Название | Ich glaubte immer an die Kraft in mir |
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Автор произведения | Bianca Sissing |
Жанр | Зарубежная психология |
Серия | |
Издательство | Зарубежная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906872063 |
Ich war acht Jahre alt und sollte entscheiden, wo ich leben wollte. Sollte ich in die neue, fünf Stunden entfernte Stadt ziehen und dort mit Mom leben oder lieber hierbleiben und bei Dad und seiner neuen Familie leben, während Mom im Krankenhaus ist? Ich musste mich sofort entscheiden. Soweit ich mich erinnere, wusste ich nicht wirklich, was ich tun sollte. Ich liebte beide Elternteile, ich wollte mit beiden leben und keinen von beiden verletzen oder enttäuschen. Doch wie auch immer ich mich entscheiden würde, einer von beiden wäre enttäuscht, und ich musste die Entscheidung treffen.
Wenn ich in meiner Erinnerung zu diesem Moment zurückkehre, so weiß ich nicht wirklich, welche Gefühle ich dabei hatte. Ich glaube, es war eine Kombination aus allem, aus Traurigkeit, Wut, Angst und Enttäuschung. Trauer, weil ich gern mit beiden leben wollte. Wut, weil ich diese absurde Entscheidung fällen sollte, weil ich in dieser absurden Situation war und mich fragte, warum ich nicht einfach eine normale Kindheit haben konnte? Angst, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Enttäuschung darüber, dass es so weit gekommen war. Alle diese Emotionen und Gedanken rasten durch meinen Kopf. Sie veränderten sich ständig und sprangen alle paar Sekunden von einem zum anderen. Doch ich habe nicht geweint. Ich blieb nach außen hin stark, wie ich es immer tat.
Ich entschied mich, bei Mom zu bleiben. Sie gab mir die Versicherung, dass ich Dad jederzeit sehen konnte, wann immer ich wollte. Mit meiner Entscheidung begann unsere Flucht nach Ottawa. Moms Wohnung lag nur um die Ecke, daher holten wir dort ein paar persönliche Sachen und fuhren dann zum Krankenhaus. Da es für Kinder nicht möglich war, im Krankenhaus zu übernachten, mussten die Ärzte Mom sofort entlassen. Sie gaben ihr Medikamente, mit denen sie vorerst einige Zeit auskam, bis sie einen Arzt in Ottawa gefunden hätte, und sie gaben ihr eine Kontaktadresse. Dann meinten die Ärzte, dass Mom nicht mehr in derselben Nacht nach Ottawa fahren, sondern bei Freunden übernachten und am nächsten Tag bei Tageslicht fahren solle. So fuhren wir zu der Wohnung von Freunden und blieben dort über Nacht.
Am nächsten Tag traten Mom und ich unsere Reise nach Ottawa an. Wir waren nie zuvor dort gewesen, und alles, was wir hatten, um den Weg zu finden, waren ein paar Sätze, die Moms Bruder ihr am Telefon mitgeteilt hatte. Wir fuhren los und hofften und beteten, dass unser kleiner, lieber Datsun die Prüfung bestehen und uns sicher nach Ottawa bringen würde. Der Datsun hatte eine grasgrüne Farbe und war so alt und verrostet, dass auf der Beifahrerseite ein Loch im Boden war. Ich weiß noch, wenn es regnete, dann war Wasser auf dem Boden des Autos, und ich musste meine Füße zur Seite halten. Doch es war unser kleiner, »grüner Frosch«, und er brachte uns immer dahin, wohin wir wollten. Wir drückten die Daumen, dass er es diesmal auch tun würde.
Es war Sonntag und irgendwann im Laufe des Tages rief Mom Dad an und sagte, dass ich noch eine Nacht bei ihr bleiben und sie mich am Montagmorgen zur Schule bringen würde.
Mir kam es so vor, als würde die Fahrt nach Ottawa niemals enden, verständlich für eine Achtjährige, die gerade eine dramatische, lebensverändernde Situation durchlebte. Ich erinnere mich, dass wir einmal neben einer Autobahnraststätte anhielten. Es war bereits dunkel, und als wir auf den Parkplatz fuhren, sahen wir als einzige geparkte Fahrzeuge nur riesige Lastwagen. Wir zögerten, als Mom parkte. Dies mochte nicht der beste Ort für eine junge Mutter sein, die allein mit ihrer Tochter unterwegs war. Doch wir mussten dringend die Toilette aufsuchen. Als wir hineingingen, drehten alle Lastwagenfahrer die Köpfe in unsere Richtung und schauten auf die einzigen beiden weiblichen Personen vor Ort. Da waren zehn grobe Lastwagenfahrer und eine junge Frau mit ihrer kleinen, aber älter aussehenden Tochter, mitten in der Nacht, weit abseits aller Zivilisation. Das war nicht die beste Situation, in der wir uns hätten befinden können. Wir setzten unsere ernsteste und strengste Miene auf und gingen direkt auf die Toilette. Mom bestellte einen Kaffee to go und bald waren wir wieder auf der Straße. Spät am Abend kamen wir in Ottawa bei Onkel Tom an.
