Название | Herr Groll und die Wölfe von Salzburg |
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Автор произведения | Erwin Riess |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701362905 |
Aus leidvoller Erfahrung weiß ich, daß ihr Österreicher für eure Gesangskultur bekannt seid: Opern, Operetten, Weihespiele aller Art. Und politisch seid ihr Schlitzohren. Jetzt, wo es um nichts mehr geht, entdeckt ihr eure Liebe zu Israel. Pfui Teufel, Groll!
Ich bin redselig wie nie. Und da sagt man, ich hätte keine Symptome. Für einen Mann meiner Branche ist Redseligkeit tödlich. Ich werde das Aspirin absetzen.
Eigentlich wollte ich dir etwas mitteilen, von Schwiegervater zu Schwiegersohn sozusagen. Aber ich habe vergessen, was es war. Habe ich dir schon gesagt, daß ich per Du mit Ihnen bin und daß ich die Medikamente absetzen werde?
Richten Sie Grüße an Ihren akademischen Begleiter aus. Ich weiß es zu schätzen, daß er sich um Sie kümmert. Das muß Schwerstarbeit sein.
Giordano
2. Kapitel
Freundschaftsgeschenke vom Jenissei. Das Salzburg Manifesto
Nachdem ich mich von meinem Freund Toni verabschiedet hatte – nicht ohne ein Treffen in den nächsten Tagen zu vereinbaren –, fuhren der Dozent und ich in das höher gelegene Werfen hinauf. In den Nachrichten hörten wir, daß in Max Reinhardts Bibliothek im Schloß Leopoldskron zu Salzburg und im Schaubergwerk Hallein weitere Puppen aufgetaucht waren, sie stellten allesamt gutgekleidete Männer in den besten Jahren dar. Die Behörden hätten keinen Anhaltspunkt, wer die Puppen plaziert hatte und aus welchem Grund. Auffällig war, daß sie Jacketts aus feinem englischen Tuch trugen. Eine Werbemaßnahme eines neuen italienischen Nobelschneiders in der Salzburger Altstadt werde ebensowenig ausgeschlossen wie eine künstlerische Installation der Festspiele.
„Um ein Haar wäre ich der blöden Puppe wegen in der Salzach ertrunken. Wenn ich den Urheber dieses Werbegags in die Hände kriege, werfe ich ihn den Berglöwen im Tiergarten Hellbrunn zum Fraß vor“, sagte der Dozent.
„Bravo!“, sagte ich. „Sie können auf meine Hilfe bauen. Mit Berglöwen kenne ich mich aus.“
Der Dozent sah mich verblüfft an.
„Restpopulationen haben sich am Wiener Bisamberg gehalten“, erwiderte ich. „Die Biber fressen die Ratten, die Löwen die Biber. Ein perfekter ökologischer Kreislauf.“ „Ich dachte, Biber sind Pflanzenfresser?“, warf der Dozent ein.
„Die Wiener Biber sind eine städtische Abart“, entgegnete ich. „Da kommt Fleisch auf den Mittagstisch.“ Wenig später studierten wir die ausgehängte Speisekarte des Fünf-Sterne-Restaurants Obauer am Hauptplatz zu Werfen. Gamscarpaccio, 29 Euro, war da zu lesen. Und Habichtspilzsuppe, 15 Euro, sowie Perigord-Trüffel, 58 Euro.
