Название | Welt als Körper |
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Автор произведения | Thomas Erthel |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772001031 |
Wallerstein spricht von „deep inequalities of the world-system“ (World-Systems xi).4 Dementsprechend ist die ‚Einheitlichkeit‘ des Zusammenhangs nicht falsch zu verstehen als ‚harmonischer Zusammenhalt‘. Genau dies tut jedoch ein spezifisches (man kann auch sagen: naives) Verständnis von ‚GlobalisierungGlobalisierung‘, wie ein weiterer Leser Wallersteins, Roland Robertson, ausführt:
In the mid-1980s some people got the impression that the move in the direction of what I now tend to call global unicity entails some kind of utopian view of global unity. Whereas the first term is, in my usage, neutral with respect to the risks, costs, benefits and dangers of rapidly increasing interdependence, interpenetration, global consciousness and so on, ‘unity’ and closely related terms imply – even when placed in quotation marks – social integration in quite a strong sense. […]. Indeed this misleading view of globalization as constituting a definite move to ‘world peace’ and integration is still to be found (and, of course, actively promoted by certain sociocultural movements). […]. Globalization is, at least empirically, not in and of itself a ‘nice thing,’ in spite of certain indications of ‘world progress.’ (6; Hervorhebungen T.E.)
Um dieses Missverständnis auszuschließen, wird hier im Folgenden von ‚EinsheitEinsheit (Unicity)‘ anstelle von ‚EinheitEinheit‘ gesprochen, womit ich Robertsons Unterscheidung zwischen „unicity“ und „unity“ übertrage und umsetze. Gemeint sein soll damit der Charakter des Welt-SystemWelt-Systems als „a single, continuous geography all over the planet“ (Moretti, „World-Systems“ 71), und eben nicht jene „‘unity’“, die Robertson mit Recht empirisch als nicht gegeben ansieht. Denn dass die Kompression der GanzheitGanzheit zunehmend einen geschlossenen Zusammenhang hervorbringt, bedeutet noch lange nicht dessen Homogenität oder Harmonie. Im Gegenteil zeichnet sich das Welt-System durch ein Gefälle aus, eine AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems):5 „The world of capitalist civilization is a polarized and a polarizing world.“ (Wallerstein, Capitalism 137)
Es ist also die bereits oben von Arendt erwähnte Installation von „production everywhere“ (s.o.), die die EinsheitEinsheit (Unicity) und AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) hervorbringt. Pheng Cheah spricht von
a fundamental contradiction of the modern capitalist world-system. As Marx pointed out, the globalization of capital creates the material conditions for a community of the greatest possible extension. However, the capitalist world-system also radically undermines the achievement of a human community of global reach, that is, a genuine unity of the world. For Marx, the world is a normative category that exceeds the global market. (2)
Das kapitalistische Welt-SystemWelt-System generierte also seine Ausbreitung bis zur „greatest possible extension“ (von Arendt beschrieben als: „the limitations of the globe itself“, 250, s.o.), verhindert eine „genuine unity of the world“ jedoch aufgrund seiner inhärenten Struktur. Cheah schlägt mit Bezug auf Marx die Unterscheidung zwischen der FdG ‚world‘ und dem „global market“ vor, um den ‚normativen‘ Gehalt der FdG ‚world‘ von der Tatsache des globalen Marktes zu trennen. Wiederum scheint hier die – von Wallerstein genannte und oben analysierte – Problematik der FdG ‚world‘ auf.
Die zwei Eigenschaften des Welt-SystemWelt-Systems – einen geschlossenen Zusammenhang darzustellen, der eine AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) einschließt – sind also als zwei Seiten des gleichen expansiven Prozesses anzusehen.6 Der beschriebene Prozess der ExpansionExpansion verschränkt demnach zwei Konstellationen miteinander: Aus der Expansion geht eine Kompression hervor (s.o.), die EinsheitEinsheit (Unicity) des Welt-Systems schließt eine Asymmetrie ein. Die Expansion hat räumlich eine natürliche Begrenzung in der endlichen Ausdehnung der Oberfläche der Erde; mit der Akkumulation von Kapital ist dagegen ein potenziell unendlicher Prozess in Gang gesetzt, der mit der räumlichen Expansion nicht zum Erliegen kommt.
2 Darstellung von Ganzheit
Von der in II.1.1 beschriebenen Dynamik (zwischen ExpansionExpansion und Kompression) von GanzheitGanzheit ausgehend, und den Spannungen (EinsheitEinsheit (Unicity) und AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems)), die sie prägen, soll sich im Folgenden einigen Grundfragen der Darstellung von Ganzheit angenähert werden, um die anschließende Analyse der Rolle des Körpers in diesem Kontext einzuleiten.