Der neue Tag begann mit einer neuen Stadt, einem neuen Haus, einem neuen Zimmer und neuen Leuten. Die einzigen Menschen, die wir in Ottawa kannten, waren Onkel Tom und seine Frau Nancy. So, und was nun? Mom rief ihre Ärzte im Krankenhaus in Toronto an, um sie wissen zu lassen, dass wir wohlbehalten in Ottawa angekommen waren und dass es uns gut ging. Für das nächste Telefongespräch versammelten sich alle gemeinsam am Tisch. Mom nahm das Telefon, wählte und sagte: »Hi, ich bin’s. Bianca ist nicht in der Schule. Sie ist bei mir und wir sind beide bei meinem Bruder in Ottawa. Wir bleiben auf unbestimmte Zeit hier. Wir werden es Bianca ermöglichen, dich zu besuchen, wann immer sie möchte.« Es war mucksmäuschenstill. Alle warteten gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde. Ich dachte, es gäbe Geschrei und Verzweiflung am Telefon. Doch alles blieb relativ ruhig und das Gespräch wurde in normaler Lautstärke fortgesetzt.
Kurze Zeit später war Dads Hochzeit und ich ging nicht hin und konnte auch das Kleid nicht tragen, das speziell für mich angefertigt worden war. Ich fühlte mich etwas ausgeschlossen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ein wichtiges Ereignis und damit den Moment verpasst hatte, in dem ich Teil der Familie hätte werden können. Mein Dad, seine Frau und ihre beiden Töchter waren jetzt zusammen. Sie hatten die Zeremonie vollzogen, waren jetzt eine Familie, und ich gehörte nicht dazu, nicht wirklich. Ich hatte den entscheidenden Moment verpasst. Natürlich war ich ein Teil der Familie. Dad liebte mich immer noch genauso wie vorher. Damit hatte es nichts zu tun. Irgendwie war für mich das Verpassen der Hochzeit wie das Verpassen der offiziellen Zusammenführung. Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden und diese Tatsache einfach akzeptiert.
Die nächsten paar Tage und Wochen nutzten Mom und ich, um die Gegend zu erkunden, Ottawa kennenzulernen, herauszufinden, wo was ist, mit den Dienstleistungen und Einrichtungen, die uns zur Verfügung standen, vertraut zu werden. Dazu gehörte es auch, eine Schule für mich zu finden. Es war April, und das Schuljahr endete irgendwann im Juni. Also entschied Mom, dass ich »verlängerte« Sommerferien haben würde. Anstatt mir noch mehr Stress aufzuladen, und für zwei Monate vor den Sommerferien in eine neue Schule zu gehen, nahm ich mir die Zeit, die ich brauchte, um mit allem vertraut zu werden, und begann im September von Neuem.
Über Nacht erwachsen werden
»Es gibt keine perfekte Zeit für irgendetwas. Es ist etwas, das wir für uns selbst erschaffen müssen.«
Etwa einen Monat nachdem wir aus Toronto geflüchtet waren, entschied ich, dass ich Dad wiedersehen wollte. Unser Auto hatte uns nach Ottawa gebracht. Aber weil es so alt und verrostet war, war Mom nicht bereit, die Fahrt noch einmal zu riskieren, bzw. nach Toronto und zurück zu fahren. Sie war sich nicht sicher, ob das Auto die Fahrt durchhalten würde. Dad war damit einverstanden, Mom Geld zu schicken, damit sie ein Auto mieten und mich für einen Besuch zu ihm fahren konnte. Gesagt, getan, alle zwei Wochen mietete Mom daher ein Auto und fuhr die fünfeinhalb Stunden nach Toronto, damit ich Dad besuchen konnte. Wir verließen Ottawa jeweils freitags nach der Schule und kamen zwischen 21.00 und 23.00 Uhr in Toronto an. Dann verbrachte ich Samstag und Sonntag bis kurz nach dem Mittagessen mit Dad und seiner neuen Familie. Samstags gingen wir alle zusammen zum Beispiel in den Zoo, in den High Park in Toronto oder zum Skifahren. Manchmal, wenn ich neue Kleidung brauchte, gingen wir auch einkaufen. Sonntags gingen wir in die Kirche und aßen dann zu Mittag. Mom blieb bei ihren Freunden. Sonntagnachmittag holte Mom mich dann ab und wir kamen zwischen 21.00 und 23.00 Uhr wieder in Ottawa an.
Diese Tour fuhren wir einige Monate lang alle zwei Wochen, bis es zu teuer wurde. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Die Alternative war der Überlandbus Grayhound, der direkt von Ottawa nach Toronto und zurück fuhr. Die Reise dauerte mit 15 Minuten Pause etwa fünfeinhalb Stunden. Meine Eltern besprachen mit dem Busunternehmen, ob ich allein reisen könnte, damals war ich neun Jahre alt. Die Entscheidung, dass ich allein im Greyhoundbus fahren sollte, fiel bald, und Dad bezahlte die Fahrkarten. Mom setzte mich in den Bus, wartete, bis er abgefahren war und sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dad wartete dann in Toronto, um mich abzuholen. Auf der Rücktour lief