Rizin. Lothar Beutin

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Название Rizin
Автор произведения Lothar Beutin
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847640813



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sie nicht mitspielten und ihren eigenen Vorstellungen nachgingen. Ja, Schneider würde er auf diese Gefahrstoff Transport Geschichte setzen, dann gäbe es von dieser Seite her keine unerwarteten Überraschungen mehr. Bei diesem Gedanken schlief er ein und wachte erst wieder auf, als die Durchsage des Piloten die Landung in Singapur in zwanzig Minuten ankündigte.

      8.

      Nach dem Misserfolg bei ihren Immunisierungsversuchen beschäftigte sich Bea nur noch mit der Entwicklung der Nachweisverfahren für Rizin. Sie hatten bereits Seren, die gegen Teile des Rizins hergestellt waren. Die waren zwar als Impfstoff nicht brauchbar, aber man konnte sie verwenden, um Rizin in Lebensmitteln nachzuweisen und das war ja ein Teil ihrer Aufgaben.

      Daneben arbeitete Schneider weiter an der Herstellung des Impfstoffs. Er koppelte Rizin an alle möglichen Substanzen und prüfte an seinen Zellkulturen, ob diese Rizinverbindungen noch giftig waren. Dadurch blieb es ihm erspart, Tiere dafür einzusetzen. Zum Glück gab es die schmerzunempfindlichen Zellen, die ihre Existenz in einer Grauzone zwischen Leben und Tod führten. Aber es gab immer wieder Überraschungen. Manche Rizinverbindungen, die sich in den Zellkulturen als ungiftig erwiesen hatten, töteten die Kaninchen, nachdem man sie damit gespritzt hatte. Der lebende Organismus ließ sich nicht immer mit den Zellkulturen vergleichen.

      Leo Schneider suchte weiter nach einer Methode, um das giftige Rizin zu inaktivieren, ohne es dabei völlig zu zerstören. Wochen vergingen und mittlerweile hatte Schneider Dutzende von Glasflaschen mit verschiedensten Ansätzen in den Laborregalen stehen. Das Verfahren war langwierig und er musste seine Ansätze über Tage und Wochen immer wieder prüfen. Vielleicht würde die giftige Wirkung des Rizins ja erst nach längerer Einwirkungsdauer nachlassen.

      Tanja war bei der Herstellung der Botulinumtoxine selbstständig geworden. Sie hatte ermittelt, welche Gasmischung für die Bazillen am besten war. Es war beängstigend anzusehen, wie die Bazillen das rosafarbene Hackfleisch in eine schwärzlich-schrumpelige Krume verwandelten, wenn sie darauf wuchsen. Diese Bakterien besaßen ihre eigene Logik. Weil sie sich im lebenden Organismus nicht vermehren konnten, töteten sie ihn durch ihr Gift. Bei der Verwesung schwand der restliche Sauerstoff, der sich noch in dem Körper befand. Erst dann konnten sie sich über den Toten hermachen. Auf der einen Seite erschienen die natürlichen Prozesse wie die Konstrukte eines berechnenden Geisteswesens, für das es nur Zweckbestimmtheit gab und keine moralischen Erwägungen. Auf der anderen aber auch als Bestandteil einer kosmischen Weisheit, eines genialen, göttlichen Plans, dessen Sinn unerklärt blieb. Als Biologe konnte man der Natur manchmal in die Karten gucken, auch wenn man den Sinn des Spiels nicht verstand. Aber schon deswegen lohnte sich dieser Beruf.

      Nachdem die Clostridien ein paar Tage in der Nährlösung gewachsen waren, konnte Tanja das Botulinumtoxin gewinnen. Sie trennte die Bakterien von der Kulturflüssigkeit in einer Zentrifuge. Die Nährlösung wurde in Röhrchen gefüllt und alles Schwere und Große folgte den Gravitationskräften und sammelte sich am Boden. Die darüber liegende Flüssigkeit enthielt das Botulinumtoxin.

      Um die giftige Wirkung des Botulinumtoxins nachzuweisen, konnte man keine Zellkulturen verwenden. BoNT war ein Nervengift und seine lähmende Wirkung konnte in nur im Tierversuch gezeigt werden. Man verwendete dazu Mäuse, denen die Bakterienflüssigkeit gespritzt wurde. Ein paar Stunden danach lagen die Mäuse kurzatmig am Boden ihres Käfigs und konnten ihre Beine nicht mehr bewegen. Durch die Lähmung des Zwerchfells schnürte sich ihre Taille immer mehr ein und am Ende erstickten sie. Botulinumtoxin wirkte auf Nerven, welche die Muskeln steuerten. Durch das Gift wurden allmählich immer mehr Muskeln abgeschaltet und am Ende auch die Atemmuskeln. Ein millionstel Gramm Botulinumtoxin war für einen Menschen tödlich. Für eine Maus reichten schon Spuren der Bakterienflüssigkeit, die mit dem bloßen Auge nicht mehr erkennbar waren.

      Menschen, die an Botulismus starben, behielten bis zu ihrem Tod einen klaren Verstand und konnten noch über die schleichende Wirkung dieses Giftes in ihrem Körper berichten. Als Jugendlicher hatte Leo Schneider in einer Illustrierten das Logbuch einer Schiffsbesatzung gelesen, die durch verdorbene Konserven an Botulismus zugrunde gegangen war. Die Aufzeichnungen über das langsame Sterben der Mannschaft waren mit den Toten auf der Jacht verblieben. Bei Schneider hinterließ diese Geschichte einen dauerhaften Eindruck. Mehr noch, es war einer der Beweggründe, die ihn Jahre später dazu brachten, sich beruflich mit Bakterien zu befassen.