Der Dozent wiegte den Kopf. Nach Kaviar vom sibirischen Stör, per Gramm 6 Euro, und Honigwachtel mit Brennesselfülle, 48 Euro, Paprikakutteln, 24 Euro, und Kotelett vom Salzburger Jungrind, 59 Euro, schnalzte er genießerisch mit der Zunge. „Da wär schon was für mich dabei“, sagte er. „Welche Speise hat es Ihnen angetan?“
Bescheiden antwortete ich: „Wiener Schnitzel vom Pinzgauer Kalbsrücken zu 29 Euro, dazu einmal Weinbegleitung vier Gläser 49 Euro und drei Gramm Kaviar vom sibirischen Stör. Allerdings müßte ich mich vorher erkundigen, aus welchem sibirischen Strom der Stör stammt. Zwischen Lena, Ob, Irtysch und Jenissei gibt es da beträchtliche Qualitätsunterschiede. Außerdem wäre noch wichtig zu wissen, ob der Kaviar vom Mittellauf oder vom Unterlauf des Flusses kommt, die Mittellauf-Kaviare sind manchmal etwas verschlossen im Anbiß. Ich gebe da dem Jenissei-Kaviar vom Krasnojarsker Stausee oder von der Großen Cheta, einem wichtigen Zufluß des Jenissei, den Vorzug. Zarter Schmelz, tiefgründiges Leuchten im Mondlicht und von der Textur unerreicht. Leider schwer zu bekommen; im belgischen Leuven gibt es die einzige offizielle Bezugsquelle in Westeuropa. Wenn die Obauers diese Götterspeise gegen Nachfrage führen sollten – was mich nicht überraschen würde –, könnte ich mich eventuell zu weiteren zwei Gramm überreden lassen.“ Der Dozent lächelte. „Warum gerade Leuven?“
„Eine berühmte katholische Universität, Leuven oder Löwen in Flandern. Die Herren Dogmatiker und Fundamentaltheologen verstehen sich aufs Tafeln. Und sie wissen, wie man an die Köstlichkeiten herankommt.“
„Ich weiß schon, die Wege des Herrn …“
„Ich würde eher sagen, die Wege der Ökumene.“
„Und wie, geschätzter Groll, sind Sie an den speziellen Kaviar gelangt? Haben Sie in Leuven studiert?“
„Mit meinem rostigen Weltbild? Als mechanischer Materialist wäre ich dort fehl am Platz. Oder vielleicht auch nicht. Nein, verehrter Dozent, die Erklärung ist einfacher. Sie liegt, wenn man meinen Lebensweg kennt, auf der Hand. Die verstaatlichte Werft Korneuburg, die bekanntlich einem sozialistischen Bundeskanzler zum Opfer fiel, baute durch Jahrzehnte luxuriöse Kabinenschiffe für die sibirischen Ströme, so auch für den Jenissei. Die Schiffe sind heute noch in Fahrt, sie können in jedem besseren Reisebüro gebucht werden. Zwei Schiffe wurden jährlich abgeliefert. Es war üblich, daß sibirische Schiffsbauer Wochen vor Übergabe des Schiffes die letzten Fertigungsschritte in der Schiffswerft Korneuburg begleiteten. Und es war gute Sitte, daß dabei Gastgeschenke ausgetauscht wurden.“
„So kam der Kaviar vom Jenissei an den Oberlauf der Donau. Und da sie mit der halben Belegschaft der Werft befreundet waren …“
„Sind! Die meisten leben ja noch – als Zwangsrentner. Ein mieses Leben, zumindest für einen Schiffsbauer. Aber immerhin … “
„Ein Leben“, unterbrach der Dozent. „Ich fasse zusammen: Wo es Schiffe gibt, dort gibt es Flüsse. Und wo es Flüsse gibt, ist der Kaviar nicht weit. Zumindest in nördlichen Breiten.“
„Bravo! Ihre Weltläufigkeit macht Fortschritte.“
Der Dozent schaute mich fragend an.
„Obwohl … derzeit macht die Störfischerei in den nördlichen Regionen eine schwere Zeit durch“, setzte ich fort.
„Wegen des Klimawandels, vermute ich.“
„Eher wegen der Massenzucht. Antibiotika sind in Rußland billig. Und die kasachischen Zander, die in jeder Nordsee-Filiale ausliegen, sind voll damit. Wenn Sie einen im Quartal zu sich nehmen, sind Sie und Ihre Kindeskinder für alle Zeiten vor Infektionen gefeit. Zumindest vor bakteriellen.“
„Typhus, Cholera, Pest. Schade, daß Viren auf Antibiotika nicht ansprechen.“ Der Dozent nahm eine Notiz in seinem schlauen Büchlein vor.
„Ich habe Kenntnis von ehemaligen Werftlern, daß in ehemaligen sowjetischen Labors daran gearbeitet wird, Viren zu Bakterien umzubauen“, setzte ich fort. „Schon in wenigen Monaten könnte es soweit sein.“
„Um