüchtern die Erfüllung der ehelichen Pflichten nannte. Aber im Moment fühlte es sich genauso an. Sie kam sich benutzt vor. Offenbar reagierte Terence auch auf dieses chemische Wundermittel sehr heftig, wie auf alles zuvor, was sie schon ausprobiert hatten (asiatische Heilkräuter, indianische Heilkräuter, afrikanische Heilkräuter, Vitamine, Taurine, Protein in Mengen, die ganze Legionen von Bodybuildern glücklich gemacht hätten, und sogar diese grässliche Pumpe, aber an diese Episode wollte sie jetzt lieber nicht denken. Sie war sich vorgekommen wie eine Ingenieurin, die eine kaputte Pneumatikanlage zu reparieren hatte. Es hatte nicht funktioniert, denn sie hatte schließlich kein Ingenieursdiplom, Terence genauso wenig). Nie hätte sie gedacht, dass ausgerechnet er, dieser ein Meter neunzig große, durchtrainierte Mann, schon in relativ jungen Jahren solche Probleme hatte. Er war doch erst 47! Egal, dachte Sue, irgendeine Lösung wird es geben, aber jetzt interessiert mich nur noch eines: Schlafen.

      Als der Wecker um sechs Uhr dreißig klingelte, zuckte Sue zusammen. Jeder Muskel tat ihr weh. Schwerfällig schleppte sie sich ins Bad, ließ sich auf die Toilette fallen und checkte ihr Blackberry. In drei Stunden mussten sie im Fernsehstudio sein, und sie war froh, dass sie nicht vor die Kamera musste, im Gegensatz zu Terence, der Stargast einer Talkshow zum Thema „Sex im Alter“ war. Auf dem Display tauchte der Terminplan des vergangenen Tages auf. Vier Stunden Beauty-Marathon. So wie die Nacht verlaufen war, hätte sie sich das alles sparen können. Ein Jogginganzug und ein schlampig gebundener Pferdeschwanz hätten auch gereicht. Hatte Terence im Eifer des Gefechts möglicherweise zu viele dieser Pillen genommen? Nach der monatelangen Flaute konnte sie es ihm nicht einmal verdenken. Für ihn als Mann musste das Ganze eine Katastrophe sein. Neben dem Waschbecken lag die Packung. Sue zog den Beipackzettel heraus. Die Nebenwirkungen waren nicht ohne. Sie hoffte, dass Terence den Tag ohne Herzinfarkt, Schlaganfall oder Verlust des Sehvermögens überstand. Und dann wirkte dieses unschuldig aussehende Pillchen auch noch 36 Stunden lang. Das wäre ja bis zum nächsten Morgen... Was für ein Teufelszeug! Sie würde sich auf jeden Fall bis dahin von Terence fernhalten. Da musste er alleine durch.

      „Mrs Urquhart, Mr Urquhart? Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit?“ Die Rezeptionistin lächelte sie strahlend an.

      Sue und Terence beschränkten sich auf ein Nicken. Sie sahen beide zum Fürchten aus. Da war nichts vom inneren Strahlen nach einer gelungenen Liebesnacht, nein, sie wirkten wie zwei Sherpas nach einem anstrengenden Aufstieg ohne Sauerstoffflasche.

      3

      Während der Fahrt zurück nach London rutschte Terence unruhig auf seinem Sitz hin und her.

      „Ist es denn schon etwas besser?“, fragte Sue vorsichtig.

      Er atmete tief durch. „Das kann ich leider nicht einmal zehnprozentig bejahen. Es zieht wie die Hölle.“ Er zupfte genervt an seiner Hose