      Hilfe gegen Botulismus gab es nur durch rechtzeitige Behandlung mit BoNT-Antiserum. Anders als bei Rizin war es einfacher, Antiserum gegen Botulinumtoxin herzustellen. Wie beim Tetanusimpfstoff konnte man chemisch inaktiviertes Botulinumtoxin einsetzen. Die Antiseren produzierte man in Pferden. Denen konnte man große Mengen an Blut für die Serumherstellung abzapfen, ohne die Tiere zu beeinträchtigen. Für die Behandlung musste man den Patienten das Pferdeserum literweise über einen Tropf in die Vene einleiten. Die Therapie dauerte Wochen, sogar Monate und führte nicht immer zum Erfolg. Sie hatte auch ihre Tücken, manche Patienten entwickelten allergische Reaktionen gegen das Pferdeeiweiß, die tödlich sein konnten.

      In den vergangenen Wochen waren Leo Schneider und Tanja mit ihren Arbeiten gut vorangekommen. Tanja hatte genügende Mengen Botulinumtoxin hergestellt und Schneider erste Erfolge bei der Immunisierung mit dem gekoppelten Rizin erzielt. Er konnte Rizinantiseren herstellen, ohne dass die Tiere dabei starben. Bea geriet allmählich immer mehr unter Druck. Ronnys Vertrag in Hellmans Abteilung lief bald aus und Hellman blieb hart, was eine Verlängerung betraf. Vorher wollte er von Beatrix Ergebnisse sehen, die er sich zu Nutzen machen konnte.

      Leo Schneider hatte Bea absichtlich nichts über das Botulinum Projekt erzählt. Allerdings hatte er auch keine Anzeichen dafür gefunden, dass sie ihn gezielt ausspionierte. Als Bea eines Tages in sein Büro kam und sich über Ronnys Lage beklagte, brachte das seinen Entschluss ins Wanken. Bea erzählte ganz freimütig, dass Hellman sie wegen Ronnys Stelle zunehmend unter Druck setzte. Mittlerweile hatte sie den Eindruck gewonnen, Hellman wollte sie nur hinhalten. Alles, was sie ihm geliefert hatte, reichte ihm nicht. Jetzt wurde klar, dass Bea die undichte Stelle im Labor gewesen war. Immerhin, besser so, als wenn sie von dritter Seite abgehört wurden.

      Schneider mochte Beas Mann gern. Ronny war ein engagierter Wissenschaftler, der sich nicht an Intrigen im Institut beteiligte. Um ihm zu helfen, erzählte er Bea, dass Tanja schon Botulinumtoxin für die Entwicklung von Nachweismethoden hergestellt hatte. Zwar noch nicht gegen alle BoNT-Varianten A-F, aber von den für den Menschen besonders giftigen Botulinum A und B Toxinen hätten sie schon genug vorliegen.

      Bea war froh über diesen neuen Hoffnungsschimmer. Schneider schlug ihr vor, mit dem Projektvorschlag Botulinumtoxin zu Hellman zu gehen, um so wenigstens die Zusage für eine Vertragsverlängerung für Ronny zu bekommen. Beatrix war froh, dass Schneider sie damit unterstützte. Kaum war sie zurück in ihrem Büro, rief sie Hellman an. Als sie entsprechende Andeutungen machte, wurde Hellman neugierig und bestellte sie gleich zu sich.

      „Was gibt es denn so dringend Neues, Frau Nagel?“

      Für einen Mann hatte er eine hohe Stimme. Bea war das bisher nie richtig aufgefallen. Sie setzte sich, und als sie anfangen wollte, zu berichten, kam Frau Ziegler, Hellmans Sekretärin, in das Büro und brachte Tee. „Zucker, Frau Nagel?“, fragte Hellman und ließ drei Würfel in seine Tasse plumpsen. Er rührte mit dem Löffel um und sah sie erwartungsvoll aus seinen blassen Augen an, die hinter den dicken Brillengläsern wie vergrößert aussahen.

      Bea wollte keinen Zucker. Sie vermied es Süßigkeiten zu kaufen, um nicht in Versuchung zu geraten. Wenn sie nervös war, rauchte sie manchmal eine Zigarette, die sie sich auf der Arbeit schnorrte. Sie wollte auch keine Zigaretten kaufen, um nicht abhängig zu werden. Auf dem Tisch stand eine Keramikschale, die mit Schokoladentäfelchen verschiedenster Sorten gefüllt war. Sie verkniff es sich, dort länger hinzusehen. Hellman hörte endlich damit auf, seinen Tee umzurühren und nahm sich mit der anderen Hand ein Stück Schokolade, während seine Augen immer noch auf Bea gerichtet waren.

      Bea berichtete von den neuen Entwicklungen zum Nachweis von Botulinumtoxinen. Hellman schien das zu gefallen, er wollte wissen, ob Griebsch schon darüber unterrichtet war. Bea schüttelte den Kopf. Hellman meinte, es sei besser so, Griebsch habe