Die Darstellung von GanzheitGanzheit erfolgt nicht im Nachhinein der beschriebenen ExpansionExpansion, und läuft auch nicht passiv-parallel neben dieser her – sie geht ihr sogar, wie Arendt ausführt, voraus:1
Prior to the shrinkage of space and the abolition of distance through railroads, steamships, and airplanes, there is the infinitely greater and more effective shrinkage which comes about through the surveying capacity of the human mind, whose use of numbers, symbols, and models can condense and scale earthly physical distance down to the size of the human body’s natural sense and understanding. Before we knew how to circle the earth, how to circumscribe the sphere of human habitation in days and hours, we had brought the globe into our living rooms to be touched by our hands and swirled before our eyes. (Arendt 251; Hervorhebungen T.E.)
Mit dem Fokus auf der Erstellung und Betrachtung von ‚Tischgloben‘ ist Arendt nicht allein (vgl. Sloterdijk, Sphären II 812, aber auch III.2.6.1) und das von ihr subtil ins Spiel gebrachte Sehen und dessen Räumlichkeit – „swirled before our eyes“ (Hervorhebungen T.E.) – stellt eine fundamentale Struktur dar. Im Wesentlichen gestaltet sich diese wie folgt: „[S]ich ein Bild von der Welt zu machen, die Techniken des sich ein Bild von der Erde Machens, heißen bekanntlich seit Kopernikus, eine Kugel vor sich zu sehen, auf der man nicht ist: den Globus von außen.“ (Bergermann et al. 8) Denn wie Arendt beschreibt, rückt die Darstellung der GanzheitGanzheit als „globe“ diese räumlich vor den Betrachter. Weiter hält sie fest, dass die Darstellung der Ganzheit diese auf eine Größe schrumpft, die dem „body’s natural sense and understanding“ entspricht. Die Darstellung von Ganzheit umfasst also ein ‚Vor-die-Augen-Rücken‘ und eine Manipulation der Größenverhältnisse, womit die darzustellende Ganzheit in ein – man könnte sagen: ‚aufnehmbares‘ – Verhältnis zur Größe des menschlichen Körpers gebracht wird. Der Blick(punkt), die Räumlichkeit dieses Blickes, und die Frage der Größe im Verhältnis zum menschlichen Körper: Sie stellen die Fixpunkte der folgenden Ausführungen zum Problemfeld der Abbildung von Ganzheit dar.
2.1 Blickperspektiven
Wer größere Ganzheiten sehen will, sieht sich mit zwei Problemen konfrontiert: Sie sind aufgrund ihrer Größe und ihres abstrakten und imaginären Gehalts nicht natürlich sichtbar. Entsprechend sind sie nicht ohne die Zuhilfenahme von komplexen Darstellungsverfahren abbildbar: „[S]ince one cannot see the universe, the world, humanity, the cosmopolitan optic is not one of perceptual experience. It should be evident that we should not take the presentation of the world for granted because, at the very least, it is given to us by the imagination.“ (Cheah 3) Obwohl man „das UniversumUniversum (Figur der Ganzheit)“ etc. nicht sehen kann, spricht Cheah von einer „optic“. Dies gilt, wie im Folgenden nachzuvollziehen ist, auch für zahlreiche andere Ansätze, „ja, man könnte vermutlich zeigen, dass Totalität immer eine optische Komponente mitträgt, einen kognitiven Panoramablick, und sei es ‚nur‘ als Denkfigur.“ (Hölter 91) Dieser ‚kognitive Panoramablick‘, der das Nachdenken über und die Darstellung von GanzheitGanzheit durchzieht, soll hier analysiert werden, indem nach den (imaginären) Stand- und Blickpunkten gefragt wird, die bei Darstellungen von größeren Ganzheiten eine Rolle spielen.
Diese Punkte haben gemeinsam, dass sie einen Blick auf die GanzheitGanzheit von außen her imaginieren, sie erzeugen also eine extrinsische Perspektive. Sie wurden jedoch verschiedentlich konzipiert und benannt. Einmal als apollinische Perspektive, in welcher der Betrachter sich vorstellt, von der Position der Sonne aus die Erde zu betrachten; Denis Cosgroves Ausbreitungen zu diesem Thema finden sich in seiner entsprechend betitelten Monographie